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Fußball-WM
Moskauer Elite-Uni vs. Fanmeile

Nicht alle freuen sich auf die bald beginnende Fußball-WM in Russland. Einer Gruppe von Aktivisten an der Moskauer Staatlichen Universität ist das Turnier ein Dorn im Auge. Sie stören sich an der Fanmeile, auf der bis zu 25.000 Menschen Fußball schauen und feiern sollen.

Von Mareike Aden | 05.06.2018
    Außenansicht der Lomonossow-Universität in Moskau.
    Russische Studierende wehren sich gegen die WM-Fanzone vor ihrer Universität in Moskau (picture alliance / dpa / Claudia Thaler)
    Wer in Moskau die Metrostation "Universitet" verlässt, kann die großen, blauen Hinweisschilder nicht übersehen. Der Pfeil zur "Fanzona" – also zur "Fanmeile" - zeigt in Richtung der Moskauer Staatlichen Universität. Sie gilt als Elite-Uni, das riesige Hauptgebäude im stalinistischen Zuckerbäckerstil ist ein Wahrzeichen der Stadt. Es beherbergt Hörsäle, Bibliotheken und Wohnheim-Zimmer für tausende Studenten. Eine von ihnen: die 21 Jahre alte Marija Chermenowa – Physikstudentin im zweiten Jahr. Wenn sie in diesen Tagen auf den Kieswegen rund um ihre Uni spazieren geht, trifft sie bald auf die eingezäunte Fanmeile: Tribünen, riesige Leinwände, Lautsprecher, Getränke- und Souvenirstände – aufgebaut für 25.000 Menschen in Feier- und Fußballlaune.
    WM-Lärm könnte Prüfungen stören
    "Es macht mich traurig das zu sehen. Wir haben lange dagegen gekämpft, weil die Fanmeile offensichtlich für viele Studenten ein Problem sein wird. Aber Behörden und Organisatoren sind unsere Probleme egal."
    Masha fürchtet: Die große Fanmeile, die ursprünglich auf dem Roten Platz vorgesehen war, wird das Universitätsleben wochenlang auf den Kopf stellen. Deshalb ist sie seit dem Winter in einer Protestgruppe aktiv, die sich gegen die Fanmeile neben der Uni einsetzt. Sie haben Unterschriften gesammelt, Petitionen eingereicht, Flugblätter verteilt und immer wieder den Dialog gesucht: mit Universitätsleitung, Behörden und Organisations-Komitee. Aber eine Verlegung der Fanmeile haben sie nicht erreicht. Ihre größte Sorge: Der WM-Lärm vor der Tür fällt genau in die Sessija, jene Prüfungszeit, in der über mehrere Wochen mündliche und schriftliche Prüfungen anstehen.
    "Das ist die schwierigste Zeit im Jahr – da braucht man maximale Konzentration, aber wie soll das gehen? 25.000 Fans werden hier sein, Lautsprecher, jeden Tag Veranstaltungen und manche Spiele werde nach elf Uhr abends enden - das verstößt sogar gegen das Lärmschutzgesetz in Moskau."
    Manche Fakultäten haben die Prüfungen verlegt, aber Mashas Physik-Fakultät ist eine von denen, die am ursprünglichen Zeitplan festhalten. Und der Lärm ist nicht ihre einzige Sorge.
    "Da ist auch die Frage der Sicherheit. Auf der Fanmeile wird Alkohol ausgeschenkt, viele Fans werden betrunken sein. Und wir sorgen uns wegen der Verkehrs-Logistik: Studenten, die nicht auf dem Campus wohnen, werden es schwer haben, zur Uni zu kommen. Denn auf unserer Metro-Linie liegt neben der Fanmeile auch das WM-Stadion. Ins Stadion werden 70.000 Fans fahren, zur Fanmeile 25.000."
    Festnahmen wegen des Protests
    Ohnehin ist Masha der Ansicht: Russland habe das Geld für die neuen Stadien besser in andere Bereiche hätte investieren können. Dass sie Gegenwind bekommen würden für ihren Protest und ihr Engagement hat sie nicht verwundert, so sei es eben in ihrem Land. Aber dass so viel Druck folgen würde, das hatte sie nicht erwartet.
    "Einige von uns wurden vorübergehend festgenommen als sie Flugblätter verteilt und Unterschrift für eine Petition gesammelt haben. Und es werden in russischen Medien und in sozialen Netzwerken Artikel über uns geschrieben, in denen wir diskreditiert und mit Schmutz beworfen werden."
    Masha vermutet, dass die Universitäts-Leitung damit zu tun hat. Denn die gibt den Studenten seit Monaten klar zu verstehen: Mit dem Protest setzen sie ihre Zukunft an der Universität aufs Spiel.
    "Wir werden zu Gesprächen gerufen, um uns zu überzeugen, dass wir im Unrecht sind, und nicht verstehen was wir tun. Man wirft uns vor, eine Revolution anzuzetteln. Und unsere Verwandten bekommen Anrufe von der Universität, dass wir in etwas verwickelt sind, das uns Probleme bereiten werde. Einige Aktivisten haben schon aufgehört, aus Angst, nicht weiter studieren zu dürfen."
    Auch Mashas Großmutter bekam bereits einen solchen Anruf vom stellvertretenden Dekan - und bat Masha danach, doch aufzuhören mit dem Protest. Noch überlegen die Studenten, ob und wie sie auch während der WM aktiv werden, zumal sie ja Prüfungen schreiben müssen und der Druck hoch bleibt: Als vor ein paar Tagen jemand mit roter Farbe "Nein zur Fanmeile" auf einen der Wegweiser nahe der Uni geschrieben hatte, wurden drei von Mashas Mitstreitern vorübergehend festgenommen.
    "Unsere Universität kann man als 'kleines Russland' bezeichnen. Wir wollten friedlich mit den Mächtigen reden, aber man hört nicht auf und sondern spuckt auf unsere Interessen. Das ist ein großes Problem: An unserer Universität und im ganzen Land."