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Gabriel: EU muss Wirtschafts- und Finanzpolitik abstimmen

Angesichts der Schuldenkrise Griechenlands fordert SPD-Chef Gabriel eine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Europäischen Union. Nur dann könne der Einfluss von außen auf das gemeinsame Währungssystem reduziert werden, sagte Gabriel.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 27.03.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Zufriedenheit auf ganzer Linie. Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern in Brüssel. Sie hatte bis zuletzt darauf gepocht, dass das sogenannte Bail-out-Verbot respektiert werden müsse, das in den europäischen Verträgen verankert ist und das besagt, dass kein Euroland ein anderes aus seinen finanziellen Schwierigkeiten herauskaufen darf. Griechenland solle sich an den Internationalen Währungsfonds wenden, sollte es tatsächlich zahlungsunfähig werden, forderte Merkel, die schon als eiserne Kanzlerin bezeichnet wird, was zu wütenden Reaktionen in anderen EU-Ländern führte. Vom neuen deutschen Nationalismus war schon die Rede, von mangelnder Solidarität. Der Kompromiss, der erzielt wurde, ist ein typisch europäischer, erste Anlaufstelle für Athen wird im Fall des Falles der IWF, als Ultima Ratio wurde aber auch beschlossen, zusätzliche bilaterale Hilfen bereitzustellen. Am Telefon ist jetzt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zu diesem Thema. Schönen guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Heckmann: Die Standfestigkeit der Kanzlerin hat sich also gelohnt?

    Gabriel: Ich finde, wenn wir es mal ein bisschen nüchterner betrachten, dann ist doch Folgendes passiert: Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat vor vier oder sechs Wochen gesagt: Liebe Leute, ich gehe auch gerne zum IWF, ihr müsst nur sagen, ob ich da hingehen soll oder ob ihr es hier in Europa alleine lösen wollt. Also so umstritten, wie Frau Merkel tut, ist die IWF-Lösung überhaupt nicht gewesen. Es ging immer um die Sorgen der Franzosen, die sagen, dann hat der IWF, dann haben letztlich die Vereinigten Staaten Einfluss auf unsere europäische Währung, das wollen wir aus politischen und aus psychologischen und aus währungspolitischen Gründen eigentlich nicht. Für Papandreou war das nie ein Problem. Der hat gesagt, ihr müsst euch nur endlich mal entscheiden. Und das, was wir jetzt gemacht haben, ist ja so halbe-halbe, ja, also einen Teil muss der IWF machen und ein anderer Teil dann vielleicht die Europäer. Ich finde diese Lösung wird ein bisschen überdramatisiert, und es sieht so aus, als hätte es einen Riesenkonflikt um dieses Thema gegeben. Für Papandreou, den betroffenen Griechen, war das – ich habe mit ihm mehrfach vor ein paar Wochen geredet, hat er immer öffentlich erklärt, na klar geht das mit dem IWF. Die Schwierigkeit, die ich sehe, ist, dass es die Europäer nicht geschafft haben, eine eigene Lösung zu schaffen, die nicht die europäische Staaten Geld kostet. also dieses Bail-out, gegen das sich Frau Merkel gewehrt hat, ist mit Sicherheit falsch, das hätte man nicht machen dürfen, da hat sie recht und auch meine Unterstützung, aber der Vorschlag ihres Finanzministers Schäuble, der war natürlich richtig, zu sagen: Sorgt dafür, dass die Griechen sich in Europa zum Beispiel bei der europäischen Investitionsbank zu ganz normalen Krediten also Geld leihen können, damit sie nicht die überteuersten Zinsen der Spekulanten an den Börsen bezahlen muss. Denn Giorgos Papandreou und den Griechen hat gedroht, dass sie auf die ganz normalen Börsen gehen müssen, an die ganz normalen Banken, sie hätten sich zu unglaublich hohen Zinsen Geld geliehen, und diese Zinsen hätten 50 Prozent aller seiner griechischen Sparmaßnahmen wieder aufgefressen. Das heißt, er hätte seine Bevölkerung massiv gegen sich aufgebracht, die gesagt hätte: Mein lieber Ministerpräsident, wir sind ja bereit zu sparen, aber die Hälfte davon geben wir den Spekulanten an den Banken und an den Börsen. Und dafür eine Lösung zu finden, dass die EU dafür sorgt, der soll das Geld zu normalen Zinsen bekommen und nicht zu Spekulantenzinsen, das war Schäubles Vorschlag, und diesen Vorschlag hat Frau Merkel zerstört.

    Heckmann: Herr Gabriel, es hieß ja immer, dass bilaterale Hilfen nicht mit dem EU-Recht vereinbar seien. Jetzt wird es diese doch geben, in dieser Mischlösung, wie Sie gerade eben schon erwähnt hatten. Verstoßen diese Hilfen denn nicht dann auch gegen geltendes Recht?

