Dienstag, 23. April 2024

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Für Schorlemmer ist das Urteil zu Stasi-Akten ein "Sieg des Rechtsstaats"

Burkhard Birke: Die Stasiakten über den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl bleiben weitgehend unter Verschluss. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig änderte damit zum Teil ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes, das grundsätzlich eine Herausgabe von Unterlagen über den Altbundeskanzler erlaubt hatte. "Nur zu Forschungszwecken" dürften Unterlagen mit personenbezogener Information herausgegeben werden und an die Presse nur mit Einwilligung der betroffenen Personen, so im Kern die Entscheidung gestern. In den Informationen am Morgen begrüße ich nun Friedrich Schorlemmer, Friedensaktivist seinerzeit in der DDR und heute Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Wittenberg. Schönen guten Morgen.

Moderation: Burkhard Birke | 24.06.2004
    Friedrich Schorlemmer: Guten Morgen.

    Birke: Herr Schorlemmer, war das ein Sieg der Vernunft und/oder Helmut Kohls?

    Schorlemmer: Ich hoffe, ein Sieg des Rechtsstaates, dass Artikel zehn und dreizehn des Grundgesetzes gelten und dass wir dies auch nicht bei den Stasiakten aufheben sollten und vor allen Dingen, finde ich, dass damit ein Riegel jenem Stasi-Voyeurismus vorgeschoben wurde, der an einer politischen Instrumentalisierung oder an einer skandalträchtigen Bekanntgabe interessiert ist und nicht an Aufklärung. Es geht weiter um quellenkritische Analyse dieser Hinterlassenschaften, aber nicht darum, mit diesem Material das Persönlichkeitsrecht von Menschen in Frage zu stellen, denn das Einsichtsrecht für Bespitzelte, die Aufklärung über die Machenschaften der Stasi, die Offenlegung des Spitzelsystems und der Spitzel oder die Rehabilitierung von Opfern, all das ist nicht in Frage gestellt. Insofern finde ich die Aufregung über dieses Urteil, dass damit also irgendwie die Arbeit der Behörde, die ihre Arbeit insgesamt sorgsam macht, in Frage gestellt sei, ganz überflüssig.

    Birke: Aber, durch die Abhörmaßnahmen oder Spionage erworbenen Informationen müssen jetzt unter Verschluss bleiben. Das behindert doch eigentlich die Aufarbeitung, wenn nur Historiker da Zugang haben. Wie sollen denn dann die Ergebnisse publiziert werden, wenn die Presse diese Ergebnisse letztendlich nicht an die Öffentlichkeit bringen darf?

    Schorlemmer: Es geht doch darum, ob wir den Stasi-Akten erlauben, sie zu behandeln wie andere normale Materialien und ob nicht der Bespitzelte, man sagt dazu auch Opfer - finde ich ein bisschen groß den Begriff dafür - aber, ob der Bespitzelte nicht das Recht behalten kann, darüber zu entscheiden, ob das Material, das gegen ihn gesammelt wurde und zwar unter Umgehung des für uns geltenden Rechtes, öffentlich gemacht wird. Ich finde, dass solches kontaminiertes Material für den Rechtsstaat erstens sehr problematisch ist und zweitens, dass das, was da gesammelt wurde unter Umgehung eben rechtsstaatlicher Prinzipien jetzt nicht zur Quelle gemacht werden kann, schon gar nicht im politischen Kampf.

    Birke: Herr Schorlemmer, befürchten Sie nicht, dass nun auch SED-Funktionäre davon profitieren?

    Schorlemmer: Nein, sie sind ja in diesem Sinne nicht Bespitzelte und Opfer. Sofern aber auch SED-Funktionäre von ihrem eigenen Apparat bespitzelt wurden, müssen sie, wenn denn alle Bürger gleiches Recht haben, von diesem Recht Gebrauch machen können. Das ist hart, auch in Sachen Kohl ist es etwas hart, weil es einen bitteren Beigeschmack behält, weil er ein Westdeutscher ist, ein prominenter Westdeutscher, bei Ostdeutschen hat das bisher so nicht gegolten und dass er den Eindruck erweckt, er habe etwas zu verschweigen im Zusammenhang mit seinem Schweigen, seinem Ehrenwort über Spenden. Das hat einen bitteren Beigeschmack, aber ich finde es keine Lex Kohl, hier geht es nicht um Helmut Kohl, hier geht es um die Grundprinzipien des Rechtsstaates. Ich finde es wunderbar, dass der Große Lauschangriff gestoppt worden ist durch das Verfassungsgericht und dass jetzt auch hier eine Klarstellung erfolgt, es betrifft aus meiner Sicht nicht Helmut Kohl sondern alle, die da in Frage stehen.

