Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Fusion von FCA und PSA
Automobilexperte rechnet mit Stellenabbau

Trotz aller Ankündigungen, nach der Fusion von PSA und Fiat Chrysler keine Standorte zu schließen, erwartet der Automobilexperte Stefan Bratzel Anpassungen in den kommenden Jahren. Das ergebe sich einerseits durch Synergien, andererseits aus der stärkeren Bedeutung der Elektromobilität.

Stefan Bratzel im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 18.12.2019
Mann arbeitet in einem Autowerk an einer Karosserie
"Ich glaube, dass wir über längere Sicht sicherlich auch Standortfragen haben werden", meint Automobilexperte Stefan Bratzel (Imago / ITAR-TASS)
Jörg Münchenberg: Wochenlang ist verhandelt worden; jetzt ist der Deal zumindest auf Konzernebene unter Dach und Fach. Die französische PSA-Gruppe fusioniert mit dem Fiat Chrysler Konzern und dabei entsteht der viertgrößte Autobauer der Welt, zu dem dann auch Opel gehören wird als Teil von PSA. Beide Konzerne setzen auf enorme Einspareffekte, die dann auch für die milliardenschweren Investitionen in neue Antriebstechniken genutzt werden könnten – so zumindest die Hoffnung.
Am Telefon ist jetzt der Automobilexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Herr Bratzel, ich grüße Sie!
Stefan Bratzel: Ich grüße Sie, Herr Münchenberg.
"Eine sinnvolle, auch eine notwendige Fusion"
Münchenberg: Herr Bratzel, ist das eine sinnvolle Fusion?
Bratzel: Aus meiner Sicht ist das eine sinnvolle, auch eine notwendige Fusion. Aus Sicht von Fiat Chrysler sogar überlebensnotwendig. Fiat Chrysler suchte schon länger einen Partner. Man braucht dringend einen starken Partner, mit dem man künftige Entwicklungsvorhaben etwa der E-Mobilität realisieren kann. Also insgesamt wichtig, auch für PSA. Man wird viertgrößter Player, spielt in der ganz großen Liga mit, kann Entwicklungskosten – im Beitrag eben ist es erwähnt worden – senken. Also insgesamt eine ganz sinnvolle Sache.
PSA und FCA Logo
PSA und Fiat Chrysler: Viertgrößter Autobauer der Welt entsteht
Nach wochenlangen Verhandlungen haben die Opel-Mutter Peugeot Société Anonyme (PSA) und Fiat Chrysler ihre Mega-Fusion beschlossen. PSA will neue Marktanteile hinzugewinnen, Fiat Chrysler braucht neue Technologien.
Münchenberg: Auf der anderen Seite sind ja Großfusionen auch in der Autobranche schon krachend gescheitert – man denke nur an die vermeintliche Hochzeit im Himmel damals zwischen Daimler und Chrysler.
Bratzel: Ja, das ist richtig. Es ist kein Selbstläufer. Es gibt auch bei anderen, auch langjährigen Fusionen, etwa der Kooperation, der Allianz zwischen Renault und Nissan, scharfe Risse. Da hat man es nicht geschafft, viele Synergien zu realisieren. Und das wird auch jetzt eine spannende Aufgabe in der Umsetzung, diese Synergien in der Praxis zwischen PSA/Opel und FCA zu realisieren. Da wird es sicherlich trotz aller Ankündigungen, man schließt keine Standorte und die Mitarbeiter bleiben auf gleichem Niveau, in ein paar Jahren vielleicht doch einige Anpassungen geben. Das erwarte ich zumindest.
"Ein gewisses Risiko, auch auf kultureller Ebene"
Münchenberg: Herr Bratzel, da geht es ja immer auch um unterschiedliche Unternehmenskulturen, die da zusammenprallen, und manchmal ist es ja so, dass die Unternehmen dann mehr damit beschäftigt sind, diese Kulturen irgendwie vereinbar zu machen, als sich dann ums Geschäft zu kümmern. Wie groß ist diese Gefahr?
