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Fußball als Marketing-Ereignis

Die Vorbereitungen auf die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland laufen auf Hochtouren - bei Veranstaltern und Sponsoren. Jedes Unternehmen will ein Stück vom WM-Kuchen abhaben, koste es, was es wolle. Doch viele Fans beklagen, dass die Veranstaltung zu einem reinen Medien-Event verkommt.

Von Andre Hatting und Brigitte Scholtes | 15.06.2005
    Seit 18 Uhr spielt heute Argentinien gegen Tunesien in Köln, um 21 Uhr wird das Spiel Deutschland gegen Australien in Frankfurt angepfiffen. Deutschland ist im Fußballfieber, und das ein Jahr vor der Weltmeisterschaft. Denn seit heute kämpfen acht Mannschaften um den Confederations Cup. Dieses Freundschaftsturnier mit acht teilnehmenden Mannschaften wird seit 1997 alle zwei Jahre ausgetragen. Ein Jahr vor der WM gilt es als eine Art Generalprobe für das große Ereignis.

    Auf die Weltmeisterschaft bereitet man sich in Frankfurt schon seit Monaten vor: Das betrifft nicht nur die direkte Organisation des Ereignisses, die Stadt weiß auch um den Wert einer solchen Mammutveranstaltung für ihr Image. Das Straßenbild muss aufpoliert werden, erzählt Stephan Heldmann, Leiter des Grünflächenamtes der Stadt: Mit dem Finger auf dem Stadtplan fährt er die Strecke von der westlichen Einfallstraße an der Messe bis zum Stadion im Süden der Stadt ab:

    " Woran wir arbeiten, ist der Straßenbereich von der Theodor-Heuss-Allee her kommend über die Friedrich-Ebert-Anlage, die schon hergestellt ist in diesem Erscheinungsbild, nächster Aspekt ist der Hauptbahnhof-Vorbereich, dann geht es bis zum Baseler Platz, dort wird auch etwas stattfinden, an der Friedensbrücke auf beiden Seiten am Tiefufer wird eine Sanierung auch bis Juni 2006 abgeschlossen sein als letzte Maßnahme am Mainufer. "

    Das kostet Geld, Geld, das die Stadt nicht hat.

    Sponsoren sind für ein sportliches Großereignis dieser Art unerlässlich, und das beginnt schon im Vorfeld. Für allein 1,4 Milliarden Euro wurden Stadien umgebaut oder sogar neu errichtet wie etwa die Allianz-Arena in München oder das Waldstadion, pardon, die Commerzbank-Arena in Frankfurt. Denn seit ein paar Wochen hat sich das Bankhaus die Namensrechte an dem neuen Stadion der Mainmetropole gesichert, warum, das erläutert Willi Sonntag, Werbeleiter der Commerzbank:

    " Sport ist hoch emotional und insbesondere im Vorfeld einer Fußball-Weltmeisterschaft ist man sehr schnell dabei, dass Fußball eigentlich das wichtige sportliche Betätigungsfeld ist, auf das man sich begeben muss. Wir haben etwa 50 Millionen Fußballinteressierte in Deutschland, davon sind 20 Millionen sehr stark engagiert sogar. Dann brachte es der Zufall mit sich, dass in dieser schönen Stadt ein neues Sportstadion gebaut wird, was höchstens alle 30, 40 Jahre mal passiert, und wir auf die Art und Weise zeigen konnten, dass wir ein hohes Engagement für diese Stadt zeigen wollen und bei der Refinanzierung, um in unserer Sprache zu bleiben, mitzuhelfen. "
    Das Aufpolieren des eigenen Bildes in der Öffentlichkeit lässt sich die Commerzbank in den nächsten zehn Jahren insgesamt einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Auch von der Fußball-WM in Frankfurt hofft die Bank zu profitieren, wenn auch nicht unmittelbar, sagt Sonntag:

