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Fukushima
Das große Aufräumen

Die Kosten für die Aufräumarbeiten in Fukushima werden inklusive Säuberung kontaminierter Gebiete und Entschädigungen auf rund 200 Milliarden Dollar geschätzt. 80 Milliarden allein für den Abriss der Atomruinen - eine Arbeit von rund 30 oder 40 Jahren. Der Stand heute, vier Jahre nach dem Unfall, der die Welt in Atem hielt.

Von Dagmar Röhrlich | 11.03.2015
    Die Ruine des Atomkraftswerks Fukushima fotografiert aus einem Helikopter.
    Die Ruine des Atomkraftswerks Fukushima. (picture alliance / dpa )
    "Die Lage in Fukushima Daiichi ist komplex", urteilt Juan Carlos Lentijo von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. "Aber in wichtigen Bereichen gebe es Fortschritte." So seien inzwischen alle Brennelemente aus dem Lagerbecken von Block 4 geborgen, und durch die Aufräumarbeiten sei die Strahlenbelastung der Mitarbeiter stark gesunken. Außerdem schafften Pumpen einen Teil des Grundwassers ins Meer, ehe es auf dem Gelände radioaktiv kontaminiert werde.
    Denn Problem Nummer eins ist und bleibt das Wasser. Überall auf dem Gelände stehen hohe, graue Tanks. In ihnen lagern mehr als 590.000 Kubikmeter an radioaktiv belastetem Wasser. Das entspricht der Füllmenge von 236 olympischen Schwimmbecken. Es ist Wasser, das - nachdem es die Kernschmelzen gekühlt hat - über Leckagen in die Untergeschosse der Gebäude floss, wo es sich mit eindringendem Grundwasser mischte.
    Bei der Dekontaminierung werden Cäsium-137 und Strontium-90 herausgeholt, erklärt Tepco-Pressesprecher Teruaki Kobayashi. Dazu kommen Multinuklidfilteranlagen für weitere 62 Radionuklide. Die Anfangsschwierigkeiten scheinen überwunden, urteilt Michael Maqua von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS:
    "Man hat nicht nur eine Anlage, sondern auch zwei und drei Anlagen nebeneinander stehen, sodass sie jetzt praktisch durchgehend betrieben werden. Die Anlagen funktionieren auch recht gut. Sie können also den Gehalt an Radioaktivität um etwa einen Faktor 1000 verringern.310.000 Kubikmeter Wasser wurden bislang gereinigt und in saubere Tanks gepumpt. Ins Meer ablassen geht nicht. "
    Regierung überlegt, Fischerei wieder freizugeben
    Der Grund: Das Wasser enthält hohe Mengen Tritium. Der radioaktive Wasserstoff kann auf normalen Wege nicht abgetrennt werden. Weil der Tritiumgehalt die japanischen Grenzwerte um ein Vielfaches überschreitet, treffen Pläne, das Wasser langsam ins Meer abzulassen, auf erbitterten Widerstand. Jota Kanda von der Tokio-Universität für Meereswissenschaften und Technik:
    "Derzeit sinkt die radioaktive Belastung der Fische, die vor Fukushima gefangen werden, und die Regierung überlegt, die Fischerei wieder freizugeben. Würde nun tritiumhaltiges Wasser abgelassen, fürchten die Fischer die Reaktion der Konsumenten."
    Die Krux: Etwa im Herbst sollen alle Tanks auf dem Gelände mit mehr oder weniger strahlendem Wasser gefüllt sein. Spätestens dann stellt sich die Frage, wohin damit. Tepco hofft auf Verfahren, die Tritium in industriellem Maßstab herausholen. Drei Firmen konkurrieren miteinander um den Auftrag. Eine davon ist die US-Firma Kurion:
    Kurion entwickelt ein Verfahren weiter, das Elektrolyse und katalytischen Austausch kombiniert. Zunächst werde das belastete Wasser in seine Bestandteile zerlegt, erklärt Entwicklungschef Gaëtan Bonhomme:
    "Tritium verhält sich dabei wie normaler Wasserstoff. Das Wasserstoff-Tritium-Gemisch strömt von unten in eine Säule mit Platin-Katalysatoren, über die von oben Wasser rinnt."
