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Fußball und Integration
Der Özil-Streit

Der Rücktritt von Mesut Özil wird im In- und Ausland diskutiert. Längst geht es dabei nicht mehr nur um Sport, sondern ganz allgemein um Rassismus und Integration. Inzwischen hat sich auch der DFB selbst geäußert - ebenso wie die AfD.

23.07.2018
    Das Fotgo zeigt Mesut Özil bei der WM 2018 in Russland.
    Das Fotgo zeigt Mesut Özil bei der WM 2018 in Russland. (dpa-Bildfunk / Ina Fassbender)
    Die Erklärung des Deutschen Fußball-Bundes kam am Nachmittag. Darin bedauert der DFB auf der einen Seite den Rücktritt Özils. Auf der anderen Seite heißt es: "Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir aber mit Blick auf seine Repräsentanten, Mitarbeiter, die Vereine, die Leistungen der Millionen Ehrenamtlichen an der Basis in aller Deutlichkeit zurück." Und noch ein Gedanke, diesmal klar zum Thema Rassismus: "Dass Mesut Özil das Gefühl hatte, als Ziel rassistischer Parolen gegen seine Person nicht ausreichend geschützt worden zu sein, wie es bei Jerome Boateng der Fall war, bedauern wir."
    Außerdem Teil der Stellungnahme: Ein Bekenntnis zur integrativen Kraft des Fußballs: "Vielfalt ist eine Stärke, nicht nur im Fußball", steht dort ebenso wie: "Deswegen hat unsere Integrationsarbeit auf allen Ebenen eine zentrale Bedeutung. Von der Kreisklasse bis in die Nationalmannschaften gehören Spielerinnen und Spieler mit Migrationshintergrund zum DFB."
    "Ikone der Integration sagt: Wir sind hier nicht gewollt"
    Wie ist die Stellungnahme des DFB aber einzuschätzen? Unser Kollege Matthias Friebe aus der Sportredaktion - er war auch unser WM-Reporter in Russland - spricht in seinem Kommentar für den Deutschlandfunk von einem "Armutszeugnis" und davon, dass die Krisenkommunikation des DFB "unterirdisch" sei. Zitat: "Seien wir ehrlich, eine Aktion, wie bei der WM von den Schweden gesehen, als sich das ganze Team hinter den ebenfalls übel beschimpften Jimmy Durmaz stellte, ist im heutigen DFB-Kosmos schwer bis gar nicht vorstellbar. Dass der DFB dazu nicht fähig war und ist, ist unsäglich. Aus seiner Zeit als Journalist und Politiker sollte Reinhard Grindel wissen, was es heißt Verantwortung zu übernehmen. Er sollte zurücktreten!" Hören Sie den ganzen Kommentar von Matthias Friebe um 19.05 Uhr in unserem Programm.
    Auch unsere Kollegin Marina Schweizer hat den Streit um Özil noch einmal beleuchtet. Sie legt im Podcast "Der Tag" bei Ann-Kathrin Büüsker dar, dass Mesut Özil wohl auch deshalb so erbost gegenüber dem DFB war/ist, weil der DFB sich angesichts rassistischer Äußerungen gegen Özil nie klar positioniert und gesagt habe: Wir stellen uns vor diesen Spieler. Das ändere nichts daran, dass der DFB als Institution grundsätzlich für Integration stehe und das an der Basis, bei den kleinen Vereinen etwa, auch unter Beweis stelle.
    In einem Kommentar der ARD-Sportschau heißt es ebenfalls: "Als in sozialen Netzwerken und auch in den Stadien die rassistischen Beleidigungen immer lauter wurden und die selbstverständlich berechtigte Kritik an seiner Instrumentalisierung durch Erdogan längst überlagerten, unterstützte ihn der DFB nicht." Weiter schreibt der Autor: "Für viele junge Spieler mit Migrationshintergrund war Özil ein Vorbild, das gezeigt hat, dass man in Deutschland auch mit dem Vornamen Mesut weit kommen kann. Nun sagt ihnen die Ikone dieses gelebten Miteinanders: "Wir sind hier nicht gewollt."