    " Direkt versprechen wir uns von der Fußball-Weltmeisterschaft aus unserer Sicht, aus Sicht der Commerzbank heraus, nicht so sehr viel, weil der Stadion-Name während der Fußball-Weltmeisterschaft zugehängt wird. Das heißt, alle Stadien in Deutschland werden neutralisiert, es wird kein Stadion mit irgendeiner Marke belegt sein können. Insofern direkt versprechen wir uns nicht so sehr viel davon, indirekt natürlich schon eine ganze Menge, weil in diesem Jahr vor der Weltmeisterschaft die gesamte Berichterstattung, das gesamte Interesse der Bevölkerung an dieser Sportart erheblich zunehmen wird, insofern wird dann auch das Interesse auf Frankfurt, auf die Frankfurter Sportstätte gerichtet, zumal wir hier eines der modernsten und schönsten Stadien Deutschlands haben, insofern profitieren wir sicherlich indirekt davon. "

    Bei der WM dürfen nur die offiziellen Fifa-Sponsoren werben, und eine Postbank, die zu den nationalen Förderern gehört, hätte sicher keine besondere Freude an einem Austragungsort, der den Namen eines Konkurrenten trägt, lacht Sonntag. Schließlich zahlen diese nationalen Förderer etwa zehn Millionen Euro an die Fifa, dazu gehören neben der Postbank die Baumarktkette Obi, die Hamburg-Mannheimer-Versicherung, der Energiekonzern EnBW, die Deutsche Bahn und Oddset. Die 15 WM-Sponsoren lassen sich den Spaß gar 40 Millionen Euro kosten und dürfen dafür weltweit mit Fifa-Logo und Maskottchen werben.

    Einige deutsche Unternehmen haben diese Möglichkeit schlicht verschlafen, so ist ein deutsches Automobilunternehmen im Auto- und Austragungsland Deutschland nicht vertreten, vielmehr darf sich Hyundai WM-Sponsor nennen. Mercedes stellt nur deshalb die Mannschaftsbusse, weil Hyundai sie nicht baut. Immerhin aber zählen der Reifenhersteller Continental, die Deutsche Telekom und natürlich Adidas dazu.

    Adidas hat als Sportausstatter ein besonderes Interesse an der Fußball-WM. Am Produktionsstandort Scheinfeld in der bayerischen Provinz mitten zwischen Würzburg und Nürnberg wird immer noch ein Schuh in Massenherstellung gefertigt, 2500 Paare täglich, erzählt Leiter Karl-Heinz Lang:

    " Der Schuh, der hier produziert wird, der wird in zwei Jahren sein 25-jähriges Jubiläum feiern. Das ist mit Sicherheit der bekannteste und am meisten produzierte Fußballschuh auf der ganzen Welt, und für alle Zeiten, nehme ich mal an. Der Schuh heißt Coppa Mondiale, der wurde 1979 zum ersten Mal entwickelt, aber in seiner endgültigen Form 1982 in den Markt gebracht. Und seitdem ist der Schuh praktisch unverändert und wird heute auch nicht nur von einfachen, sondern auch von Top-Spielern getragen, und das beweist natürlich dann auch seine Klasse. "

    Andere Profis hingegen haben besondere Ansprüche und lassen sich ihr Fußwerk von Hand fertigen, auch in Scheinfeld von Spezialisten, die spezielle Kleinstmaschinen benutzen. Zu denen gehört etwa der englische Starkicker David Beckham, erzählt Lang:

