Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Fünfte Pop-Dekadentagung
Ein digitales Archiv für deutsche Popmusik?

Krautrock, Neue Deutsche Welle, Hamburger Schule: Deutsche Popmusik ist vielfältig und hat über die Jahrzehnte künstlerisch eigene Maßstäbe gesetzt. Ist es Zeit für ein digitales Pop-Archiv? Oder ist das nur eine Utopie? Diese Frage diskutierten Pop-Experten auf einer Konferenz.

Von Juliane Reil | 30.09.2019
Die vier Musiker von Kraftwerk stehen auf der Bühne, hinter ihnen ein roter "Roberts" Schriftzug
Kraftwerk im New Yorker MoMA (dpa / Peter Boettcher)
Die Historisierung von Popmusik war das Thema auf der fünften Pop-Dekadentagung am Wochenende in Hamburg im Institut für Kultur- und Medienmanagement. Rund zwei Dutzend Experten aus Akademiker -, Journalisten- und Musikkreisen diskutierten die Frage, ob es Zeit für ein digitales Archiv für deutschsprachige Popmusik sei. Dabei sei es Definitionssache, welche Kriterien man setze, berichtete Juliane Reil, die für Corso die Tagung besuchte.
Was ist deutsche Popmusik?
Deutsche Sprache solle zum Beispiel kein Kriterium sein, weil es viel englischsprachige Musik aus Deutschland gebe. Dasselbe gelte für musikalische Genres, da sich die deutsche Jugendkultur an populären Kulturen aus dem Ausland orientiere. Vor allem aber vor dem Hintergrund fortschreitender Globalisierung falle es schwer, geeignete Kritieren zu formulieren. Der Musiker und Journalist Detlef Diederichsen, der seit 2006 den Bereich "Musik und Performing Arts" im Berliner Haus der Kulturen leitet, erklärte dazu:
"Ich habe natürlich viel mit internationalen Künstlern zu tun, die auch ihre Ideen von deutscher Musik haben und da ist es 90 Prozent Krautrock – Leute, die Can, Cluster und Kraftwerk idolisieren oder Interesse daran haben und dann die elektronische Musikszene – Berlin, Berghain, et cetera – das sind die hauptsächlichen Sachen. Ob man daraus einen Kanon zimmern kann? Ich würde sagen dafür, ist es einfach zu wenig. Das sind relativ kleine, isolierte Phänomene. Die elektronische Musik ist mittlerweile extrem globalisiert, ist extrem mobil. Künstler, die heute in Berlin leben, leben morgen in Sydney, eine Woche später in Teheran. So lokale Szenen, davon kann man bei dieser Musik und wahrscheinlich heute und in Zukunft nicht mehr reden."
Eine sehr romantische Grundidee
Ein digitales Archiv solle ein großes Archiv für Popmusik sein, für Fans, Musikliebhaber und Wissenschaftler. "Mein Eindruck war, dass es da teilweise eine sehr romantische Grundidee gab von einem digitalen, freien und unbeschränkten Zugriff von überall und jederzeit, während Aspekte des Archivs selbst - wie schafft man es, Daten zu systematisieren und zu kennzeichnen, damit sie auffindbar und benennbar sind und man sie als Referenzen nutzen kann? - weniger diskutiert wurden."
Dabei sei freier Zugang für alle zu allem und das Archiv selbst zwei grundverschiedene Dinge, die nicht klar unterschieden wurden.
Ein digitales Pop-Archiv, wie man es sich auf der Tagung teilweise gewünscht habe, sei vermutlich eine Utopie, da das Urheberrecht durch ein solches Archiv verletzt würde, wenn die Gesetzgebung keine Aktualisierung erfahre.
"Es gab dann sogar die Überlegung einer politischen Initiative – das klang für mich dann wirklich utopisch und wie eine Forderung aus den Frühzeit des Internets," berichtete Juliane Reil. Auch gabe es keine klaren Vorstellungen darüber, was in ein solches Archiv hinein solle. Teilweise habe es Stimmen gegeben, die da sehr niedrigschwellig ansetzen wollten, bei Schülerbands oder privaten Pressungen von Indie-Labels. Aber da stoße man dann noch auf ganz andere Probleme, wie Gabriele Rohmann, die Mitbegründerin vom Archiv der Jugendkulturen in Berlin, in Bezug auf die eigenen Bestände sagte:
"Für uns ist es auch bei den Artefakten, die wir haben und die direkt in den Szenen entstanden sind, eine ethische Frage: Wollten das die Leute überhaupt und können wir das noch recherchieren, wer das gemacht hat? Das ist bei Fan-Magazinen nicht so einfach, weil die kein reguläres Impressum haben. Da haben wir ungeklärte Fragen und lassen wir es lieber beim Analogen auch."

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.