    Lesen Sie die drei Stellungnahmen von Özil selbst hier nach - allerdings auf Englisch. Özil verteidigt darin sein umstrittenes Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan im Mai. Zugleich prangert er Rassismus-Erfahrungen an und beklagte, DFB-Funktionäre hätten seine türkischen Wurzeln nicht respektiert.
    Weitere Spitzenfunktionäre des deutschen Fußballs haben sich mittlerweile geäußert, so etwa DFB-Vize Koch. Er schrieb auf Facebook ebenfalls über sein Bedauern, nennt aber zugleich einen Gedanken, der in dieser Form in der DFB-Erklärung nicht auftaucht - Zitat: "Ich bin persönlich auch dafür, dass in Deutschland geborene Bürger mit Migrationshintergrund zwei Staatsbürgerschaften (…) haben können. Allerdings sage ich auch, dass ich ein klares Bekenntnis zu den Grundwerten unseres Landes von jedem Spieler erwarte, der für Deutschland spielt."
    Wie integrativ ist der Sport?
    Vom Sport zur Politik: Die Bundeskanzlerin ließ über Regierungssprecherin Demmer mitteilen, Özil habe viel geleistet - und seine Entscheidung müsse man respektieren. Auch hier geht es schnell um Integration: Für die Bundesregierung sei das eine "Schlüsselaufgabe", so Demmer, bei der alle gesellschaftlichen Gruppen gefragt seien. Dem Sport komme hier eine wichtige Bedeutung zu, und auch der Deutsche Fußballbund engagiere sich mit zahlreichen Projekten.
    Außenminister Heiko Maas, SPD, zeigte sich kritischer: Er ging darauf ein, dass Özil beim FC Arsenal spielt - und betonte, er glaube nicht, "dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs" Auskunft gebe über die Integrationsfähigkeit in Deutschland. Auch das frühe Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM in Russland habe "wenig damit zu tun, dass Herr Özil sich mit Herrn Erdogan hat fotografieren lassen".
    Zu leicht gemacht
    Die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Dagmar Freitag, sagte im Sender NDR Info, Mesut Özil habe es sich mit seinen Stellungnahmen zu leicht gemacht. Damit meinte sie nach eigenen Worten, dass Özil sich auf die Haltung "Ich bin Sportler und nicht Politiker" zurückgezogen habe. Als Spitzensportler habe man immer auch eine Vorbildfunktion, ob einem das gefalle oder nicht. Nun müsse er sich die Frage gefallen lassen, warum er sage, er würde es jederzeit wieder so machen.
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Widmann-Mauz (CDU), warnte vor einer vorschnellen Verurteilung von Özil. Zwar sei das gemeinsame Foto mit dem türkischen Staatschef Erdogan ein Fehler gewesen. Die berechtigte Kritik dürfe aber nicht in eine pauschale Ausgrenzung von Spielern mit Migrationshintergrund umschlagen.
    Integration gescheitert?
    Auch in den anderen Parteien gibt es viele Reaktionen. Bei der AfD etwa zeigt sich die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel besonders kritisch gegenüber Özil: "Mit seiner Abschiedstirade erweist sich Mesut Özil leider als typisches Beispiel für die gescheiterte Integration von viel zu vielen Einwanderern aus dem türkisch-muslimischen Kulturkreis. Durch sein Huldigungsfoto mit Erdogan hat er der ganzen Welt unverblümt mitgeteilt, dass er sich trotz aller genossenen Vorteile und Privilegien nicht mit Deutschland identifizieren kann und will."
    Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Sofuoglu, kritisierte den DFB. Die Vielfalt in der Nationalelf sei ein tolles Vorzeigeprojekt gewesen, schrieb Sofuoglu auf Twitter. Nun drohe es durch unfähige Führungskräfte zu scheitern. In der Folge könnten junge Talente mit Migrationshintergrund weniger motiviert sein.
    Auch im britischen Guardian findet das Thema bereits Beachtung: Dort heißt es, Özils Rückzug aus dem internationalen Fußball illustriere auf traurige Art und Weise, dass die Gedanken des Multikulturalismus in einer polarisierenden Welt Mühe hätten, die Oberhand zu behalten.
    Özils Verein, der FC Arsenal, stellt sich hinter seinen Spieler. Unsere Vielfalt ("diversity") ist ein wichtiger Baustein, warum wir so ein besonderer Club sind, heißt es bei Twitter.
    (jcs/db)