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Fußball-Forschung
Wie eine Mannschaft gemeinsam funktioniert

Superstars geben Spitzenmannschaften oft den entscheidenden Vorteil. Aber wie wichtig sind sie für den langfristigen Erfolg? Ein internationales Forscherteam hat versucht Mannschaftserfolg zu messen. Im Fokus steht dabei nicht der einzelne Spieler, sondern die mannschaftliche Leistung.

Von Matthias Friebe | 25.07.2020
Bayerns David Alaba (l-r), Thomas Müller, Kingsley Coman und Robert Lewandowski feiern das 2:0.
Fußball aus einer kollektiven Perspektive betrachten: Das ist der Ansatz der Forscher des Max-Planck-Instituts in Konstanz. (Federico Gambarini / dpa)
Der Europameistertitel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft 1996 wird bis heute verbunden mit diesem Satz: "Der Star ist die Mannschaft".
Das hat unter anderem Matthias Sammer, damals Libero der deutschen Mannschaft, wiederholt. Das Kollektiv des deutschen Teams, ein toller Team- und Kampfgeist, machten mögliche individuelle Defizite wett. Plakative Sätze wie dieser funktionieren heute vor allem bei Teams unterhalb des Toplevels, erklärt Frank Wormuth. "Im oberen Bereich entscheiden dann die Individualisten. Dann muss auch ein Messi mal den Ball nehmen, und zwei ausspielen und den Ball in den Winkel hauen, um das Spiel zu gewinnen."
Wormuth ist Trainer des niederländischen Erstligisten Heracles Almelo und war davor viele Jahre lang Leiter der DFB-Trainerausbildung.
19.03.2018, xfux, Fussball, Festakt anlässlich der Beendigung des 64. Fußball-Lehrer-Lehrgangs, emspor emonline, v.l. Frank Wormuth (Fußballlehrerausbildung an derr Hennes-Weisweiler-Akademie des Deutschen Fußball-Bundes DFB) Neu Isenburg *** 19 03 2018 xfux football ceremony on the occasion of the end of the 64 football teacher training course emspor emonline v l Frank Wormuth football teacher training at the Hennes Weisweiler Academy of the German Football Association DFB Neu Isenburg
Frank Wormuth, Trainer des niederländischen Erstligisten Heracles Almelo und viele Jahre lang Leiter der DFB-Trainerausbildung. (Imago)
Kollektiv vs. Einzelspieler
Es ist bis heute eine Frage, die leidenschaftlich diskutiert wird: Wie wichtig ist das Kollektiv, welchen Ausschlag geben Einzelleistungen von Superstars?
Liverpools Meistertrainer Jürgen Klopp erklärte einmal: "Wenn wir nur auf die individuelle Klasse unserer Spieler vertrauen, dann gewinnen wir ohne Zweifel einige Spiele. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese individuellen Stärken in ein Team integrieren."
Einen neuen Ansatz dafür liefert jetzt ein internationaler Forschungs-Verbund. "Das ist einer der ersten Versuche, Fußball aus einer kollektiven Perspektive zu betrachten", erklärt Guy Amichay vom Max-Planck-Institut in Konstanz, der sich selbst wundert, dass bisher kaum das gemeinsame Funktionieren des Teams im Mittelpunkt der Forschung stand.
"Wir müssen verstehen, wie das Team als Ganzes funktioniert"
"Das ist überraschend, weil viel Geld im Fußball ist und eigentlich fast alle Daten erhoben werden, bis hin zu physiologischen Dingen wie der Herzschlag oder das Essen. Fußball ist aber ein Teamsport, wir müssen also verstehen, wie das Team als Ganzes funktioniert."
Das wollen die Wissenschaftler mit einem disziplinübergreifenden Team ergründen. Unter anderem sind Biologen, Physiker und Computerspezialisten dabei. Die Wissenschaftler erheben keine Daten zu den Stärken und Schwächen einzelner Spieler. Stattdessen geht es um das kollektive Verhalten des Teams auf dem Platz – analysiert mit einer Methode aus der statistischen Physik.
v.li.: Andreas Hohlenburger (Freising, 11) Jürgen Knödlseder (Hauzenberg, 8) im Zweikampf während eines Spiels der Landesliga Südost.