    " Sie wissen ja sicher, dass der David Beckham ja von Anfang an seine Söhne, also erstmal seinen Sohn und jetzt seine Söhne auf den Schuhen haben möchte. Ursprünglich war es der rechte Schuh - Brooklyn, und der linke Schuh kam dann dazu mit Romeo, jetzt hat er ja drei: Bruce. Und schon war eine Nuss zu knacken, wo bringt man jetzt den dritten hin, weil man ja nur zwei Schuhe hat, aber wir haben Gott sei Dank ja drei Streifen, da sind die jetzt drauf, denn da kommt noch mehr dazu, beispielsweise die englische Flagge, wenn er für England spielt, oder die Nummer Sieben, wenn er für England spielt, die Nummer 23, wenn er für Real Madrid spielt, und solche Dinge. Und das ist beileibe nicht nur für ihn, das ist für alle, die das gerne hätten, das ist ja nicht nur ein Gag, man muss sich ja wohl fühlen mit einem Werkzeug, mit dem man gute Leistungen bringen will, und das gehört zum Wohlgefühl irgendwie dazu. Auch ein Michael Ballack lässt sich seine Söhne draufsticken auf die Schuhe. "

    Adidas rüstet auch für die WM viele Mannschaften mit Schuhen aus, aber steht natürlich in Konkurrenz zu anderen Sportartikelherstellern, mögen die nun Puma oder Nike heißen. Adidas hofft nicht nur als Ausrüster auf Verdienstmöglichkeiten, sagt Anne Putz, Sprecherin des Unternehmens:

    " Wir werden natürlich die Fußball-WM als eine Plattform nutzen, um uns zu präsentieren, wir sind ja offizieller Sponsor, Lizenznehmer und Ausrüster der WM. Natürlich werden wir diese Gelegenheit nutzen, dass es eine erfolgreiche WM wird. Wir haben einige Sachen die wir planen, es wird einen neuen Spielball geben, es wird neue Produkte geben, und es wird auch kommunikationsmäßig einiges geben, aber da kann ich leider jetzt noch nichts verraten. "

    Adidas hofft jedenfalls, seinen Umsatz mit Fußballprodukten auf eine Milliarde Euro steigern zu können, das wären 100 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr. Aber nicht nur einzelne Unternehmen oder Sponsoren sollen profitieren. Die gesamte deutsche Volkswirtschaft soll einen Schub erhalten, hofft Marco Bargel, Chefvolkswirt der Postbank:

    " Das ist ein sehr wichtiges Event, wir sind eine sehr fußballbegeisterte Nation, und natürlich auch ein bisschen abhängig vom sportlichen Erfolg, gar keine Frage, denke ich, ist das schon ein Fakt, den man nicht unterschätzen darf und der aus volkswirtschaftlicher Sicht so ein bisschen ein Wachrütteln bewirken kann. "

    Und das könnte dann auch die Konsumlust wieder ankurbeln. Wie hoch der gesamtwirtschaftliche Effekt ist, haben die Volkswirte auch schon ausgerechnet:

    " Wir haben uns die verschiedenen Verwendungskomponenten des Bruttoinlandsprodukts angeschaut, das sind vor allem die Investitionen beispielsweise, dort erwarten wir einen Effekt von etwa sechs Milliarden Euro. Das sind Investitionen in die Infrastruktur, das sind Investitionen vor allem auch in die Stadien, das sind alleine etwa 1,4 Milliarden Euro. Das sind aber auch Investitionen privater Unternehmen, beispielsweise neue Hotelbauten im Umfeld der WM. Dann haben wir als zweiten wichtigen Sektor den privaten Konsum, das sind die Ausgaben der Fans im Umfeld der Veranstaltung, zum großen Teil auch durch ausländische Gäste, das sind so etwa eine Million ausländische Gäste, die erwartet werden im Vergleich zu drei Millionen insgesamt, und das sind dann Ausgaben, die auf der Exportseite verbucht werden. "

    Bis zu zehn Milliarden Euro dürfte der gesamtwirtschaftliche Impuls für Deutschland insgesamt ausmachen, das wäre ein Plus von 0,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Das aber konzentriert sich nicht nur auf das kommende WM-Jahr, die Investitionen in Stadien oder Infrastruktur sind ja schon in den Jahren zuvor angefallen.