    Birke: Herr Schorlemmer, doch noch mal zur Person Helmut Kohl, denn Helmut Kohl war Kanzler und es gibt ja auch den Ausspruch, der Kanzler ist immer im Dienst, ist eigentlich diese Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Person in diesem Falle gerechtfertigt?

    Schorlemmer: Ja, aber sollen denn die Menschen, die öffentliche Personen sind, noch unter geringerem Recht stehen und wer will da unterscheiden? Was sagen wir, was da nach 25 Jahren privat und persönlich ist, wenn sich etwa einer über einen anderen im Telefongespräch äußert? Das ist für den Moment bestimmend. Wenn es nach 25 Jahren hochgezogen wird, sagen wir, eine persönliche Äußerung über einen anderen Parteifreund, das hat hinterher sehr merkwürdige und schwierige Wirkung. Ich finde, das sollte man sein lassen und diese Stasiakten nicht wie einen Schatz behandeln, das sind Hinterlassenschaften eines Systems, das Feinde vernichten, zersetzen, erpressen, diskreditieren wollte und in diesem Sinne war Helmut Kohl ein Opfer dieser Stasi und es lässt sich bei einer so öffentlichen Person Privates und Öffentliches nicht auseinanderhalten.

    Birke: Sie haben ja sehr diese Rechtsstaatlichkeit, die durch dieses Urteil festgeschrieben wird, betont, aber wird denn nicht die vierte Gewalt, nämlich die der Presse, hier eingeschränkt, weil die Journalisten letztendlich nach dem Urteil nur Zugang zu Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen von der Stasiunterlagenbehörde gewährt bekommen?

    Schorlemmer: Ja, ich finde aber die Grundprinzipien, - es ist richtig, das ist eine Einschränkung -, aber das Grundprinzip der informationellen Selbstbestimmung des Bürgers Kohl wie jedes anderen Bürgers halte ich hier für einen höheren Wert. Wer als ein Betroffener das Objekt der Begierde der Stasi war, muss bestimmen dürfen, was mit diesem Material geschieht. Ich denke, dass das für mich eine ganz prinzipielle Frage ist, unabhängig davon, dass vieles andere, vieles andere auch der Öffentlichkeit, auch der Presse noch weiter zur Verfügung steht und dass das, was öffentlich zugänglich ist, ausreicht, um die Strukturen und Machenschaften der Stasi offen zu legen, aber das darf nicht auf Kosten von einzelnen Personen laufen. Ich habe das im Übrigen schon vor dreizehn Jahren bei der Anhörung im Innenausschuss, als das Stasiunterlagengesetz besprochen wurde, angemerkt. Ich bin so froh, dass ich in einem Staat lebe, in dem Artikel zehn und dreizehn des Grundgesetzes für alle gelten, nämlich das Post- und Fernmeldegeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung gewährleistet sind und das muss auch für den Bürger Kohl gelten, es sei denn andere können ja Material, das über sie gesammelt worden ist der Öffentlichkeit zugänglich machen, dann auch der Presse, aber das muss der Einzelne bestimmen, das halte ich für eine prinzipielle Frage in unserem Rechtsstaat, in dem ich froh bin zu leben.

    Birke: Herr Schorlemmer, abschließend noch einmal ganz kurz gefragt: Sie sehen also dieses Urteil nicht als Rückschlag für die Aufarbeitung des DDR Unrechtregimes?

    Schorlemmer: Nein, nein, ich sehe es sogar als eine Stärkung des Einzelnen an und dass das Gleichgewicht zwischen öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsrecht des Einzelnen durch dieses Urteil gewährleistet wird.

    Birke: Das war Friedrich Schorlemmer, Friedensaktivist seinerzeit in der DDR und heute Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Wittenberg. Recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Schorlemmer: Bitte.