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Für eine Wiederkehr der kommunistischen Idee

Slavoj Zizeks "Auf verlorenem Posten" ist eine Philippika gegen den Neoliberalismus. Er wettert gegen die liberale Coolness, hinter der eine große Apathie stecke, niemand fühle sich verantwortlich, alle redeten sich auf das System heraus, auf die Globalisierung. Soweit die Zielscheibe von Zizeks neuem Buch. Dagegen entwirft der slowenische Philosoph eine "Politik der Wahrheit", deren Subjekt er bei den Parias der Globalisierung entdeckt: den Ärmsten der Armen, den Globalisierungsverlierern. Deswegen bringt Zizek den heutzutage etwas verstaubt wirkenden Begriff des Kommunismus wieder ins Spiel, für dessen Gerechtigkeitsideal er sich vehement einsetzt.

Von Klaus Englert | 03.02.2010
    "Es bedarf des Glaubens an hoffnungslose Fälle, die innerhalb der Grenzen der skeptischen Weisheit zwangsläufig verrückt erscheinen müssen. Das vorliegende Buch spricht aus dem Innern dieses Glaubenssprungs - warum? Weil in einer Zeit der Krisen und Brüche das Problem darin besteht, dass die auf den Horizont des herrschenden gesunden Menschenverstands beschränkte skeptische empirische Weisheit selbst die Antwort nicht liefern kann - man muss also einen Glaubenssprung riskieren."(S. 26/7).

    Der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek hat mit seinem neuen Buch "Auf verlorenem Posten" ein Pamphlet gegen alle geschrieben, die meinen, die neue globale Ordnung sei die beste aller Welten. Zizek wettert gegen die Postmodernen, die die Sprengkraft des Marxismus entschärfen, da für sie alle Ideen gleichwertig sind. Doch seine liebsten Sparringspartner hat er in den Verfechtern des Marktfundamentalismus gefunden. In den Neoliberalen, die in den mehr schlecht als recht funktionierenden Marktgesetzen bereits die verwirklichte Utopie erblicken. Zizek deutet diese Haltung mit unverkennbarem Spott als "verkörperte Antiutopie". Denn die Liberalen, die ihre Werte allein aus dem freien Spiel der Marktkräfte ableiten, haben jedes utopische Projekt hinter sich gelassen. Marktfundamentalisten glauben einzig - wie Zizek schreibt - an die bedingungslose Produktivitätsspirale. Sie glauben an die egoistische Natur des Menschen und an eine Politik, die von überflüssigen moralischen Idealen befreit ist. Gereinigt von dem, was der Schriftsteller Arthur Miller als "ermutigende Form menschlicher Solidarität" beschreibt. Miller beobachtete diese Solidarität unter Kubanern, die - wie Zizek ausführlich zitiert - "alle mehr oder weniger gleich arm waren und mit dem gleichen Gefühl allumfassender Vergeblichkeit lebten" (S. 86). Zizek möchte diesen Wert verteidigen, wenngleich etliche Auguren bereits das Ende der Geschichte und der Ideologien ausgerufen haben. Gegen sie verkündet der slowenische Philosoph emphatisch die Wiederkehr des Kommunismus:

    "Ist die Idee des Kommunismus heute noch gültig? Lässt sie sich nach wie vor für die Analyse und die politische Praxis gebrauchen? Man sollte die Frage anders stellen: Wie lassen sich die Kategorien ausgehend von der kommunistischen Idee beurteilen? Es handelt sich hier um die Dialektik von Alt und Neu. Diejenigen, die fast wöchentlich neue Begriffe für die gewandelte Realität erfinden - Risikogesellschaft oder Informationsgesellschaft, postmoderne oder postindustrielle Gesellschaft -, verpassen das wirklich Neue. Die einzige Möglichkeit, das Neue zu erfassen, besteht darin, das Ewige im Alten zu erkennen. Wenn der Kommunismus eine ewige Idee ist, dann ist er eine konkrete Universalität. Er ist ewig, da ihm die Möglichkeit innewohnt, jederzeit neu erfunden zu werden. Will man diese universelle Idee lebendig halten, muss man den Kommunismus ständig neu erfinden."

    Slavoj Zizek ist überzeugt von Kierkegaards Diktum credo quia absurdum, das er auch bei Anne Frank wiederzuerkennen glaubt. An der Absurdität des Glaubens festhalten, selbst wenn die Realität diesem Glauben Hohn spricht! Über Abraham schrieb Kierkegaard: "Er glaubte kraft des Absurden; denn von menschlicher Berechnung konnte da nicht die Rede sein" (Furcht und Zittern, S. 31). Auf diesen Standpunkt hat sich auch Slavoj Zizek zurückgezogen. In einem luziden Abschnitt seines Buches bemerkt er, für religiöse Fundamentalisten seien theologische Aussagen gleichsam empirische Aussagen unmittelbaren Wissens. Während sie diese Gleichsetzung vollziehen, verraten sie jedoch den "echten Glauben", an dem Zizek und Kierkegaard festhalten. Selbstverständlich ist für Zizek der Glaube an den Kommunismus absurd. Aber ohne diese Absurdität ist der Kommunismus offenbar nicht zu haben. Genauso wenig - wie es am Schluss von "Auf verlorenem Posten" heißt - eine revolutionäre und egalitäre Gerechtigkeit. In einem Vortrag, den der slowenische Philosoph kürzlich in London hielt, versuchte er die überraschten Zuhörer davon zu überzeugen, dass die objektiven Voraussetzungen für eine Revolution tatsächlich gegeben sind:

    "Bei der Veränderung des Marxismus möchte ich keinen Kompromiss machen. Den Begriff der Proletarisierung will ich deutlich weiter fassen, bis hin zu einem apokalyptischen Niveau. Alle Prozesse nähern sich dem apokalyptischen Nullpunkt: die ökologische Katastrophe, die biogenetische Reduzierung der Menschen auf manipulierbare Maschinen, die totale digitale Kontrolle unseres Lebens. Ausgehend von der Analyse dieser Erfahrungsdaten stellt sich für mich die Frage nach dem Kommunismus: Es gilt, die wachsende Proletarisierung zu lokalisieren.

    Wir müssen aus dieser Apokalypse heraus. Ökologische Gründe zwingen uns dazu. Auf diese Weise kann es nicht weitergehen. Die Alternative heißt nicht: funktionierender Kapitalismus oder funktionierender Kommunismus. Wenn alles so weitergeht, werden wir in einer schrecklichen Gesellschaft erwachen, ja sogar in einer Katastrophe."

    Slavoj Zizek möchte sich auf keine sozialdemokratischen Positionen, auf keinen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz einlassen. Reform ist nicht die Sache des slowenischen Querdenkers, der in seinem Buch immer wieder die Psychoanalyse eines Jacques Lacan und den philosophischen Idealismus eines Hegel zusammenbringt. In seinen sprunghaften Argumentationen kommt er hin und wieder zu überraschenden, paradox anmutenden Einsichten. So ist dieser, alle habituellen Regeln verletzende Medienphilosoph gebannt von der Innovationskraft des Kapitalismus, von einer Revolution, die andauernd die eigenen Grenzen verschiebt. Gleichzeitig ist Zizek von Georges Sorels Traum eines "passage à l'acte" und eines "gewaltsamen Ausbruchs" (S. 89) fasziniert. Ohne Wenn und Aber möchte er den Kapitalismus überwinden, dessen Antriebskräfte er so sehr bewundert. Zizek läuft bisweilen Gefahr, dass er von seinen genauen Analysen ablässt und unvermittelt das Terrain einem anarchistischen Aktionismus überlässt.

    Und was meint der Philosoph mit seiner Neuerfindung des Kommunismus? Er glaubt, die Subjekte der Revolution ausfindig gemacht zu haben. Natürlich sind das nicht die Globalisierungsgewinner, die - laut Zizek - einen indischen Pass, ein Schloss in Schottland, eine Zweitwohnung in New York und eine Privatinsel in der Karibik besitzen. Nein, es sind die Slumbewohner, die Mitglieder der Gesellschaft, die von den Vorzügen der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen sind, die Entwurzelten und Besitzlosen, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten (S. 256-9). Zizek nennt diese Menschen die wahren Proletarier unserer globalisierten Weltordnung. Man erinnert sich dabei an Jacques Derridas Ausrufung der neuen Internationale. Auch der französische Philosoph dachte nicht an eine bestimmte soziale Schicht, sondern an die von Gewalt, Diskriminierung, Ungleichheit und Hunger betroffenen Menschen, an das globale Heer der Rechtlosen, an die Globalisierungsgegner.

    "Es reicht nicht aus, sich an die kommunistische Idee zu klammern. Wir müssen Antagonismen aufzeigen, die innerhalb des Kapitalismus nicht gelöst werden können. Die historische Situation zwingt uns dazu, am Begriff des Proletariats festzuhalten, ja sogar diesen Begriff bis zu einem existenziellen Niveau zu radikalisieren. Denken Sie an das Subjekt, das jeglicher Substanz entleert ist. Die ökologische Krise ist nichts anderes als eine andere Form der Proletarisierung, die uns der natürlichen Substanz unserer Existenz beraubt. Und im Kampf ums geistige Eigentum geht es ja darum, uns der symbolischen Substanz des Lebens zu berauben. Schließlich die biogenetischen Manipulationen: Will man sich nicht unseres Erbguts bemächtigen? Ähnlich verhält es sich mit den Slumbewohnern, die ihrer elementaren Lebensbedingungen beraubt sind."

    Immer wieder taucht in dem Buch der traditionelle marxistische Begriff "Diktatur des Proletariats" auf. Slavoj Zizek versteht darunter eine "demokratische Explosion" (S. 246) und eine "neue emanzipatorische Politik" (S. 273). Der slowenische Philosoph versucht also, dem alten Begriff eine neue, ungewohnte Bedeutung zu geben. Man sollte sich also stets auf Überraschungen in dem Buch gefasst machen. Dazu gehören blitzgescheite Einsichten, aber auch triviale, rational schwer nachvollziehbare Argumente. Aber das gehört nun einmal zu Zizeks wenig akademischem, unsystematischem und sprunghaftem Stil.

    Slavoj Zizek: "Auf verlorenem Posten". Aus dem Englischen von Frank Born. Suhrkamp, Frankfurt 2009, 325 S., 14,-Euro.