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Fußball
Alle Jahre wieder

2015 wurde mit den Skandalen in FIFA, DFB und in der Leichtathletik so deutlich wie nie zuvor, dass die moralischen Werte, die der Sport nach außen verkörpert, nicht als Maßstab für das eigene Handeln der Organisationen dient. Diese Differenz zeigt sich nun auch mal wieder in den Trainingslagerreisen einiger großer Fußballklubs.

Von Daniel Theweleit | 03.01.2016
    Ein Fußball über der Skyline von Doha, Emirat Katar
    Bundesligisten überwintern gerne in den Ölstaaten des mittleren Ostens. (picture alliance/ dpa/ Frank Rumpenhorst)
    Routiniert reagieren die Verantwortlichen des FC Bayern München vor ihrem nun schon fünften Wintertrainingslager in Katar auf die übliche Kritik an ihrer Reise. Dort werde eben eine andere Kultur gepflegt als in Deutschland, sagt Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zur schwierigen Menschenrechtslage auf der arabischen Halbinsel. Und ein Trainingslager sei eben keine politische Äußerung. Die Münchner haben die Erfahrung gemacht, dass die kritischen Berichte schnell vergessen sind. Und den Fehler, Spiele in Saudi Arabien zu vereinbaren, was vor einem Jahr auch viele Politiker empörte, werden sie nicht noch einmal machen. Dennoch kann das Trainingslager des Rekordmeisters nach einem Jahr der Sportskandale als neues Steinchen im Mosaik der moralischen Verwerfungen im Weltfußball betrachtet werden. Der renommierte Sportethiker Elk Franke glaubt, "dass wir in den letzten Monaten ein Bild einer Doppelmoral von organisiertem Fußball erlebt haben. Auf der Hinterbühne in hohem Maße betriebs- und gewinnorientierte Mechanismen bis hin zu Betrügereien und auf der Vorderbühne Fairness und authentisches Leistungsstreben. Und die Fans fangen zunehmend an, die Vereine und Verbände hinsichtlich dieser praktizierten Doppelmoral anzuprangern."
    Bei der Wahl der Trainingslager sind die hervorragenden klimatischen Bedingungen und die gute Qualität der Trainingsanlagen in den Ölstaaten aber so verlockend, dass moralische Bedenken in den Hintergrund treten. Um die Pflege des eigenen Images auf den umkämpften asiatischen Märkten gehe es bei den Reisen nicht, betonen die Verantwortlichen bei Borussia Dortmund. Der Bundesligazweite wird vom 7. bis zum 16. Januar im arabischen Emirat Dubai an der Fitness und den fußballerischen Feinheiten arbeiten. Für Daniel Mertens, der als Autor beim kritischen Dortmunder Fanzine schwatzgelb.de arbeitet, ist das eine Enttäuschung.
    "Es gibt in Dubai zwei Aspekte für mich. Es gibt einmal den Aspekt der Menschenrechte vor Ort, man kennt ja die Berichte von Human Rights Watch und vom Auswärtigen Amt, dass es da zu willkürliche Verhaftungen kommt, dabei auch noch zu Folter und Misshandlungen. Dass es kein demokratisches System gibt, keine Partien. Die Frauenrechte sind sehr beschnitten, um es vorsichtig zu formulieren, Homosexuelle haben gar keine Rechte, und da finde ich es einfach schwierig für einen Verein wie Borussia Dortmund, der sich eigentlich Toleranz und Weltoffenheit auf die Fahnen schreibt, in so ein Land zu fahren und dort so ein Trainingslager zu machen."
    Der BVB hat seine Reise mit freundlicher Unterstützung von Dubai Tourism organisiert, heißt es auf der Homepage des Klubs. Damit treten die Dortmunder als eine Art Werbepartner für die größte Stadt in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf. Und gleich zweimal verkündete der Bundesligist im Abstand von mehreren Wochen über seine Kommunikationskanäle: "Trotz lukrativer Angebote hat der BVB übrigens mehrere Testspiel-Offerten aus Ländern ausgeschlagen, in denen die Menschenrechts-Situation nicht mit den Maßstäben von Borussia Dortmund in Einklang zu bringen bzw. eine offene Diskussion über das Thema Menschenrechte nicht möglich ist."
    Das klingt auf den ersten Blick gewissenhaft und vernünftig, heißt aber Umkehrschluss: In Dubai ist alles in Ordnung. Und die Organisation der moralisch vertretbaren Testspiele erweist sich als äußerst kompliziert. Auch vier Tage vor Abflug ist unklar, gegen welche beiden Gegner Trainer Thomas Tuchel mit seiner Mannschaft im Rahmen des Trainingslagers spielen kann.
    "Das zeigt, dass der Verein auch nicht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll, die haben sich da irgendwie reinmanövriert. Und man weiß nicht wie man aus dieser Nummer möglichst gut wieder rauskommt, auch um das Ansehen gegenüber den eigenen Fans nicht zu verlieren, beziehungsweise die Werte irgendwie noch hochzuhalten", sagt Daniel Mertens, der dennoch glaubt, dass die Dortmunder sich ganz bewusst in die moralische Grauzone hineinbewegen. Weil der Gewinn "durch dieses Trainingslager das bisschen Grummeln an der Basis deutlich überwiegt".
    Dem FC Bayern haben die Reisen nach Katar jedenfalls keinen nachhaltigen Schaden zugefügt. Viel zu hell leuchtet der Glanz der sportlichen Erfolge. Viel zu mächtig ist die Begeisterung der Massen. Der Sportethiker Elk Franke glaubt, dass kritikwürdige Aktivitäten wie die Reisen in den mittleren Osten vom oftmals opulent inszenierten sozialen Engagement der Klubs überstrahlt werden. Diese wohltätigen Aktivitäten ermöglichen dem Sport, "zwischendurch auch gesellschaftspolitisch Flagge zu zeigen im Zusammenhang mit Herausforderungen wie sie durch die Flüchtlingskrise aufgetreten sind, oder im Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris. Aber diese Sportmoral ist nicht handlungsleitende Moral."
    Handlungsleitend sind offenbar andere Interessen. Wenn es um Marketing geht oder auch nur um die Suche nach den besten Trainingsbedingungen, werden die Werte, die die Klubs und die Verbände selbst propagieren, eben nicht immer ganz so genau genommen.