    Gabriel: Ja na klar ist es jedenfalls nicht das, was der EU-Vertrag bisher vorsieht. Schäubles Vorschlag wäre der klügere gewesen. Die Griechen wären zu einer europäischen Bank gegangen, hätten sich dort geliehen zu normalen Zinsen, hätten nicht so viel Geld für Zinsen bezahlt, und die Europäer hätten eine Lösung gehabt, bei dem weder Bail-out, also Rauskaufen stattfinden, noch hätten wir den IWF geholt. Das wäre eigentlich eine vernünftige Lösung. Warum Frau Merkel den Vorschlag ihres eigenen Finanzministers kaputtgemacht hat, das weiß ich nicht.

    Heckmann: Sind denn aus Ihrer Sicht jetzt Klagen, erneute Klagen in Karlsruhe nicht ausgeschlossen?

    Gabriel: Ich glaube, dass zumindest in dieser Zeit, in der der Papandreou erst mal mit dem IWF arbeiten kann, keine Klagen kommen werden, auch keinen Erfolg hätten. Die Frage wird sein, schafft er es nur mit dem IWF, über die Runden zu kommen. Er ist dazu bereit, er will nach Möglichkeit nicht mehrere Partner drin haben, und er hat sich natürlich auch beschwert darüber, dass die 26 Mitgliedstaaten so lange zur Entscheidung gebraucht haben. Der IWF ist da wesentlich schneller. Wir Europäer müssen eigene Sicherungsinstitutionen aufbauen, damit wir nicht immer bei den USA, letztlich sind sie das, und dem IWF nachfragen müssen, denn wir bekommen damit – da haben die Franzosen schon recht – einen Wettbewerber, der auf einmal bei uns Einfluss auf unser Währungssystem hat. Das sind nicht immer nur freundliche und hilfsbereite Einflüsse, sondern da können auch wirtschaftliche Interessen durchaus durchgedrückt werden gegen unsere Interessen.

    Heckmann: Merkel gegen den Rest der EU, so hätte die Überschrift lauten können der Verhandlungen in Brüssel, aber die Warnungen vor einem neuen Nationalismus in Deutschland, die waren doch ein wenig überzogen, oder?

    Gabriel: Ja, die sind Quatsch, aber die Überschrift hätte übrigens auch lauten können: Merkel gegen ihren eigenen Finanzminister. Dann wäre der Rest der Europäer vielleicht nicht ganz so besorgt gewesen.

    Heckmann: Ein Element, Herr Gabriel, das vereinbart wurde in Brüssel, war, dass auch verhandelt werden soll über eine Verschärfung des Stabilitätspaktes, denn der sieht einen solchen Fall ja in der Tat nicht vor. Angela Merkel hatte vor dem Bundestag schon gesagt, dass letztlich auch ein Ausschluss eines Eurolandes möglich sein muss, eines Landes, das sich also strikt und langfristig gegen bestimmte Maßnahmen und Schritte wehrt. Ist das nicht ein folgerichtiger Schritt?

    Gabriel: Ja, aber so kriegt man natürlich nicht eine gemeinsame Finanzpolitik hin, sondern einfach durch die Drohung, du musst dich anständig verhalten, sonst schmeißen wir dich raus, sondern dazu gehört ja schon ein bisschen mehr. Und immer, wenn das gefordert wurde in der Vergangenheit – Zapatero, der spanische Ministerpräsident, hat einen solchen Vorschlag gemacht, es gibt solche Ideen aus Frankreich –, immer dann war es Deutschland, die sich verweigert haben. Wir haben ja einen Geburtsfehler bei der gemeinsamen Währung Euro: Wir haben eine Währung eingeführt, ohne dass die Staaten miteinander eine koordinierte Finanz- und Steuerpolitik und Wirtschaftspolitik haben. Stellen Sie sich mal vor, 1948 hätten wir eine gemeinsame Währung in Deutschland, in Westdeutschland eingeführt und hätten gesagt, aber jeder macht mal, was er will, beim Steuererheben oder bei der Finanzpolitik, das wäre auch schiefgegangen. Und genau diesen Geburtsfehler müssen wir korrigieren durch eine gemeinsame abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik, und da steht Deutschland auf der Bremse. Wir sind immer in der jetzigen Regierung sehr schnell bereit, Forderungen zu erheben, aber wenn es zum Schwur kommt, sie einzulösen, ist Angela Merkel die Erste, die sie ausbremst, weil das natürlich auch heißt, dass man Machtverlust hat. Wenn man nicht mehr selber über alle Dinge in der Finanz- und Wirtschaftspolitik entscheiden kann, sondern das mit anderen besprechen muss, dann wollen die Staats- und Regierungschefs das oft nicht. Aber jeder Wirtschaftswissenschaftler, alle Ökonomen sagen uns: Leute, ihr könnt auf Dauer nicht eine gemeinsame Währung haben, ohne wenigstens ein Minimum an Abgestimmtheit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Und da ist sie die große Bremserin.

