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Fußball im Iran
Spielfeld des Protests

Seit Monaten steht der Iran im internationalen Fokus. Die Lage eskalierte nach der Tötung des iranischen Generals Soleimani durch eine US-Drohne. Welche Folgen hat das für die Alltagskultur? Besonders deutlich werden die politischen Spannungen im Iran schon seit Jahrzehnten im Fußball.

Von Ronny Blaschke | 12.01.2020
Der iranische Fußballprofi Vorya Ghafouri wurde ins Sportministerium bestellt - nachdem er sich kritisch gegenüber der Regierung geäußert hatte.
Der iranische Fußball-Nationalspieler Voria Ghafouri wurde schon einmal ins Sportministerium bestellt - nachdem er die Regierung kritisiert hatte. (imago images / AFLOSPORT)
Die Politisierung des Fußballs begann fast vor einem Jahrhundert. Der westlich orientierte Schah wollte das fast bankrotte Persien modernisieren, auch mit einem "westlichen" Sportimport. Ab den 1960er Jahren, als Millionen Iraner in die Städte zogen, wurde der Fußball dann zum Massenphänomen. In diese Zeit fällt auch der erste von drei Titeln bei der Asienmeisterschaft. 1968 gewann die Nationalmannschaft vor eigenem Publikum. Auch der Schah ließ sich mit den Spielern im Fernsehen zeigen. Doch einige wie Parviz Ghelichkhani wollten sich von der Monarchie nicht vereinnahmen lassen, erzählt der iranstämmige Filmemacher Ayat Najafi.
"Damals sah das Protokoll vor, dass jeder Spieler die Hand der Majestät küssen sollte. Und Parviz hat das natürlich nicht gemacht. Das ist sofort in den Nachrichten gekommen, dass der Star der iranischen Mannschaft die Hand des Schahs nicht geküsst hat. Parviz Ghelichkhani war ein armer Mann, der auch den Iran verlassen hat, wie viele andere. Er lebt seit der Revolution als Flüchtling in Paris und macht dort intellektuelle Sachen. Er hat ein Magazin veröffentlicht. Das ist super schön, er ist richtig ein Held."
Fangruppen werden streng kontrolliert
Spieler, die sich kritisch der Regierung gegenüber äußern, sind nicht gern gesehen. Auch der aktuelle Nationalspieler Voria Ghafouri bekam das zu spüren. Einmal bestellte das Sportministerium Ghafouri ein. Er hatte öffentlich Stellung bezogen - gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung - und für Millionen Iraner, die in Armut leben. Im folgenden Heimspiel seines Vereins Esteghlal riefen Fans laut seinen Namen.
Solche Proteste seien in iranischen Stadien selten, sagt der in Teheran geborene Fan Reza, der seit 1999 in Deutschland lebt. "Die Sicherheitsmaßnahmen im Stadion sind dermaßen stark. Ich kann mir vorstellen, dass jeder fünfzigste Zuschauer eine Sicherheitskraft ist. Die haben alles im Auge und es wird dann auch alles sofort registriert. Dadurch sind die Ultras und die Fans dann auch stark kontrolliert. Alles, was sie machen, muss vorher genehmigt werden. Und die Leiter von diesen Fangruppen sind auch oft Leute, die von oben nominiert werden."
"Die ultimative Flucht"
Besonders mächtig sind im Iran die Revolutionsgarden. Ab 2002 übernahmen Kommandeure dieser paramilitärischen Organisation auch Führungsaufgaben in Spitzenvereinen und im Fußballverband. So sichern sie ihren Klubs Steuervorteile und schützen Spieler mitunter vor der Strafverfolgung, wenn diese unerlaubt Alkohol trinken oder die Fastenzeit unterbrechen.
Der in Teheran geborene Bundestagsabgeordnete der Grünen, Omid Nouripour, beobachtet den iranischen Fußball seit seiner Kindheit: "Im Stadion ist die Stimmung grundsätzlich angespannt. Es gibt ja diesen Spruch: Fußball ist eine Religion. Der ist wahrscheinlich an ganz vielen Orten richtig - im Iran ist es der falscheste von allen. Weil in einer Gesellschaft, in der Religion wirklich den ganzen Alltag dominieren soll, ist der Fußball die ultimative Flucht davor."
Tanzende Frauen ohne Kopftuch
Die Islamische Revolution 1979 hatte auch für die Freizeitkultur gravierende Folgen. Kinos, Bars und Theater wurden geschlossen. Von einem Verbot des inzwischen beliebten Fußballs sahen die Kleriker ab. Es dauerte bis zur Wahl des reformorientierten Präsidenten Mohammad Chātami im Jahr 1997, ehe der Einfluss des Fußballs wirklich deutlich wurde. In dieser Aufbruchsphase qualifizierte sich das iranische Nationalteam zum zweiten Mal für eine Weltmeisterschaft. Filmemacher Ayat Najafi war damals Student in Teheran.