Digitale Analyse im Amateurfußball: High-Tech in der Landesliga
Trainer mit Tablet: Was im Profifußball längst Standard ist, findet auch im Amateurbereich immer mehr Verbreitung. Mit Kamera und GPS-Tracker werden die Spieler analysiert und ihre Leistungen verbessert. Doch die Daten verraten nicht alles.
"Wir haben uns vor allem angesehen, wie ähnlich die Bewegungsmuster der Teams sind. Wir haben klare Unterschiede darin gesehen, wann ein Spieler ein guter Spieler ist." Wenig überraschend allerdings die Ergebnisse: Eine Abwehr funktioniert besonders gut, wenn sich alle Spieler möglichst gleich bewegen, also einen stabilen Verbund bilden.
Umgekehrt sind Offensivspieler vor allem dann erfolgreich, wenn sie unkorreliert, man könnte auch sagen, kreativ zu den anderen laufen. Das gelte natürlich für Spieler wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, auffällig sei aber auch das Verhalten von Bayerns Thomas Müller. "Er hat ein sehr gutes Stellungsspiel, er weiß, wo er stehen muss, zur richtigen Zeit am richtigen Ort."
Modell im Alltag nicht unbedingt nützlich
"Felix Magath würde sagen: 'Was brauche ich die ganzen Statistiken? Das sehe ich doch!' Alte Schule", lacht Trainer Frank Wormuth, der die neuen Erkenntnisse als Bestätigung seiner Arbeit versteht. "Ich glaube, dass jede Statistik, die uns die Wissenschaft vorlegt, einen Nutzen hat, keine Frage. Sie bestätigen die Aussagen meiner Trainerkollegen. Meine eigenen Augen sehen etwas und das wird bestätigt."
Für ihn ist das, was die Wissenschaftler mit dem physikalischen Modell belegen können, nicht neu. Vor allem sei das Modell in der alltäglichen Arbeit nicht unbedingt hilfreich. "Ich wünsche mir von Studien und Wissenschaft immer: Könnt ihr mir vorhersagen, wie ich den Gegner schlagen kann? Und das hat noch keiner geschafft."
Hilfe beim Scouting
Das Modell von Guy Amichay und seinen Kollegen ist nicht für die Spielvorbereitung gedacht. Vielmehr kann es dadurch gelingen, das Spiel besser zu verstehen. Und auch als Instrument zum besseren Scouting von Spielern könnte es geeignet sein. "Wenn ich Messi sehe, ist es für mich sehr leicht zu sehen, dass er ein großes Talent hat. Deutlich schwieriger ist es, die Spieler zu finden, die ohne Ball sehr gut sind, die sich gut in gefährliche Positionen bringen können. Unsere Methode kann solche Spieler finden."
Bisher basieren die Untersuchungen noch auf keiner großen Datengrundlage, nur einige wenige Bundesligaspiele haben die Wissenschaftler untersucht. Trotzdem ist das Team um Amichay überzeugt, dass die Daten robust sind und sich durch weitere Forschungen in der Zukunft bestätigen werden. Sie können auf jeden Fall helfen, Dinge besser zu veranschaulichen als vorher, ist sich der Wissenschaftler sicher. Wieviel davon in den Alltag und die Praxis übernommen werden kann, da ist Trainer Frank Wormuth hingegen skeptisch. Zu viele Einflüsse verändern das Geschehen auf dem Platz.
"Die Zahlen bestätigen am Schluss meine Augen"
"Fußball hat so viele Parameter, 22 Spieler und dann noch der Schiedsrichter und was weiß ich nicht noch alles, Heim- und Auswärtssituation. Das sind Parameter, die wir wissenschaftlich gar nicht in den Griff kriegen können."
Die Wissenschaft kann bei der Analyse helfen und zeigen – jetzt auch für das Bewegungsmuster einer Mannschaft –, was der Trainer im besten Fall schon während des Spiels gesehen hat.
"Wir können immer begründen, warum wir gewonnen oder verloren haben. Ich weiß, warum wir verloren haben. Ich hab gesehen, was der Gegner uns auferlegt hat, dass wir unseren Matchplan nicht durchgebracht haben. Die Zahlen bestätigen am Schluss meine Augen. Wenn ich das nicht sehen würde und sage, das ist mir jetzt auch aufgefallen durch die Zahlen, dann hab ich auch meinen Job verloren."