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"Für Bangkok gilt eine Reisewarnung"

Der deutsche Botschafter in Bangkok, Hanns Heinrich Schumacher, weist ausdrücklich darauf hin, dass die Millionenstadt "kein angenehmer Platz" ist. Deutschen vor Ort rät er zur Online-Registrierung beim Krisenwarnsystem der Botschaft.

20.05.2010
    Silvia Engels: In Bangkok spielen sich in den letzten Wochen Szenen ab, die man in der hoch entwickelten Metropole noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätte. Nach monatelangem Konflikt besetzten Tausende von Vertretern der Opposition ein wichtiges Geschäftsviertel der Stadt, sie lieferten sich nach gescheiterten Verhandlungen über Neuwahlen blutige Schlachten mit Militär und Regierungsvertretern. Gestern nun stürmten Soldaten das besetzte Viertel, mehrere Anführer wurden festgenommen, erneut starben viele Menschen. Frieden ist nicht eingekehrt, in der Nacht galt eine Ausgangssperre, die nun auch verlängert werden soll. Die deutsche Botschaft ist in den vergangenen Tagen wegen der Unruhen für den Publikumsverkehr geschlossen gewesen. – Zugeschaltet ist uns nun Hans Heinrich Schumacher, er ist der deutsche Botschafter in Thailand. Guten Morgen, Herr Schumacher.

    Hans Heinrich Schumacher: Guten Morgen nach Deutschland.

    Engels: Wie ist die Lage derzeit rund um die Botschaft?

    Schumacher: Die Nacht war im Vergleich zu den Nächten vorher eigentlich gespenstisch ruhig. Man konnte aber deutlich sehen, dass es an vielen Stellen in der Stadt brannte. Die Hauptzufahrtsstraßen zur Botschaft sind weiter gesperrt. Die Rama 4 – für diejenigen, die die Umgebung kennen – war ja eine der Hauptgegenden der Auseinandersetzungen zwischen Militär und den Demonstranten. Es scheint hier heute Morgen so zu sein, dass es an vielen Stellen brennt. Wir bekommen die Zahl 35 genannt, darunter bekannte Orte wie das Central World Einkaufszentrum, eines der größten Einkaufszentren in Bangkok. Gleichzeitig geben Polizei und Militär und auch die Behörden deutlich zu erkennen, dass sie in der Lage und willens sind, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Aber wie Sie bereits angedeutet haben, wird es auch heute Nacht von 20 bis 6 Uhr eine Ausgangssperre geben, wobei ich vor allen Dingen die deutschen Touristen warnen muss, die nach 20 Uhr auf dem uneingeschränkt funktionierenden Flughafen Suvarnabhumi landen. Entgegen anderslautenden Meldungen werden diese Touristen nicht herausgelassen, auch wenn sie sich ausweisen können, sondern müssen wohl die Nacht am Flughafen verbringen, bis sie morgens um 6 dann an ihre Bestimmungsorte weiterfahren können. Allerdings, ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin: Für Bangkok gilt eine Reisewarnung. Dies ist im Moment sicherlich kein angenehmer Platz, um anwesend zu sein.

    Engels: Das betrifft die Touristen, die aus Deutschland anreisen. Was wissen Sie über die Situation der Deutschen, die bereits in Bangkok sind, seien es Geschäftsleute, seien es Touristen?

    Schumacher: Ich kann Ihnen versichern, dass wir bis heute nicht eine einzige Meldung haben, wonach Deutsche gefährdet wurden, oder in Mitleidenschaft gezogen sind. Es war ja immer so gewesen, dass dieser Konflikt ein innerthailändischer Konflikt war und sich niemals und zu keinem Zeitpunkt gegen Ausländer oder ausländische Einrichtungen gerichtet hat. Sobald man sich an unsere Reisehinweise und Informationen gehalten hat, gab es keine Gefährdung, und ich bin eigentlich sehr glücklich darüber, dass sich das neu eingeführte Krisenwarnsystem des Auswärtigen Amtes hier in Thailand bei dieser Krise bewährt hat. Wir bekommen sehr positive Rückmeldungen und ich kann hier nur noch einmal auffordern, dass diejenigen, die sich noch nicht in unsere Krisenliste eingetragen haben – das geht einfach über die Website mit einem Download -, dies tun. Dann können sie auch unsere Informationen erhalten.

    Engels: Das heißt, das ist eine Seite, wo sie dann automatisch in einen Verteiler aufgenommen werden?

    Schumacher: Sie werden in einen Verteiler aufgenommen und wir sind dann in der Lage, mit einer Information mit diesem Verteiler alle Deutschen, die sich in diesen Verteiler eingetragen haben, mit einem Knopfdruck zu erreichen. Das hat die Information enorm erleichtert.

    Engels: Und das erreicht man über die Internetseite des Auswärtigen Amtes?

    Schumacher: Über die Internetseite der Botschaft bangkok.diplo.de.

