Dienstag, 16. April 2024

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Funde auf drei Meteoriten
Kontroverse um angeblich außerirdisches Protein

Ein Astrobiologie-Team berichtet in einem Fachjournal, auf drei Meteoriten mehr als nur Aminosäuren nachweisen zu können: Die Mitglieder sind überzeugt, damit das erste extra-terrestrische Eiweiß entdeckt zu haben. Doch nicht alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teilen diese Ansicht.

Von Guido Meyer | 14.09.2021
Sternenhimmel
Im All wurden bereits Aminosäuren und andere organische Moleküle nachgewiesen. Ob jetzt tatsächlich ein Eiweiß entdeckt wurde, ist umstritten. (imago images / Panthermedia)
Ungarn, 1857; Mexiko, rund 100 Jahre später; Algerien, vor etwas mehr als 30 Jahren - auf den ersten Blick verbindet nichts diese drei Meteoritenfunde: andere Orte, andere Zeiten. Die Biochemikern Julie McGeoch von der Abteilung für molekulare und Zellbiologie der Harvard Universität in Cambridge, Massachusetts, jedoch will beachtliche Gemeinsamkeiten unter allen drei Steinen entdeckt haben – denn ihre Untersuchungsmethode war eine andere.
"In der Vergangenheit haben unsere Kollegen Meteoriten 24 Stunden lang ausgekocht, wenn sie sie untersuchten. Dabei wurden mögliche Makromoleküle natürlich zerstört. So findet man immer nur freie Aminosäuren, die Bausteine von Proteinen. Wir haben bei unseren Untersuchungen aber darauf geachtet, dass die Meteoriten maximal Zimmertemperatur ausgesetzt waren. Und so sind wir fündig geworden."
Die Oberfläche des Planeten Venus
Weltraumforschung - Die Suche nach Leben im All
2020 hat ein internationales Forscherteam von möglichen Lebensspuren in der Gashülle des Planeten Venus berichtet. Doch sicher ist bisher nur eines: Der Nachweis von Leben auf Himmelskörpern ist äußerst schwierig.
Von allen drei Meteoriten hat Julie McGeoch hauchdünne Schnitte angefertigt und diese massenspektrometrisch auf ihre Bestandteile hin untersucht. Dabei zeigte sich: "Sie enthalten intakte Proteine. Das ist völlig neu. Das Protein besteht vor allem aus der Aminosäure Glycin. Das ist die einfachste aller Aminosäuren. Die Glycinketten sind über Siliziumbrücken angebunden. An ihr reaktives Ende sind außerdem Lithium-, Eisen- und Sauerstoffatome gedockt."

Namensvorschlag für das Protein: Hemolithin

Besondes Lithium und Eisen sind für ein organisches Protein ungewöhnlich. Der Name des Proteins: Hemolithin – so der Vorschlag seiner Entdecker. Dazu gehört auch der schottische Physiker Malcolm McGeoch von dem privaten Plasmaphysikunternehmen Plex Corporation: "Das ist das erste Mal, dass wir solch ein Protein gefunden haben. Ob es diese Form von Eiweißen auch auf der Erde gibt – das wissen wir nicht."
Kritiker werfen ihren Kollegen aus Massachusetts gleich zweierlei vor: Dieses Makromolekül sei kein Protein – und extraterrestrisch sei es auch nicht. Der Chemiker Lee Cronin von der Universität Glasgow würde allenfalls den Begriff Polymer akzeptieren: "Sie haben kein Protein gefunden. Ein Protein ist nicht nur eine Ansammlung von Atomen. Es ist etwas, das durch den Prozess der Evolution entstanden ist. Nehmen Sie zum Beispiel Hämoglobin. Das ist ein sehr großes Protein in unserem Blut. Es ist für den Sauerstofftransport verantwortlich. Hämoglobin besteht aus mehreren hundert Aminosäuren, die in einer präzisen Reihenfolge angeordnet sind."
Dem Protein aus dem All – wenn es denn eines ist – würde also eine Art Funktion fehlen, so der Vorwurf. Proteine hätten bestimme Aufgaben. Stimmt, gibt Malcolm McGeoch zu. "Anfangs hatten wir keine Idee, welche Funktion dieses Protein haben könnte. Es sieht aus wie eine Struktur für irgendetwas, eine Art Gerüst. Man könnte es mit der Entdeckung eines skelettierten Fossils vergleichen. Es ist ein dreidimensionales Gitter mit großen Zwischenräumen. Wir glauben, dass sich darin Material ansammeln könnte, um sich ständig zu vergrößern."

Wasserstoff aus den Tiefen des Alls

Solche Proteine könnten in proto-planetaren Gasscheiben existieren, aus denen Sterne und Planeten entstehen. Auch die drei Meteoriten dürften einen solchen Ursprung haben. Und es gebe einen weiteren Beleg dafür, dass dieses Protein nicht von der Erde stammen könne: das Verhältnis von normalem Wasserstoff zu schwerem Wasserstoff, zu Deuterium.
"Von Deuterium kommen auf der Erde nur 155 pro eine Millionen Teile Wasserstoff vor. Aber in diesem Protein gibt es 26 mal mehr Deuterium. Das heißt, dass das Protein nicht von der Erde stammt. Es kann nicht von der Erde stammen. Solche hohen Vorkommen von Deuterium finden wir sonst in Kometenmaterial."
Astrobiologen haben mittlerweile Aminosäuren und andere organische Moleküle im All entdeckt. Der Nachweis eines Proteins wäre also der nächste logische Schritt und nicht unwahrscheinlich.
Der Zufall, aus frei umher fliegenden Aminosäuren ein Protein entstehen zu lassen, ist dem Chemiker Jeffrey Bada von der Universität von Kalifornien in San Diego, aber zu groß. "Aminosäuren scheinen im All spärlich gesät zu sein. Außerdem müssten sie konzentriert vorkommen, vielleicht in einer molekularen Gaswolke. Um daraus ein Protein entstehen zu lassen, müssten sich viele Aminosäuren zusammenfinden. Dass sich zwei, ganz zu schweigen zehn Aminosäuren zu einem Protein verbinden, erscheint mir sehr unwahrscheinlich."

Es bleibt Skepsis

Diese Ausgangsbedingungen im All werden von dem Forscherteam aus Massachusetts nicht angezweifelt. Andererseits: Der Weltraum sei groß – und die zur Verfügung stehenden Zeiträume lang, findet Julie McGeoch.
"Theoretische Berechnungen zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, dass frei umher fliegende Aminosäuren sich im All verbinden. Schließlich haben sie dazu Milliarden von Jahren Zeit gehabt. Dass sich Glycinketten bilden, ist anhand solcher Modelle leicht nachzuvollziehen."
Um das Für und Wider rund um das womöglich erste entdeckte außerirdische Protein zu klären und die Skeptiker zu überzeugen, bleibt dann wohl – wie so oft – nur die Bestätigung und ein entsprechender Nachweis durch ein weiteres Forscherteam.