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"Für Merkel wäre es ein Problem, keine eigene Mehrheit zu haben"

Eine Niederlage in der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm im Bundestag wäre für Angela Merkel "symbolisch der Beginn des Endes ihrer Kanzlerschaft", glaubt der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf Gerd Langguth. Dennoch würde sie weiterregieren, notfalls sogar ohne die FDP, glaubt er.

Gerd Langguth im Gespräch Friedbert Meurer | 26.09.2011
    Friedbert Meurer: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat also vor zehn Jahren die Zustimmung zum Krieg in Afghanistan sozusagen mit der Brechstange von den eigenen Leuten erzwungen. Die Abgeordneten wussten damals ganz genau, dass sie nicht nur über Afghanistan abstimmen, sondern über die Existenz der Regierung. Die Ausgangslage für Schröders Nachfolgerin ist in dieser Woche nicht viel anders. Deutschland soll Milliarden Euro in den Rettungsschirm pumpen und etliche Unions- und FDP-Abgeordnete wollen das partout nicht mehr mittragen. Die Kanzlerin aber zeigt sich sicher und optimistisch, dass es für eine eigene Mehrheit reichen wird. Bei einer Probeabstimmung hatten zwei FDP-Abgeordnete Nein gesagt, 19 von der Union, macht 21, und das wären dann doch ein paar zu viel, denn Schwarz-Gelb verfügt im Bundestag nur über eine Mehrheit von 19 Abgeordneten. Am Telefon begrüße ich den Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Guten Tag, Herr Langguth.

    Gerd Langguth: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Die CDU-Führung zeigt sich ja sicher, es wird reichen: Peter Altmaier heute Morgen bei uns, gestern Abend die Kanzlerin in der ARD. Ist das sozusagen noch mal die Schraube anziehen gegenüber den Abweichlern, oder ist sich die Führung sicher, es wird klappen?

    Langguth: Die Führung scheint mir ziemlich sicher, dass es klappt. Ich bin nicht sicher, ob es zur sogenannten Kanzlermehrheit reicht, aber zur sogenannten eigenen Mehrheit. Und bei den 19 Stimmen, die bei der Union Bedenken hatten, waren ja auch eine ganze Reihe von Enthaltungen dabei. Und wie das in so einer Situation ist: Da wird natürlich jeder potenzielle Abweichler mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung versucht, ihm klar zu machen, was das eigentlich bedeutet, wenn das Abweichlertum auch tatsächlich von ihm gemacht würde.

    Meurer: Wie sieht politisch eine Mund-zu-Mund-Beatmung aus?

    Langguth: Na ja, da spricht natürlich der parlamentarische Geschäftsführer dann mit dem Abgeordneten X oder der Frau Abgeordneten Y und sagt: Hör mal zu, wenn wir deine Stimme nicht bekommen, dann bedeutet das, dass das für Merkel schwer wird, überhaupt die Koalition bis zu Ende durchzuführen, wenn bei einer so wichtigen Frage keine eigene Mehrheit da ist.

    Meurer: Gibt es auch Druckmittel, die da zumindest gezeigt werden?

    Langguth: Na ja, Druckmittel gibt es schon, aber die werden nicht so heftig eingesetzt, weil das würde ja bekannt werden. Aber zum Beispiel ist ein Druckmittel der Wahlkreis. Wenn also ein Abweichler in seinem eigenen Wahlkreis keine Zustimmung bekommt zu seinem Abweichlertum, dann wird er sich das dreimal überlegen, denn der Wahlkreis ist ja häufig das Gremium, das dafür sorgt, ob jemand wieder in den Bundestag kommt oder nicht.

    Meurer: An der Basis sind aber doch eigentlich viele gegen die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms.

    Langguth: Ja, aber ...

    Meurer: Warum sollen die Abgeordneten Druck bekommen, doch zuzustimmen?