    Heckmann: Wir sprechen mit SPD-Chef Sigmar Gabriel hier in den "Informationen am Morgen" und wechseln das Thema. Herr Gabriel, die rechtsextreme NPD und die ProNRW machen mit islamkritischen Aktionen dieses Wochenende auf sich aufmerksam. Für gestern hatte ProNRW zu sogenannten Mahnwachen vor Moscheen gegen die angeblich drohende Islamisierung gewarnt, aufgerufen, und heute findet ein Kongress in Gelsenkirchen statt für ein Minarettverbot, am Sonntag dann ein Sternmarsch zur größten Moschee in Deutschland, in Duisburg-Marxloh. Kirchen, Parteien und Gewerkschaften haben zu Gegenveranstaltungen aufgerufen, auch Sie waren dabei, haben gestern mehrere Moscheen besorgt, sind morgen bei der Gegendemo in Duisburg dabei – ist das Ganze für Sie mehr als ein Wahlkampfauftritt?

    Gabriel: Mir wäre es am liebsten, es würde gar nicht stattfinden und wir müssten über so was im Wahlkampf nicht reden, aber diese seltsame Truppe von verkappten Rechtsradikalen, die sitzt ja schon in einer ganzen Reihe von Stadträten und Gemeinderäten in Nordrhein-Westfalen. Das sind Rechtsradikale, die sich ein Tarnmäntelchen einer Bürgerbewegung umgehängt haben, und die rufen jetzt nicht mehr, Ausländer raus, sondern Moscheen raus, wollen aber den gleichen Kulturkampf, den sie immer schon wollten. Und ich finde, damit man nicht über die redet, sollten wir als demokratische Politiker in die Moscheen zu den Menschen gehen islamischen Glaubens und sagen, lasst uns mal reden, was für Defizite gibt es eigentlich Integration noch. Wichtig ist, dass wir auch die schwierigen Fragen nicht irgendwie, denen nicht aus dem Weg gehen, sondern sagen wir, wir zeigen, man kann das demokratisch bereden, offen, transparent, ohne gegen Menschen rassistische Sprüche zu machen. Und das haben wir gestern mit Künstlern wie Peter Maffay und mit der Schauspielerin Demirkan und dem türkischen Unternehmer Vural Öger und vielen anderen den ganzen Tag getan. Wir haben diese fünf, sechs Moscheen besucht und haben mit ganz vielen Leuten dort geredet, haben natürlich auch gemerkt, dass es viele ungelöste Aufgaben gibt in der Integration, die wir nicht richtig im Griff haben, und dass wir daran weiter arbeiten müssen.

    Heckmann: Haben Sie denn auch gesprochen, Herr Gabriel, über den Vorstoß des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, in Deutschland türkische Gymnasien einzurichten.

    Gabriel: Klar.

    Heckmann: Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, lehnt das eher ab, Sie auch?

    Gabriel: Ja klar, ich meine, das war auch eines der ganz großen Themen. Man muss erstens mal gucken, was hat er wirklich gesagt. Ich kann mir im Ernst nicht vorstellen, dass wir türkische Gymnasien möglichst noch mit Regierungsauftrag aus der Türkei bei uns aufbauen, denn wir haben ganz andere Probleme. Unser Problem ist, dass an unseren Hauptschulen und Realschulen manchmal die türkischen Kinder, leider manche auch Deutsche übrigens, die deutsche Sprache nicht gut können und übrigens auch ihre Muttersprache Türkisch nicht gut können. Aber ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Türkisch als zweite oder dritte Fremdsprache mehr in Deutschland unterrichtet wird, als das zurzeit der Fall ist. Denn wir haben da gestern Jugendliche getroffen, die können Deutsch, Türkisch, Englisch, Französisch, das sind die Sprachen, die sie lernen. Die werden exzellente Zukunftschancen haben, egal wo sie arbeiten. Wir brauchen Türkischkenntnisse, weil wir immer mehr Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei haben. Da haben die jungen Leute, die türkische Eltern haben, richtig was zu bieten. Und denen bessere Sprachangebote in unseren ganz normalen Schulen zu machen, so wie wir Spanisch ja auch unterrichten oder Russisch unterrichten, warum nicht auch Türkisch. Das wäre ein richtiger Weg. Reine türkische Schulen bei uns, das ist natürlich eine Idee, die mit dem deutschen Bildungswesen nun wirklich nichts zu tun hat und mit den Problemen der jungen Türken bei uns auch nicht.

    Heckmann: Über die Gipfelergebnisse in Brüssel und die Rolle des Islam in Deutschland sprachen wir mit SPD-Chef Sigmar Gabriel. Herr Gabriel, danke Ihnen für das Gespräch!

    Gabriel: Bitte!