Bratzel: Ich glaube, zwischen PSA und Fiat ist man immerhin unter europäischen Partnern unterwegs. Man hat mit Marchionne lange Jahre einen Chef, der ein internationaler Typ war. Insofern hat man schon ein bisschen Erfahrungen, indem Fiat mit Chrysler ja fusioniert ist. Das sind schon eher positive Rahmenbedingungen, dass diese Fusion gelingen kann. Aber klar: Man muss Franzosen, Amerikaner und Italiener jetzt hier zusammenbringen. Man muss eine gemeinsame Sprache entwickeln. Man hat auch unterschiedliche Interessen. Das darf man nicht vergessen. Der französische Staat ist bei PSA mit im Boot und wird dafür Sorge tragen, dass die Standorte in Frankreich möglichst stark sind und auch erhalten bleiben. Wir haben die italienischen Standorte, die stark unterausgelastet sind, wo es sicherlich (wahrscheinlich zurecht) auch Befürchtungen gibt, dass da in den nächsten Jahren etwas wegfallen kann. Und dann haben wir die US-amerikanische Welt, wo man große Spritschlucker verkauft, sehr erfolgreich verkauft. Es ist schon ein gewisses Risiko sicherlich auch in dieser großen Fusion, auch auf kultureller Ebene.
Münchenberg: Nun steht ja die Branche insgesamt doch ziemlich unter Druck. Die Nachfrage geht ja eher zurück. Gleichzeitig hofft man jetzt auf enorme Einspareffekte. Aber droht am Ende nicht vielleicht ein Nullsummenspiel, dass man auf der einen Seite zwar Einspareffekte erzielt, aber andererseits Probleme hat mit dem Absatz?
Bratzel: Ja! Ich glaube, PSA, jetzt auch gemeinsam mit FCA, steht vor den gleichen Problemen wie andere Automobilhersteller auch. Wir haben quasi eine Art Superwelle. Wir haben einerseits rückgehende globale Nachfrage – schauen Sie nur auf Deutschland. Im letzten Jahr ging die Produktion um neun Prozent zurück, in diesem Jahr wiederum um neun bis zehn Prozent. Das sind enorme Rückgänge. Das ist die eine Ebene und die andere Ebene ist: Man braucht enorm hohe Entwicklungsaufwendungen für diese neuen Themen, allen voran der Elektromobilität. Das trifft alle, aber das trifft auch jetzt diesen neuen Großkonzern.
Aber ich würde das ganz positiv sehen. Ich glaube, dass die Wettbewerbschancen in einem solchen Verbund größer sind als alleine. Weil es geht ja darum, dass man diese Entwicklungskosten für Elektromobilität auf möglichst viele Fahrzeuge dann verteilen kann. Und wenn man jetzt einen weiteren Player mit vier, fünf Millionen Absatzzahlen hat, dann kann man diese Entwicklungskosten auf mehr Stück verteilen und hat auch mehr Gelder, um vielleicht einen ganz spezifischen Elektrobaukasten zu entwickeln. Bislang war das nicht möglich. Vor ein paar Monaten habe ich Tavares selbst gefragt, wie sieht er seine Position im Bereich Elektromobilität gegen den Volkswagen-Konzern, der ja so einen spezifischen Elektrobaukasten gebaut hat. Seine klare Antwort war: Wir haben im Grunde nicht das Geld, um einen solchen spezifischen Baukasten bauen zu können. So einfach war die Antwort. Mit FCA zusammen sind die Chancen hier schon deutlich besser.
Standortfragen könnten über längere Sicht kommen
Münchenberg: Nun heißt es ja auch heute in der Pressemitteilung, das Ganze soll jetzt ohne Standortschließungen vonstattengehen. Keine Fabrik soll geschlossen werden. Ist das realistisch?