    Auch die Tourismusbranche hat vorgesorgt: Zahlreiche neue Hotels sind auch im Hinblick auf die WM erbaut worden, 55.000 Zimmer können täglich vermittelt werden, sagt Thomas Edelkamp, Geschäftsführer der Fifa-Tochter World Cup Accomodation Services, und das zu angemessenen Preisen:

    " Das Angebot in Deutschland zeichnet sich nicht zuletzt auch dadurch aus, dass wir im internationalen Vergleich ein ganz hervorragendes Preis-Leistungsverhältnis haben, und wir sind in der Lage, das auch während eines so großen Events wie der Fußball-Weltmeisterschaft tatsächlich auch da zu verkaufen, zu vermitteln, und hoffen natürlich, dass das auch einen positiven Effekt auf die Zeit nach der Fußball-Weltmeisterschaft haben kann. "

    Gastronomen und Einzelhändler, Logistikfirmen oder Medienkonzerne: sie alle werden einen Teil des WM-Kuchens haben wollen. Für das kommende Jahr, so glauben die Volkswirte der Postbank, dürften bei einem Wirtschaftswachstum von insgesamt zwei Prozent 0,3 Prozentpunkte auf die WM zurückzuführen sein.

    Andere Sportökonomen erwarten von der WM ebenfalls positive Impulse, allerdings rechnen manche von ihnen im kommenden Jahr nur noch mit einem Plus von allenfalls 0,2 Prozent. Impulse könnten das auch für den Arbeitsmarkt sein: 40.000 neue Jobs erwartet die Postbank, andere Volkswirte rechnen sogar mit der doppelten Anzahl – wenn auch nicht langfristig. Bier-, Eis- oder Wurstverkäufer werden wohl nicht dauerhaft Arbeit finden.

    Für Berliner Unternehmen ist die WM ein Volltreffer. Erstens: die Hauptstadt ist Austragungsort. Zweitens wird die deutsche Fußballnationalmannschaft in Berlin ihr Trainingslager aufschlagen. Das garantiert zusätzlich zu den Millionen Touristen noch einmal Tausende von Medienvertretern.

    Die Industrie- und Handelskammer Berlin rechnet mit einem Umsatzplus von 385 Millionen Euro. Der Berliner Senat plant sogar, für den Zeitraum des Turniers die Ladenschlusszeiten freizugeben – nach dem Modell der Expo 2000 in Hannover. Profitieren wollen aber nicht nur die großen Berliner Firmen. Auch kleine. Und ganz kleine.

    " Mein Name ist Michael Diersch. Ich bin 37 Jahre alt und bin Inhaber des Unternehmens 'Miguel Private Label Cigars'. "

    "Miguel Private Label Cigars" kommt mit zweieinhalb Mitarbeitern aus. Das Unternehmen ist auf besondere Zigarren spezialisiert. Die Tabakblätter lässt Michael Diersch von einer großen Firma in der Dominikanischen Republik rollen. Der Clou dabei: Das Motiv der Bauchbinde jeder Zigarre bestimmt der Kunde. So sind im Laufe der letzten drei Jahre eine Kanzler-Schröder-Zigarre, eine mit dem Parteilogo der FDP oder eine für den Autokonzern BMW entstanden.

    Im letzten Jahr haben Michael Diersch und seine Kollegen eine Zigarre für das Endspiel der Europameisterschaft in Portugal gebastelt. Das war sozusagen der Prototyp. Für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr setzt der 37-jährige ganz auf die Touristen in Berlin und ihre Wünsche nach Souvenirs:

    " Das ist für uns möglicherweise eine Chance, unsere Produkte stärker zu vermarkten, zu verkaufen und damit einen kommerziellen Erfolg zu erzielen. Das heißt, wir denken daran, für jedes einzelne Spiel eine ganz speziell kreierte Zigarrenbauchbinde zu gestalten, so dass es immer ein Andenken an jedes einzelne Fußballspiel gibt oder an die Stadt Berlin et cetera. "

    Die WM-Zigarre soll zwischen vier und sieben Euro kosten. Verkauft wird sie – so der Plan – stilecht von Südamerikanerinnen. Die zehn fliegenden Latinas dürfen allerdings nicht im Berliner Olympiastadion Zigarren anbieten. Das bleibt den Hauptsponsoren der FIFA vorbehalten.

