Samstag, 20. April 2024

Archiv


Gabriel verlangt von Union klares Bekenntnis zum Klimaschutz

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wirft der Union Doppelzüngigkeit beim Kampf gegen den Klimawandel vor. "Es kann nicht sein, dass wir international Dinge einfordern, aber im eigenen Land insbesondere CDU/CSU-Ministerpräsidenten und auch leider immer wieder das Bundeswirtschaftsministerium alles tun, um diese Klimaschutzziele im Land zu torpedieren", sagte Gabriel.

Moderation: Jürgen Zurheide | 09.06.2007
    Jürgen Zurheide: In Heiligendamm ist es im Übrigen nicht so harmonisch zugegangen, wie der eine oder andere das glaubte, bei den Bildern wahrgenommen zu haben. Hinter den Kulissen hat es kräftig gekracht, das sagen zumindest etliche Berichte heute morgen. Was nun daraus folgt und was getan werden muss, über dieses Thema wollen wir jetzt reden mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, den ich herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Gabriel, Angela Merkel war einigermaßen positiv gestimmt, was hatte man auch sonst erwarten können, über das, was sie da ausgehandelt hat. Viele der Umweltgruppen sind doch deutlich skeptischer. Warum teilen Sie deren Skepsis nicht?

    Gabriel: Ich kann schon verstehen, warum Umweltgruppen und Umweltpolitiker skeptisch sind, denn natürlich ist es nicht gelungen, die Wissenschaftsergebnisse, die uns eben genau sagen, dass wir bis 2050 die Hälfte der Treibhausgasemissionen weg haben müssen und dass wir damit jetzt anfangen müssen, dass das eben nicht Eingang gefunden hat in einen klaren Beschluss. Auf der anderen Seite muss man eben sehen, woher wir kommen. Wir kommen aus einer Situation, wo der amerikanische Präsident seit sechs Jahren jeden Versuch, in internationale Verhandlungen über den Klimaschutz einzutreten, abgelehnt hat. Es gab eine komplette Verweigerungshaltung, und hinter den USA haben sich Länder wie China und Indien versteckt.

    Und wir haben in Heiligendamm geschafft, dass die Vereinigten Staaten diese sechs Jahre Blockadehaltung aufgegeben haben. Die sind zurück in einem internationalen Verhandlungsprozess. Im Grunde ist es eine Bankrotterklärung gewesen für das, was in den letzten sechs Jahren in Amerika passiert ist. Und wir haben zum ersten Mal eine Situation, wo wir für die Klimaschutzverhandlungen Ende des Jahres auf Bali einen Verhandlungspartner haben. Und China und Indien, die wir brauchen, um die Klimaschutzziele zu erreichen, können sich nicht mehr hinter den USA verstecken. Das ist schon ein großer Durchbruch, wenn es natürlich auch immer noch nicht sozusagen "geschafft" ist. Wir haben nicht ein Ergebnis geschafft, aber wir haben einen Riesen-Zwischenschritt hinbekommen.

    Zurheide: Nun sagen viele, genau das ist Teil einer Inszenierung gewesen, die uns auch ruhig stellen soll, denn wenn man dann die Formulierung konkret sieht, heißt es ja: "Wir wollen ernsthaft in Betracht ziehen, dass wir etwas tun." Sie haben ja selbst gerade angesprochen, die Wissenschaftler wollen nichts in Betracht ziehen, die wollen Ergebnisse. Glauben Sie denn, dass die Amerikaner wirklich was verändern wollen?

    Gabriel: Wenn man einen Blick in die Vereinigten Staaten sieht, dann weiß man, warum Bush sich überhaupt bewegt hat. Es lag natürlich nicht an unserer europäischen Diskussion, jedenfalls nicht alleine, sondern in den Vereinigten Staaten hat sich die Debatte völlig verändert. Es gibt nicht nur eine Mehrheit an Politikerinnen und Politikern im Repräsentantenhaus, die endlich etwas im Klimaschutz tun wollen und die jetzt sogar ein Emissionshandelsgesetz für den 4. Juli angekündigt haben, das hat es ja auch nie gegeben vorher, sondern vor allen Dingen in der Bevölkerung, in der Wirtschaft der USA, in den Staaten, die Bürgermeister schließen sich zusammen. Es gibt einen Riesen-Druck auf den Präsidenten und seine Regierung.