Bratzel: Da kommt es darauf an, was für einen Zeithorizont man hier ansetzt. Für die Fusion ist das die Ansage, um alle Seiten erst mal zu beruhigen und die Fusion auch realisieren zu können. Auf lange Sicht kann das keiner garantieren. Man kann Standorte nur dann erhalten, wenn man hoch wettbewerbsfähig ist, und die Wettbewerbsfähigkeit zeigt sich darin, wie man gegenüber anderen Playern aufgestellt ist, die ihrerseits ja versuchen, ihre Effizienz zu erhöhen. Ich glaube, dass wir über längere Sicht sicherlich auch Standortfragen haben werden. In Italien ist die Auslastung der Standorte sehr niedrig. Da macht es keinen Sinn, diese ganzen Standorte aus meiner Sicht zu erhalten. Wenn man Synergien heben will, stellt sich gleich mal die Frage, an welchen Standorten finden dann bestimmte Funktionen statt, wo finden bestimmte Entwicklungen statt. Auch da heißt es, wenn man die zusammenlegt, dass man weniger Menschen prinzipiell braucht. Längerfristig würde ich davon ausgehen, dass auch die Mitarbeiter in den nächsten fünf bis acht Jahren deutlich weniger werden. Das ergibt sich schon allein aus der stärkeren Bedeutung der Elektromobilität, die nun auch in der Produktion sehr viel weniger Beschäftigte braucht, aber auch durch die Synergien.
Münchenberg: Herr Bratzel, lassen Sie uns noch mal ganz kurz auf Opel zu sprechen kommen. Das ist ja ein Teil von PSA. Was heißt diese Fusion jetzt für Opel?
Bratzel: Für Opel heißt das, dass ein weiterer Player hinzugekommen ist, der auch relevant ist, wenn es um neue Produktionsprojekte geht, neue Fahrzeugprojekte geht. Man bewirbt sich dann innerhalb des jetzt größer gewordenen Produktionsverbundes um neue Aufträge, und da stehen dann die Standorte in Frankreich und jetzt auch in Italien und andernorts im Wettbewerb untereinander und gegen die muss man dann auch kostenmäßig erfolgreich sein. Es wird eher schwieriger, es wird eher ein bisschen komplizierter und größer, aber der Vorteil von Opel ist, dass man jetzt gezeigt hat, dass man erfolgreich sanieren kann und dass man die Ziele, die Tavares gesetzt hat – die waren ja sehr klar -, erfüllt hat. Und man hat, wenn man so will, jetzt auch einen kleinen Stein im Brett bei Tavares, was die weitere Entwicklung anbetrifft.
Baustelle China ist nicht behoben
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen, der gilt ja nur bis Mitte 2023, und da stellt sich ja schon die Frage, was dann.
Bratzel: Das ist völlig richtig und ich habe es ja eben auch angedeutet. Man kann eigentlich in der Sicht fünf, sechs Jahre keine Sicherheit geben. Das ist eine vermeintliche Sicherheit. Die Sicherheit für Arbeitsplätze ist nur dann da, wenn man hoch wettbewerbsfähig ist. Das sind nicht nur Kostenspar-Effekte, die man da realisieren muss; da muss man auch erfolgreiche Produkte in den Markt bringen. Das hängt auch vom Design ab, da spielen andere Themen auch noch eine Rolle.
Im Übrigen spielen natürlich dann auch Fragen eine Rolle, inwiefern man dann in weitere Märkte erfolgreich hineingehen kann, wie etwa Russland, was man ja mit Opel planen will. In Indien versucht man mit Citroen hineinzugehen. China ist eine große Baustelle, nach wie vor, im PSA FCA Opel Konzern. Dort ist FCA fast nicht vertreten, PSA hat große Probleme mit Dongfeng im chinesischen Markt. Im Prinzip wird auch durch diese Fusion diese Baustelle China nicht behoben. Das ist nach wie vor, wenn man so will, eine große Baustelle innerhalb des neuen Großkonzerns.
Münchenberg: Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Erwarten Sie jetzt noch mehr Fusionen in der Automobilbranche, oder war es das erst mal?
Bratzel: Definitiv ja. Wir haben einen klaren Drang zur Größe, und das werden wir auch in den nächsten Jahren noch weiter erleben. Kleine Player müssen sich zumindest in Kooperationen mit den größeren zusammenschließen. Sonst werden sie nicht überleben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.