Freitag, 29. März 2024

Archiv

Fußball in der Coronakrise
Spielerkader im Profi-Fußball verlieren massiv an Wert

Die Coronakrise verlangt dem Profi-Fußball zurzeit alles ab. Je länger der Spielbetrieb ruht, desto größer wird dadurch das finanzielle Risiko für die Vereine. Jetzt kommt für alle Vereine ein neues Finanzrisiko hinzu. Denn ihr wichtiges Anlagevermögen, der Spielerkader, verliert massiv an Wert. 

Von Thorsten Poppe | 18.04.2020
Mannschaftsfoto des FC Bayern vor dem 4. Gruppenspiel der Champions League 2019/20 gegen Olympiakos Piräus
Falls der Spielbetrieb bis Ende Juni nicht aufgenommen wird, könnte der Marktwert des FC Bayern München auf knapp 550 Millionen Euro sinken (dpa/picture alliance/augenklick/firo Sportphoto/Marcel Engelbrecht)
Ein weltweites Marktwert-Minus für Profi-Fußballer von knapp 10 Milliarden Euro. Das ist die Summe, die herauskommt, wenn der Wert von Spielerkadern pauschal um 20 Prozent gekürzt wird. So hat es das Portal Transfermarkt.de aktuell in der Coronakrise gemacht. Grund für die Abwertung: Es zeichne sich klar ab, dass weltweit deutlich weniger finanzielle Möglichkeiten zur Verfügung stehen werden, als vor der Krise, erklärt Transfermarkt-Gründer Matthias Seidel:
"Durch diesen Corona-Alptraum droht uns eine Weltwirtschaftskrise bzw. eine Rezession. Die meisten Wirtschaftsunternehmen gehen auf einen extremen Sparkurs, so auch die Vereine. Und einige Vereine sind möglicherweise auch von einer Insolvenz betroffen, das heißt, es wird bei weitem nicht mehr das Geld zur Verfügung stehen, um große Transferausgaben zu tätigen."
Wertverluste der Kader von mehr als einem Drittel
Noch weiter als Transfermarkt geht das renommierte International Centre for Sports Studies (CIES) aus der Schweiz in seiner aktuellen Studie. Falls bis Ende Juni der Spielbetrieb nicht aufgenommen werde, drohen Wertverluste der Spielerkader um mehr als ein Drittel.
Das bedeutet zum Beispiel für den FC Bayern München, dass der Marktwert seiner Spieler um Manuel Neuer und Robert Lewandowski von ca. 800 Millionen Euro auf knapp 550 Millionen Euro sinken würde. Real Madrid wäre nicht mehr über eine Milliarde wert, sondern 750 Millionen Euro. Dadurch entsteht ein neues finanzielles Risiko für die Vereine.
Toni Kroos mit dem Pokal in der Hand nach dem Spiel gegen Juventus.
Statt 60 Millionen auf einmal nur noch 48 Millionen Euro wert. Toni Kroos von Real Madrid. (Imago / Moritz Müller)
Die Kreditwürdigkeit der Klubs könnte leiden
Denn wenn die Werte ihrer Spieler dauerhaft fallen, müssten sie dies entsprechend in ihrer Bilanz korrigieren. Eine solche Abwertung in der Bilanz wiederum könnte Einfluss auf die Kreditwürdigkeit der Klubs haben, die sie gerade in einer Situation wie der Corona-Krise benötigen, um einer möglichen Zahlungsunfähigkeit zu entgehen. Wie stark Profiklubs von diesem finanziellen Risiko betroffen sein werden, hängt für Matthias Seidel an vielen Aspekten:
"Ganz wichtig sind natürlich auch weitere Faktoren, wie zum Beispiel, wann endlich der Fußball in einen regulären Betrieb übergeht. Ob das Transferfenster verschoben wird, und wie es zum Beispiel mit den Financial-Fairplay-Regelungen aussieht. Es wird natürlich weiterhin einige Mega-Transfers geben, aber in der großen Masse erwarten wir doch einen deutlichen Rückgang der Transferausgaben und auch der Transfereinnahmen."
Transfermarkt hat dafür eine Umfrage mit mehr als 300 Vertretern der Fußballbranche aus über 50 Ländern durchgeführt. Fast drei Viertel der Befragten rechnen damit, dass starke Auswirkungen auf das Transfergeschehen zu erwarten sind. Die Vereine können am Transfermarkt nicht mehr so viel Geld erlösen wie noch vor der Coronakrise, und dadurch eben entsprechend weniger in ihre Mannschaft investieren. Dass es zu fallenden Marktpreisen kommen wird, bestätigen auch die Forscher des International Centre for Sport Studies.
Jüngere Spieler werden schwächer abgewertet
Das sieht mittlerweile auch die Praxis so, wie kürzlich Jan Schindelmeiser im SWR Sport bestätigt hat. Er ist zuletzt als Sport-Vorstand beim VfB Stuttgart tätig gewesen, davor als Manager bei der TSG Hoffenheim:
"Der Transfermarkt wird sich natürlich mindestens in der nächsten und übernächsten Transferperiode erheblich verändern. Es wird auch zu größeren Verwerfungen kommen. Ich kann ja nicht auf der einen Seite mit meinen Spielern darüber diskutieren, die Gehälter zu kürzen, und gleichzeitig große Transfers machen. Hundert Million Euro aktuell und bezogen auf die nächste Transferperiode, das halte ich für völlig illusorisch."
Coronavirus
Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Hundert Millionen Euro standen zuletzt im Raum – bezogen auf einen möglichen Transfer von Leverkusens Mittelfeldspieler Kai Havertz nach München. Das wird vor dem aktuellen Hintergrund nun unwahrscheinlicher. Dennoch werden laut der Transfermarkt.de-Umfrage in der Fußballbranche gerade Talente weiter hohe Ablösesummen erzielen. Deshalb wurden Fußballer, die 1998 oder später geboren sind, auch nicht so stark abgewertet, sagt Matthias Seidel von Transfermarkt.de:
"Da es natürlich einen besonderen Markt für jüngere Spieler gibt, haben wir hier den Marktwertcut nur bei 10 Prozent angesetzt. Und wir können nicht ausschließen, dass wir in ein paar Wochen wieder die Marktwerte pauschal anpassen müssen!"
Talente könnten verkauft werden, um Existenz zu sichern
Nach der jetzigen Berichtigung ist der 20-jährige Havertz mit seinem neuen Marktwert von etwas mehr als 80 Mio. Euro der wertvollste deutsche Fußballer laut Transfermarkt.de. Wertvollster Spieler der Bundesliga ist der gleichaltrige Jadon Sancho von Borussia Dortmund mit über 115 Mio. Euro. Klubs, die nun weniger finanziell gut aufgestellt sind - wie Bayer 04 oder der BVB - müssen laut dem ehemaligen Bundesliga-Manager Jan Schindelmeiser einen Wechsel ihrer Talente befürchten:
"Es besteht schon die Gefahr, auch international, dass die Vereine, die am wenigsten betroffen sind, die Situation auch ausnutzen könnten. Und dann auch, ich sag es mal salopp, die Diamanten bei den kleineren Klubs klauen werden. Weil sie wissen, dass diese Vereine dringend Geld benötigen, um ihr Überleben zu sichern."
Von den fallenden Marktpreisen der Spielerkader profitieren könnten vor allem die finanzstarken Vereine. Sie kämen durch die finanzielle Notlage anderer Klubs günstiger an hoffnungsvolle Fußballtalente heran.