    An den Katalysatoren tauschen die Wasserstoffatome im Wasser ihren Platz mit den Tritium-Atomen im Gas. Sauberer Wasserstoff steigt auf, das Tritium bleibt im Wasser, das im Kreislauf geführt wird:
    "Unseren Berechnungen zufolge müssten wir das gesamte Tritium von Fukushima Daiichi in ein bis zehn Kubikmetern radioaktivem Wasser konzentrieren können. Bis März 2016 muss klar sein, ob das Verfahren hält, was es verspricht", so Entwicklungschef Gaëtan Bonhomme.
    Eiswall um havarierte Atommeiler
    Ein anderer Tepco-Plan zur Bewältigung der Wasserkrise setzt auf einen Eiswall um die havarierten Atommeiler. Der soll verhindern, das Grundwasser überhaupt erst eindringt. Dazu wird durch Rohre eine Kühlflüssigkeit in den Untergrund geleitet werden:
    "Für diesen Gefrierwall muss praktisch in jedem Meter ein Bohrloch gebohrt werden, das heißt also, es sind über 1500 Bohrlöcher, die gebohrt werden müssen.
    Und noch fehlen die Bohrungen zwischen Reaktoren und Meer. Denn dort müssen erst Kanalsysteme abgedichtet werden, in denen hoch radioaktives Wasser fließt. Weil deren Vereisen scheiterte, werden sie jetzt mit Beton verfüllt", so Michael Maqua von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS.
    Zum Herbst soll der 30 Meter tiefe Eiswall im Boden geschlossen sein. Danach sieht der Plan vor, das Hafenbecken zum Pazifik hin komplett abzudichten - noch in diesem Jahr. Denn solange der kontaminierte Grundwasserstrom ins Hafenbecken nicht gestoppt ist, würde es überlaufen. Allerdings ist unsicher, ob die Idee mit dem Eiswall wie geplant funktioniert. Dale Klein von der University of Texas:
    "Die Frage ist, welche Nebenwirkungen dieser Eiswall haben könnte. Weiß Tepco wirklich, wie das Grundwasser, das aus den Bergen zum Meer fließt, reagiert? Wird es wirklich unterirdisch um diese große Barriere strömen, oder steigt es zur Oberfläche auf?"
    Ein weiteres laufendes Projekt ist das Bergen der Brennelemente aus den Lagerbecken der Blöcke 1 und 3. In Block 3 sind die Trümmer des Dachs weggeräumt, das Becken liegt frei. Sobald die Maschinentrümmer daraus geborgen sind, wird eine Abdeckung gebaut samt Krananlage, um die Brennelemente herauszuholen.
    Bei Block 1 behindert derzeit die Hülle, die nach der Havarie eilig errichtet worden war, die Aufräumarbeiten.
    Was ist mit den Kernschmelzen?
    "Diese Einhausung ist geöffnet worden Ende vorigen Jahres, um dort Chemikalien einzusprühen, um die Aktivität zu binden, damit, wenn man das dann wieder teilweise abbauen muss, nicht wieder Aktivität in die Umgebung abgelassen wird. Jetzt soll eine neue Hülle samt Krananlage errichtet werden - bis 2018", erklärt Michael Maqua.
    Die größte Unbekannte bei den Aufräumarbeiten: Was ist mit den Kernschmelzen?
    Zwei Detektoren der japanischen Hochenergie-Beschleuniger-Forschungsorganisation KEK messen an Block 1 Myonen - Elementarteilchen, die entstehen, wenn kosmische Strahlung auf die Atmosphäre trifft. Durchdringen sie Materie, verändert sie ihre Bahn - umso stärker, je dichter die Materie ist: Uran und Plutonium sind besonders dicht.
    "Wir haben inzwischen erste, rohe Bilder vom Reaktorinneren", antwortet KEK-Projektleiter Fumihiko Takasaki auf Anfrage per email. "Aber wir brauchen noch mehr Daten, um klarere Bilder zu bekommen."
    Die wären Grundlage für die Planung des schwierigsten Projekts: den Rückbau der Reaktoren selbst. Frühester Beginn dieser Arbeiten: 2025