    Das ist der Grund, warum sich etwas verändert hat, und das ist auch der Grund, warum ich die Hoffnung habe, dass die Vereinigten Staaten jetzt nicht mehr raus können. Es gibt natürlich sozusagen zwei Sichtweisen: Diejenigen, die nur die europäische und deutsche Debatte sehen, und die sagen alle, Kinder, das müsst ihr jetzt aber endlich mal verstehen, die sagen natürlich, um Gottes Willen, die sind ja immer noch nicht bereit, die Wissenschaftserkenntnisse auch wirklich in die Tat umzusetzen. Aber man muss eben sehen, dass Klimaschutz, dafür brauchen Sie 189 Nationen. Dafür brauchen Sie Entwicklungsländer, die den Eindruck haben, dass wir nichts anderes wollen, als sie in ihrem wirtschaftlichen Wachstum zu behindern, um sie als Konkurrenten loszuwerden. Die sind mindestens genauso skeptisch wie die Vereinigten Staaten. Und wer diesen internationalen Prozess betrachtet, der eben super-kompliziert ist, der kann eigentlich den Wert von Heiligendamm gar nicht hoch genug einschätzen.

    Zurheide: Was erwarten Sie konkret jetzt von New York, denn der UN-Generalsekretär hat ja alle Beteiligten eingeladen, um dann Bali vorzubereiten. In welcher Abfolge sehen Sie jetzt die wichtigere und die größere Hürde?

    Gabriel: Also, ich fang mal gar nicht mit New York an. Am Montag reisen wir mit zirka 20 Umweltministern aus der ganzen Welt - auch die Entwicklungsländer vor allen Dingen sind dabei, auch China, Indien, Pakistan - reisen wir nach Schweden und machen eine viertägige Tagung hinter verschlossenen Türen, um zu sehen, was bedeutet jetzt Heiligendamm für konkrete Verhandlungen in Bali? Was sind Möglichkeiten, zu einem Nachfolgeabkommen von Kyoto zu kommen, also dem ersten Klimaschutzabkommen, das wir überhaupt haben? Das läuft Ende 2012 aus, das heißt, ab dem 1.1.2013 brauchen wir ein Anschlussabkommen, mit dem Ziel, bis zum Jahre 2050 die Hälfte aller Treibhausgase wegzubekommen weltweit.

    Zurheide: Reicht das, die Hälfte? Steiner (Chef des UN-Umweltprogramms, d. Red.) hat heute gesagt, wir müssen mehr als die Hälfte hinbekommen.

    Gabriel: Nein, nein, es geht um die Hälfte weltweit, nur die Industrienationen müssen 60 bis 80 Prozent schaffen, Entwicklungsländer werden weniger schaffen, sie haben einfach einen anderen wirtschaftlichen Prozess vor sich. Weltweit 50 Prozent, die Industrienationen 60 bis 80, das ist die Position der Wissenschaft. Die müssen wir versuchen, als Ziel von Verhandlungen auf Bali zu vereinbaren, und dafür sehe ich eben inzwischen doch ganz gute Chancen.

    In Bali beginnt dann ein Verhandlungsauftrag, bestimmt zwei Jahre Verhandlungsmarathon, und dann braucht man ungefähr nach den Erfahrungen von Kyoto zwei Jahre, um über die einzelnen Parlamente in 180, 190 Staaten der Welt einen solchen Vertrag absegnen zu lassen. Da ist die Zeit bis zum Ende 2012 schon verdammt knapp. Und der Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem kommt eine sehr, sehr wichtige Rolle zu, weil er im September eine Tagung machen will in New York, um sozusagen für Bali, wenige Monate vor Bali, diese klaren Leitlinien zu vereinbaren, die eben in Heiligendamm so klar nicht rübergekommen sind.

    Deswegen ist es jetzt sozusagen ein Stufenplan. Montag beginnen wir, mit den Umweltministern Vorschläge zu erarbeiten. Dann wird es Gespräche bis zu New York geben, im September das Gespräch des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und dann auf Bali die eigentliche Konferenz.

    Zurheide: Dann haben Sie gerade angesprochen, dass gerade auch die Industrieländer, damit auch auf Deutschland, noch mehr, noch höhere Ziele zukommen werden. Stichwort Kraftwerke hier bei uns in Deutschland: Da verspricht die Industrie schon ganz lange, dass sie neue Kraftwerke baut, aber dann gibt es immer wieder Hintertüren. Sind Sie bereit, diese Hintertüren schneller zuzuschließen, dass wir endlich zu neuen Kraftwerken mit geringeren CO2-Emissionen kommen?