"Wir haben gedacht, dass die zweite Revolution kommt. Man konnte sehen, welche Energie im Iran war. Die Menschen wollten explodieren. Und man benutzte jede Chance, um das zu zeigen. Ich habe selber zum ersten Mal tanzende Frauen auf den Straßen gesehen. Und auch welche, die kein Kopftuch trugen. Keiner konnte das kontrollieren. Es sind Millionen auf der Straße gewesen."
US- und iranische Fußball-Nationalspieler posieren vor dem WM-Spiel 1998 in Lyon für ein gemeinsames Fotos. Die Übertragung des Spiels wurde im Iran teilweise zensiert.
Historisches Bild: US- und iranische Fußball-Nationalspieler posieren vor dem WM-Spiel 1998 in Lyon für ein gemeinsames Fotos. Die Übertragung des Spiels wurde im Iran teilweise zensiert. (imago images / Belga)
Die wachsende Studentenbewegung fühlte sich auch von der Fußballstimmung ermutigt. Erst recht, als die iranische Auswahl 1998 in Lyon gegen die USA ihren ersten Sieg bei einer WM feierte. Das gemeinsame Foto beider Teams wurde als Annäherung zwischen den Erzfeinden gedeutet. Doch im Iran konnte man die Übertragung nicht durchgängig sehen. Immer wieder sei das Bild zensiert worden, berichtet der Fan Reza.
"Damals haben wir uns gewundert, wieso das Spiel immer wieder nicht voll gezeigt wird. Und nachher hat sich herauskristallisiert, dass viele Oppositionelle im Stadion waren. Und die kamen mit Bildern von Rajavi. Rajavi ist der Führer der Volksmudschahedin, sehr unbeliebt bei der iranischen Regierung."
Spieler protestieren gegen Wahlbetrug
Was in der Öffentlichkeit damals unterging: Am Tag des umjubelten Sieges setzte das konservativ geprägte iranische Parlament Innenminister Abdollah Nouri ab, die wohl fortschrittlichste Stimme der Regierung Chātami. Die Religionsführer ließen auch die Proteste im Iran wieder brutal niederschlagen.
Wie politisch der Fußball war, ließ sich auch vor etwa zehn Jahren beobachten. Millionen protestierten gegen Manipulationen bei der Wiederwahl des Fundamentalisten Mahmud Ahmadineschād zum Präsidenten 2009. Auch einige Nationalspieler trugen beim WM-Qualifikationsspiel in Südkorea das grüne Armband der Protestbewegung. Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour erinnert sich:
"Das war unglaublich bewegend. Das war für die Leute eine riesige Ermutigung. Die Tatsache, dass sie das in der zweiten Halbzeit nicht mehr machten, und alle wussten, was in der Pause wohl passiert war, auch das war ein Großaufreger. Und das hat natürlich die Leute weiter auf die Straße getrieben."
Das Ringen zwischen Reformern, Moderaten und Hardlinern
Der Fußball verdeutlicht das Ringen zwischen Reformern, Moderaten und Hardlinern im Iran. Aber auch die Probleme für die Wirtschaft durch die Sanktionen der USA werden im Fußball sichtbar. Der grüne Außen- und Sportpolitiker Omid Nouripour sagt:
"Die amerikanischen Sanktionen lassen dem Regime immer eine Restgröße an Bewegungsfreiheit, weil ja klar ist, dass die und die und die Misserfolge der Nationalmannschaft etwas mit dem Ami zu tun haben. Und nicht mit dem Missmanagement des Verbandes, der omnipräsent ist. Wenn der hochbeliebte Ex-Nationaltrainer Queiroz am Ende geht, weil er sagt, ,die können mich nicht mehr bezahlen‘, und alle wissen, das liegt an der Währungskrise des Landes, und daran, dass man Transaktionen nicht mehr gescheit tätigen kann, nicht mal mehr als nationaler Fußballverband, dann wissen alle, dass das mit den Sanktionen zu tun hat."
Droht nun nach der Tötung des iranischen Generals Soleimani in Bagdad ein neuer Golfkrieg? Spannungen zwischen Irak und Iran gibt es seit Jahrzehnten. Deutlich wird das auch im Fußball. Das WM-Qualifikationsspiel zwischen beiden Ländern im vergangenen November wurde aus dem irakischen Basra nach Amman verlegt. Auch in der jordanischen Hauptstadt gab es Proteste: für und gegen den Iran.