    Bei einem Treffen der IHK im Frühjahr hatten viele der 600 anwesenden Unternehmer nur noch frustriert den Kopf geschüttelt. Denn auch alle WM-Logos und Symbole sind geschützt. Wer mit ihnen werben will, der muss viel Geld dafür bezahlen. Das aber hat Michael Dierschs Zweieinhalb-Mann-Betrieb nicht. Der 37-jährige wählt eine andere Strategie:

    " Wir wollen allgemeine Symbole verwenden, um im Prinzip mögliche rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Das ist halt die Frage für uns, inwiefern es da allgemeine Möglichkeiten gibt. Die Stadien werden alle eine Art Sperrzone. Das heißt, dass im Prinzip nur die großen Sponsoren, die alle Rechte erworben haben, die dürfen da tätig sein. Es ist für uns ausgeschlossen, dass wir da in der Nähe vorm Olympiastadion oder andern öffentlichen Punkte präsent sind. "

    Michael Diersch darf seine Zigarren nur auf den Plätzen mit öffentlicher Leinwand anbieten, "public views" genannt. Für diese Orte vergibt die Stadt die Verkaufsrechte. In Berlin wird das zwischen der Siegessäule und dem Brandenburger Tor sein.

    Auf das große Geschäft hofft auch die Bundesregierung. Ihr Geschäft heißt: Imagewerbung für den Standort Deutschland. Die 20 Millionen Euro teure Kampagne trägt den Titel:

    "Deutschland, Land der Ideen". Damit, gemäß dem WM-Motto der FIFA - "Die Welt zu Gast bei Freunden" - die Welt auch weiß, wo sie denn zu Gast sein wird:

    " Unterschätzen Sie nicht die kulturellen Faktoren. Die sind inzwischen durchaus Standortfaktoren, die zwar keine harten sind, aber als Faktoren durchaus eine Rolle spielen, nämlich in dem Sinne, dass man sagen kann, dieses Land hat etwas Liebenswertes, in diesem Land kann ich mich niederlassen. In dieses Land kann ich mein Kind zum Studieren schicken. Deswegen ist der Ansatz gut gewesen: "Zu Gast bei Freunden", was signalisieren sollte, das Deutschland ein weltoffeneres, tolerantes und empfangsbereites Land ist. "

    Gunter Gebauer hat ausgiebig zu der gesellschaftlichen Wirkung von Sportgroßereignissen geforscht. Der politische Effekt sei manchmal geradezu frappierend, sagt der Philosophieprofessor von der Freien Universität Berlin und fährt fort:

    " Wir haben gesehen zum Beispiel, dass Südkorea in der Lage war, Olympische Spiele zu veranstalten. Das hat sehr gewirkt in der Welt. Dann hat man wieder gesehen, dass Korea in der Lage war, glänzende Fußballereignisse zu veranstalten. Zwischendurch haben die Machthaber total gewechselt. Das ist vielleicht gar nicht in die Öffentlichkeit so sehr eingegangen. Diejenigen, die die Olympischen Spiele organisiert haben, sitzen inzwischen hinter Schloss und Riegel teilweise. Also die Feinheiten, wer die Macht hat und wie sie ausgeübt wird, wird gar nicht so sehr wahrgenommen. Das Entscheidende ist, es ist ein Land da, das hat eine Fülle von neuen Stadien gebaut, hat eine gut ausgebildete, begeisterungsfähige, junge Anhängerschaft des Fußballs, die Stimmung ist großartig. Und wenn auch noch das Wetter gut ist, dann wird das auch noch denjenigen zugeschrieben, die gerade regieren. "

    Der Grund für diese euphorisierende Wirkung der WM sei einfach, wie Gunter Gebauer am Beispiel Deutschlands zeigt:

    " Eine Demokratie wie die deutsche im Augenblick funktioniert, ist so, dass sie aus lauter Differenzen besteht. Differenzen zwischen Arbeitnehmern dun Arbeitgebern. Differenzen zwischen den sozialen Schichten, zwischen den Medien. Konkurrenzen zwischen den Menschen, Differenzen zwischen Ost-West, zwischen denen, die Arbeit haben und denen, die keine Arbeit haben und so weiter. Das alles erhält eine öffentliche Bühne in den Medien, im Fernsehen, im Radio, in den Zeitungen, und darauf hat sich in Deutschland im Grunde genommen die Stimmung der Menschen eingependelt. Man erwartet das eigentlich inzwischen. Im Unterschied dazu schafft Sport Erfolg einer Nation - so etwas wie Einheit. "

    Scharfer Widerspruch kommt ausgerechnet von denen, um die es eigentlich bei der ganzen Veranstaltung geht: den Fußballfans. Die WM sei in erster Linie für die Sponsoren und die Politik gemacht, beklagt zum Beispiel das "Bündnis aktiver Fußballfans", kurz BAFF. Die Fans - und nicht nur die deutschen - kommen kaum an Karten. Nur ein Drittel der insgesamt 3,4 Millionen Tickets gehe in den freien Verkauf. Matthias Bettag, Sprecher von BAFF, zählt auf, wo die zwei übrigen Drittel bleiben:

    " Also zum einen gibt es die große, große Gruppe der so genannten FIFA-Familie. Mit den knapp 200 angeschlossenen Landesverbänden, die natürlich alle mit Tickets versorgt werden. Auch wenn der jeweilige Landesverband nicht an der Endrunde teilnimmt. Das ist zu einem gewissen Punkt auch verständlich. Es ist aber nicht verständlich, wenn Tausende von Tickets an fußballerische Kleinstaaten gehen, die nicht teilnehmen und wo im Vorfeld klar ist, dass das vor Ort sich a) keine Fans leisten können und b) keiner zu den Spielen kommt. Es ist aus der Vergangenheit bekannt, dass diese Tickets gerade der Verbände auch verstärkt dann auf den Schwarzmarkt gekommen sind. Das war bei der WM 98 ganz extrem der Fall, weil da schon auf den Tickets aufgedruckt war, an wen sie gingen und später genau so bei ebay auftauchten. "

    Den zweiten großen Kartenstoß erhalten die Sponsoren. Ein Skandal, findet Matthias Bettag:

    " Ich sehe nicht ein, warum im Hunderttausender-Bereich, und das ist der Fall, das ist nicht nur ein bisschen der Vorstand, warum im Hunderttausender-Bereich Tickets an Sponsoren gehen, die im Übrigen wie die Tickets der FIFA-Familie natürlich nicht so personalisiert und geprüft werden im Vorfeld. Das heißt, wenn ein Hooligan bei der Deutschen Telekom arbeitet, dann kommt er äußert leicht an Tickets. Und wird wenn überhaupt vielleicht am Eingang abgetastet und ist genauso drin. "

    Und das, obwohl der Bund und die FIFA die WM 2006 zur bis dato sichersten Sportgroßveranstaltung machen möchten. Seit den Vorfällen im slowenischen Celje, als im März deutsche Fußballanhänger bei einem Freundschaftsspiel eine Hoteleinrichtung demoliert hatten, schwappte eine Hysteriewelle durch Deutschland. Von "Polizeiwillkür" spricht das "Netzwerk für Fanrechte" und hat deswegen für heute zu einer friedlichen Demonstration in Frankfurt aufgerufen. Matthias Bettag:

    " Es werden Gruppen aufgrund einzelner Vorfälle in Sippenhaft genommen, in kollektives Gewahrsam genommen, weggesperrt. Es reicht, um ein Stadionverbot zu erlangen, dass der zuständige Beamte der Meinung ist, diese Person könne in Zukunft an Straftaten beteiligt sein. "