    Gabriel: Das ist vielleicht der wichtigste Punkt, der jetzt in Deutschland kommt, nachdem wir nun alles Mögliche auf internationaler Ebene eingefordert haben, müssen wir unsere eigenen Klimaschutzziele mal durchsetzen, denn da wird sehr genau hingeschaut, ob eigentlich die Europäer, ob die Deutschen nur von anderen etwas fordern oder ob sie das, was sie versprechen - nämlich wirtschaftlichen Wohlstand, Arbeitsplätze, Beschäftigung und Klimaschutz zusammenzubringen -, ob sie das eigentlich selber einlösen. Und wir haben vor ungefähr vier Wochen eine Regierungserklärung abgegeben, ich habe sie für die Bundesregierung – also nicht nur für das Umweltministerium, sondern für die gesamte Bundesregierung – abgegeben, bei dem wir 40 Prozent bis 2020 einsparen wollen. Das geht in Deutschland, das geht auch ohne Kernenergie. Allerdings setzt das voraus, dass wirklich alle mitmachen, nicht nur die Industrie, sondern zum Beispiel auch das Wirtschaftsministerium, das entsprechende Gesetzesvorlagen vorlegen muss, um den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung voranzubekommen, um mehr Energie einzusparen.

    Und was wir leider im Alltag erleben, ist, dass dort, wo die Ministerpräsidenten und auch die gesamte CDU der Kanzlerin zujubeln, einen Tag später alles getan wird, um das zu torpedieren. Ich meine, man muss sich vorstellen: Herr Rüttgers hat gestern, am Tag nach der Klimaschutzvereinbarung auf Heiligendamm hat es das Land Nordrhein-Westfalen unter Führung seines Ministerpräsidenten fertiggebracht, im Deutschen Bundesrat zu beantragen, dass wir mehr Verschmutzungsrechte für die Braunkohle geben sollen. Ich halte das für einen ziemlichen Skandal, dass sozusagen parallel dazu, dass wir der Kanzlerin sagen "Hast Du gut gemacht" im eigenen Land das Gegenteil tun. Und das muss endlich aufhören. Es kann nicht sein, dass wir international Dinge einfordern, aber im eigenen Land insbesondere CDU/CSU-Ministerpräsidenten und auch leider immer wieder das Bundeswirtschaftsministerium alles tun, um diese Klimaschutzziele im Land zu torpedieren.

    Zurheide: Jetzt hatte Claudia Roth, die Grünen-Chefin, gerade hier bei uns in der Sendung gesagt, wir müssen endlich "Good bye Stand-By" sagen. ( MP3-Audio ) Ich weiß, Sie sehen das auch so. Nur man fragt sich ja dann, wann passiert das denn endlich? Verschanzen Sie sich da nicht zu sehr hinter Brüssel?

    Gabriel: Das ist schlicht und ergreifend die Rechtslage, das weiß übrigens auch Frau Roth. Wir können in Europa keine einzelnen Produkte als einzelnes Land von unserem Markt ausschließen, sondern wir brauchen im Rahmen des europäischen Binnenmarktes dafür immer die Zustimmung aller Länder, damit wir einen gleichen Binnenmarkt behalten. Das ist Rechtslage in Europa.

    Zurheide: Und wann werden wir das schaffen?

    Gabriel: Wir haben jetzt eine Produktrichtlinie und eine sogenannte Öko-Designrichtlinie in der Kommission in Arbeit, bei der wir für viele Produktgruppen Effizienzstandards, also zum Stromverbrauch zum Beispiel, festlegen werden, dazu gehören auch Stand-By-Schaltungen. Die Kommission will das, aber das, was wir auf der Welt erleben, erleben wir auch bei uns in Europa. Es gibt Länder, die erhoffen sich Vorteile gegenüber anderen, wenn sie keine starken Klimaschutzziele vereinbaren, und die müssen wir genauso überzeugen, weil wir Einstimmigkeit in solchen Fragen brauchen, wie wir das in Heiligendamm mussten. Deswegen müssen die Europäer manchmal ein bisschen aufpassen, nicht zu verächtlich auf andere Staaten zu schauen. Wir erleben das in Europa auch und wir erleben das ja sogar zwischen Ländern und Bund in Deutschland. Klimaschutz ist ein relativ mühsamer Weg, das ist oft Menschen zu langsam, ich glaube, zu Recht zu langsam, aber es gibt keine Alternative.