    Engels: Dann schauen wir noch auf die Situation im gesamten Land. Es war ja berichtet worden, dass der Norden auch nicht eine Region sei, in die man reisen sollte. Wie steht es um den touristisch ja besonders erschlossenen Süden?

    Schumacher: Der touristische Süden ist von den Unruhen vollkommen unbeeinflusst. Darauf haben wir in unseren Reisehinweisen ja auch immer hingewiesen. Außenminister Westerwelle hat gestern zurecht in ersten Presseäußerungen darauf hingewiesen, dass es im Moment nicht ratsam ist, in den Norden zu reisen. Zurzeit haben wir noch einen Reisehinweis, der vor nicht notwendigen Reisen in den Norden warnt. Wir werden heute Morgen mit Dienstbeginn in Deutschland mit unseren Kollegen im Auswärtigen Amt besprechen, ob wir nicht auch dort bis auf weiteres, bis zur Klärung der Situation eine Reisewarnung aussprechen, um niemanden in Gefahr zu bringen.

    Engels: Wir sprechen mit Hans Heinrich Schumacher, er ist der deutsche Botschafter in Thailand. – Herr Schumacher, schauen wir nun auf die politische Entwicklung. Die Regierungstruppen scheinen ja auf militärischen Sieg zu setzen. Ob das gelingt, ist fraglich, aber was bedeutet das so oder so politisch?

    Schumacher: Ich bin vorsichtig, wenn Sie sagen, auf den militärischen Sieg zu setzen. Was hier in den vergangenen Wochen und zwei Monaten fast schon passiert ist, ist im Verhältnis zu dem, was in Thailand in den letzten 30 Jahren passiert ist, mit über 18 Militärputschen und erheblicher Gewalt, eigentlich ein Paradigmenwechsel. Die Regierung und das Militär haben mit Zurückhaltung und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit auf diese Demonstrationen reagiert. Der ursprüngliche Kompromissvorschlag des Premierministers, Wahlen im November abzuhalten, ist ja auch der Forderung der Demonstranten entgegengekommen. Dieser Vorschlag hat dazu geführt, dass die Führer der Demonstranten, die verantwortlichen Führer, sich zerstritten haben. Eine ganze Reihe wollte diesen Vorschlag annehmen und sah das Ziel der Demonstrationen, der Landbevölkerung ihre Stimme wiederzugeben, die ihr durch den Militärputsch 2006 geraubt wurde, erreicht. Daraufhin haben sich die Demonstranten zerstritten und es sind die Gewaltbereiten zurückgeblieben, und ich meine, dass die Auflösung, die vorgestern stattgefunden hat, eigentlich in einer Weise über die Bühne gegangen ist, die auf Menschenleben wirklich Rücksicht genommen hat, obwohl die letzten zahlen, die ich erhalte, darauf hindeuten, dass zumindest seit dem 14. Mai, seit Beginn der aktuellen Kontroversen und Konfrontationen, über 40 Menschen dabei gestorben sind.

    Engels: Sehen Sie folglich aber auch eine Perspektive, dass Thailand und auch dieses zerrissene Lager doch wieder zu einer Form von Verhandlungen finden?

    Schumacher: Ich sehe eine Perspektive. Ich bin mit dem Wort "Bürgerkrieg" sehr vorsichtig. Sicher ist, dass diese Auseinandersetzung eine Tragödie für Thailand ist. Dieses Land, das eigentlich alles hat, Bodenschätze, wunderbare Landschaften, einen hervorragenden Tourismus, zerstört sich, wenn dieses Problem nicht gelöst wird, selber. Ich habe immer noch, muss ich hinzufügen, Vertrauen in das Augenmaß und die Verantwortung der derzeitigen demokratisch legitimierten Regierung - es sind demokratisch gewählte Politiker -, dass sie in der Lage ist, den Scherbenhaufen, den die Demonstrationen verursacht haben, nicht nur physisch zu beseitigen, sondern auch die Wunden in der thailändischen Seele zu heilen. Dies wird über kurz oder lang nur mit Neuwahlen möglich sein, denn die Landbevölkerung – und das war der ursprüngliche Antrieb der Demonstrationen – fühlt sich um ihre demokratische Stimme betrogen. Thailand zahlt im Moment den Preis für über 30 Jahre lang verschleppte gesellschaftliche Reformen und natürlich auch für eine Tatsache, die wir in vielen anderen Ländern der Welt sehen, dass durch die wirtschaftliche Entwicklung, den Globalisierungsprozess, die Schere zwischen arm und reich zu weit auseinandergegangen ist. Dies sollte auch eine Warnung für viele andere Länder sein.

    Engels: Einschätzungen von Hanns Heinrich Schumacher, er ist der deutsche Botschafter in Thailand. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Schumacher: Ich bedanke mich.

    Website der Deutschen Botschaft Bangkok