    Langguth: Man muss natürlich sehen, die Basis will natürlich auch, dass in einer solchen fundamental wichtigen Frage die Regierung ihre Mehrheit zeigt. Es geht da nicht nur um Griechenland, sondern es geht in diesem Falle darum: Ist die Koalition in der Lage, hier mit einer eigenen Mehrheit zu operieren oder nicht. Und man muss sagen, übrigens was die Basis denkt, ist ja sowieso manchmal nicht ganz klar. Umfragen zeigen, dass viele, sogar die große Mehrheit, gegen den Rettungsschirm ist, aber die gleichen sagen, dass man Griechenland aus der Pleite helfen muss. Also insofern gibt es hier eine echte Führungsfunktion auch der Abgeordneten, auch der Politik, der Basis, den Wählerinnen und Wählern klar zu machen, was eigentlich Sache ist.

    Meurer: Wenn die Kanzlerin mehr führen sollte, könnte sie das am besten tun, indem sie jetzt die Vertrauensfrage stellt?

    Langguth: Na ja, sie könnte das tun, aber Gerhard Schröder hat das ja seinerzeit getan und hat zum Teil natürlich die Abgeordneten, die abweichen wollten, unter einen ungeheueren Druck gesetzt, denn die Vertrauensfrage bedeutet ja, dass wenn die schief ausgeht, der Kanzler, die Kanzlerin dann beim Bundespräsidenten beantragen kann, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt. Und ich habe den Eindruck, dass Angela Merkel alles verhindern wird, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt. Die müsste sie ja auch beantragen. Und deswegen bin ich auch sicher, dass es nicht zu vorgezogenen Wahlen kommt.

    Meurer: Sind Abgeordnete aus dem konservativ-bürgerlichen Lager im Zweifelsfall disziplinierter als Abgeordnete aus dem linken Lager?

    Langguth: Ich denke, sie sind im Zweifel disziplinierter und sie wissen natürlich auch, was es bedeutet, wenn sie in dieser fundamental wichtigen Frage nicht mit der Koalition stimmen. Und wohl gemerkt - wir haben auch eben über Druckmittel gesprochen -, manch einer überlegt sich, ob er seiner eigenen Wählerbasis, damit meine ich den Wahlkreis, den eigenen Kreisverband, ob er dem gegenüber darzustellen vermag, dass er mit schuldig ist für ein Riesenproblem, denn für Merkel wäre es ein Problem, keine eigene Mehrheit zu haben. Das wäre meines Erachtens symbolisch der Beginn des Endes ihrer Kanzlerschaft.

    Meurer: Aber wenn es so käme und sie am Donnerstag keine Mehrheit hat, sie würde vermutlich einfach weitermachen, oder?

    Langguth: Sie macht so lange weiter, solange sie Kanzlerin ist, und das kann sie auch. Nach dem Grundgesetz ist es sowieso schwer. Man kann ja nicht so ohne weiteres einen Kanzler ablösen. Da müsste das konstruktive Misstrauensvotum kommen und dann müsste mit einer Mehrheit ein neuer Kanzler gewählt werden, und danach sieht es ja nun weiß Gott nicht aus. Also insofern, angenommen sie würde auch nicht die eigene Mehrheit bekommen, auch nicht die Kanzlermehrheit, würde sie weiterregieren und würde sagen, ich habe ja hier die Hilfe von der SPD und von den Grünen bekommen, und das ist ja in der Sache auch das, was richtig ist.

    Meurer: Das heißt, Herr Langguth, Schwarz-Gelb regiert so lange weiter, wie keiner der beiden Partner die Nerven verliert?

    Langguth: Ja, das ist in der Tat richtig. Es ist natürlich eine Gefahr für Merkel, die muss man sehen: Es kann sein, dass es in der FDP - da gibt es ja Stimmen, die sagen, man muss der Partei wegen, damit die überlebt, die Regierung verlassen. Es könnte natürlich passieren, dass die FDP sagt, nein, wir wollen nicht weitermachen, die Hoffnung habend, dass dann die Partei sich quasi in der Opposition oder als Nicht-Regierungspartei erholen kann. Das wäre für Merkel das größte Problem, das entstehen könnte im Moment, und da würde sie aber möglicherweise auch mit einer Minderheitenregierung operieren.

    Meurer: In dieser Woche wird über den Euro-Rettungsschirm abgestimmt. Die Woche der Wahrheit für Angela Merkel hat begonnen. Danke schön, Gerd Langguth, Politikwissenschaftler von der Uni Bonn. Auf Wiederhören!

    Langguth: Danke, Herr Meurer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.