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Fußball
Kommerzialisierte Tradition

Den großen Traditionsvereinen fällt es schwer, auf ihrer Suche nach immer neuen Geldquellen die Interessen ihrer Anhänger nicht aus dem Auge zu verlieren. Erste Fangruppen haben sich schon vom Profifußball abgewendet, denn auch sie werden selbst zum Gegenstand der Vermarktung.

Von Daniel Theweleit | 25.01.2015
    Ein Spieler des FC Schalke 04 trägt das Trikot mit dem Logo des Sponsors Gazprom.
    Umstrittene Partnerschaft - Der FC Schalke und Gazprom (picture alliance / dpa/ Caroline Seidel)
    Traditionsbewusstsein und Bodenständigkeit sind ein kostbares Gut geworden in der immer konsequenter vermarkteten Welt des professionellen Fußballs. "Der Name unseres Klubs ist und bleibt Fußball-Club Gelsenkirchen Schalke 04 e.V. Er ist und bleibt ein Verein im Sinne des deutschen Vereinsrechts. Die Wiege unseres Vereins steht am Schalker Markt. Die lokale und regionale Verwurzelung im Ruhrgebiet prägt unser Selbstverständnis", heißt es in einem Film, der das sogenannte Leitbild des FC Schalke beschreiben soll.
    Die Gelsenkirchener profilieren sich als Bergarbeiterklub, als Heimat der kleinen Leute. Und als eingetragener Verein - ein Alleinstellungsmerkmal in der Bundesligaspitze. Die Konkurrenten haben ihre Profiabteilungen längst in Kapitalgesellschaften ausgegliedert. Auf Schalke sei ein solcher Schritt undenkbar, sagte Manager Horst Heldt vor einiger Zeit. Der Erhalt des Status als eingetragener Verein sei "das größte Anliegen der Fans", das der Klub respektieren werde.
    Auch wenn dieser Wunsch höchst irrational ist, wie der Schalker Finanzvorstand Peter Peters in der vorigen Woche auf einer Veranstaltung mit dem Titel "Zwischen Tradition und Kommerz" erläuterte. "Wir müssen davon wegkommen, die Grenze zwischen Verein und Kapitalgesellschaft als Grenze zwischen Gut und Böse zu betrachten. (...) Es gibt die eine oder andere Kapitalgesellschaft, die ohne Fremdinvestor überhaupt keine Probleme hat. Ich würde mal Borussia Mönchengladbach als solchen Klub bezeichnen, da fühlen sich die Menschen nach wie vor auch extrem mitgenommen."
    Gefühle die immer seltener werden
    Aber in Gelsenkirchen erzeugt die Tatsache, als letzter eingetragener Verein in der Bundesligaspitze mithalten zu können, Gefühle, die im kommerzialisierten Spitzenfußball immer seltener werden: Fannähe, Ursprünglichkeit und Geborgenheit. Der Erhalt des Vereinsstatus hat die Funktion einer Arznei gegen das bei vielen Fans grassierende Gefühl der Entfremdung, das auch Rainer Vollmer bestens kennt.
    Der Diplom-Finanzwirt ist als Anhänger des FC Schalke in der bundesweit agierenden Fanorganisation "Unsere Kurve" aktiv. "Das Problem, das wir sehen ist, dass der Spagat zwischen Kommerz auf der einen Seite und Tradition auf der anderen Seite überzogen ist. Kumpel- und Malocherklub, da ist die Frage, ist das richtig, ist das so zu vermarkten. (...) Ich sehe natürlich auch, dass auf der einen Seite Einnahmen und Geld generiert werden müssen, aber es gibt mit Sicherheit Geldquellen, die passen nicht zu uns."
    Vollmer spielt auf den mittlerweile aufgelösten Vertrag zwischen den Gelsenkirchenern und dem Tickethändler Viagogo an, gegen den die Fans sich erfolgreich gewehrt hatten. Solche kleinen Siege der Basis helfen den Funktionären, den Eindruck zu vermitteln, die Kommerzialisierung werde mit der notwendigen Behutsamkeit betrieben. Eine ähnliche Funktion haben auch der Verbleib im e.V. Oder der Verzicht auf weitere Trainingslager in Katar, der im Klub diskutiert wird.
    Wettbewerb setzt der Tradition Grenzen
    Wobei es Grenzen gibt, wie Peter Peters sagt. "Natürlich haben wir das Ziel oben mitzuspielen. Und natürlich bringt das mit sich, dass wir damit den einen oder anderen Kompromiss machen müssen. Und wir können nicht einerseits miteinander ehrgeizige Ziele miteinander formulieren und zu viele Kompromisse machen. Weil dann funktioniert es am Ende nicht, insbesondere weil sich der Wettbewerb in der Bundesliga verändert."
    Diese scheinbare Veränderung des Wettbewerbs ist die Drohkulisse, mit der viele Funktionäre argumentieren: Wenn nicht alle Geldquellen erschlossen werden, dann haben die alten Traditionsklubs bald keine Chance mehr gegen die an Weltkonzerne angeschlossene Konkurrenz aus Wolfsburg, Leverkusen, Leipzig oder Ingolstadt, heißt es. Solche Argumente fallen bei den kommerzkritischen Fans auf fruchtbaren Boden. Die von Peter Peters erwähnte Grenze zwischen Gut und Böse, die in den Köpfen vieler Anhänger existiert, verläuft zwischen Dortmund und Wolfsburg, zwischen Köln und Leipzig, zwischen Schalke und Leverkusen. Und natürlich nutzen die so genannten Traditionsvereine dieses Weltbild, um sich selbst als Teil des Guten zu vermarkten. Die Fans nehmen das in Kauf, auch wenn es ihnen nicht gefällt.
    In Dortmund etwa erzeugt die preisgekrönte Imagekampagne, in deren Zentrum der Slogan "Echte Liebe" steht, ein großes Unbehagen, sagt Jens Weber, Redakteur beim liebevoll gepflegten Online-Fanzine "schwatzgelb.de". "Mit dem Echte Liebe Slogan haben wir durchaus große Probleme, weil das ein Claim ist, der so nicht gelebt wird. Das würde ja nicht, so wie ich das verstehe, eine einseitige Liebe von den Fans zum Verein sein, sondern so wie ich das verstehe müsste dann vom Verein zu den Fans die echte Libe zurückstrahlen, und daran hapert es dann doch öfter."
    In Dortmund ärgern die Anhänger sich zudem über stetig steigende Ticketpreise. Beim FC Bayern empören sich Fans über ein Freundschaftsspiel in Saudi Arabien. Vielen Schalkern stößt die Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Gazprom sauer auf. Aber sie lassen sich auch schnell wieder beruhigen. Durch sportliche Erfolge oder kleine Zugeständnisse. Und solche machen die Vereine besonders gerne, wenn sie sich am Ende auch noch als vermeintlich authentisches Merkmal der eigenen Einzigartigkeit vermarkten lassen. Wie das Schalker Festhalten am Status des eingetragenen Vereins.