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Gabriele Tergit: "So war’s eben"
Ein Roman, den Nachkriegsdeutschland nicht wollte

In der Weimarer Republik war Gabriele Tergit Bestseller-Autorin. In den 1960er Jahren suchte sie vergebens nach einem Verlag für ihr deutsch-jüdisches Romanepos "So war's eben". Nun erscheint das Buch erstmals in seiner ursprünglichen Fassung.

Von Katharina Teutsch | 29.08.2021
Gabriele Tergit, um 1924 und ihr Buch "So war's eben"
Gabriele Tergit um 1924 und ihr nun erstmals erschienener Roman „So war's eben“ (Foto: Moses Mendelssohn Stiftung, Berlin, Buchcover: Schöffling Verlag)
"Ich glaube tatsächlich nicht, dass man heute noch, in einer Zeit, in der die Literatur, Sprache, Struktur und die Möglichkeit, einen Roman zu schreiben, sich doch ganz wesentlich verändert haben, in der Unsicherheit, Mutmaßung und Ambivalenz der modernen Welt nicht ohne Einfluss auf die Literatur geblieben sind, in der auch das literarische Experiment vom Surrealismus bis zum Nouveau Roman sich doch ganz merklich und vor allem in den letzten 15 Jahren literarisch niedergeschlagen hat, – dass man also in einer solchen Zeit einen Roman noch so konzipieren und schreiben kann, wie Sie das hier getan haben."

Abfuhr von Fritz J. Raddatz

Es war eine spektakuläre Abfuhr, die Gabriele Tergit im Jahr 1965 von dem damals für Rowohlt tätigen Lektor Fritz J. Raddatz erhalten hatte. Und es kam noch dicker. Fand der später berühmte Kritiker nur, man könne in der postbleiernen Ära des deutschen Romans, also im Jahrzehnt der literarischen Aufbrüche in Richtung Brinkmann und Handke, so nicht mehr schreiben, war man beim Kiepenheuer & Witsch Verlag der Meinung, Tergit errichte auch ideologisch gesehen eine Mauer. Und zwar "eine Mauer gegen das deutsche Volk", wie es in dem Ablehnungsschreiben für Tergits drittes Romanmanuskript "So war’s eben" hieß.
Den Einen also war die Bestseller-Autorin der frühen dreißiger Jahre, die mit dem Großstadtroman "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" berühmt geworden war, zu konventionell. Den Anderen war sie zu wenig versöhnlich. Schon mit den inzwischen mehrfach neu aufgelegten "Effingers" tat sich das Nachkriegspublikum schwer. Ein backsteingroßer Roman, der das Schicksal dreier großbürgerlicher jüdischer Familien in Berlin bis ins Jahr 1933 nachzeichnet – mit viel erzählerischem Schmelz, der Darstellung bürgerlicher Selbstinszenierung im Berliner Tiergartenviertel, mit der Nachbildung politischer Konversation, weltanschaulicher Plauderei, gründerzeitlicher Heiratspolitik, aufsteigendem Antisemitismus, Hitlerismus und Judenverfolgung.
Vor zwei Jahren erschienen die längst vergriffenen "Effingers" im Rahmen einer Werkausgabe beim Frankfurter Schöffling Verlag neu. Unter frenetischem Applaus der Feuilletons, die von den "jüdischen Buddenbrooks" schwärmten.

Das Manuskript tingelte von einem Verlag zum nächsten

Im Jahr 1951 schwärmte niemand. Der Roman fiel beim Publikum durch. Gabriele Tergit, die mit ihrem Mann 1933 erst nach Palästina, dann nach London geflüchtet war, erlebte das, was viele Exilanten noch einmal demütigen musste: Die Lebenswelt ihrer jüdischen Familie lebte nur noch in Tergits "Effingers" weiter, aber kaum jemand in Deutschland wollte sich nach dem Krieg allzu sehr mit dieser Verlustbilanz auseinandersetzen. Hinzu kam, dass die Emigranten sich keiner großen Beliebtheit erfreuten. Thomas Mann hatte man einmal vorgeworfen, er und die anderen Exilschriftsteller, hätten der deutschen Tragödie von den "Logen und Parterreplätzen des Auslands" bloß zugeschaut.
1956 schreibt Gabriele Tergit einem befreundeten Redakteur in Berlin von einem neuen Romanprojekt. Arbeitstitel zunächst "Eine ganze Generation", später "Die Vertriebenen":
"Nun möchte ich noch einmal einen großen Roman schreiben. Aber ich kann nicht noch einmal 20 Jahre warten, bis er gedruckt wird. So lange hat es bei den Effingers gedauert. Ich kann auch nicht den Alpdruck einer jahrelangen Suche nach einem Verleger auf mich nehmen. Halten Sie es für möglich, dass ein 800 Seiten Roman einen Verleger findet?"
Der Kollege riet ihr zu. Das Manuskript tingelte von einem Verlag zum nächsten, wurde stark eingekürzt, dann doch nicht veröffentlicht. Nun erscheint er erstmals in der ursprünglich von Tergit vorgesehenen Länge. Die Tergit-Herausgeberin Nicole Henneberg hat ein Nachwort beigesteuert, das den Geburtsprozess dieses Generationen- und Zeitromans noch einmal nachzeichnet. "So war’s eben" ist der endgültige Titel, für den Tergit sich letztlich entschied. Mit dem Abstand zur darin behandelten untergegangenen Lebenswelt wirkt er aufreizend lapidar.

"Franziska klingelte, wies das Hausmädchen an, die braunen Samtgardinen vorzuziehen und die Petroleumlampen anzuzünden. Dieser Damentee war wichtig, sollte ihr und ihrem Mann das Markussche Haus öffnen.
Tatsächlich kam Adeline Markus als Erste, ein Modebild im weißbekurbelten grünen Kleid mit dreifacher Pelerine, jede mit Nerz eingefasst, dazu ein Brüsseler Spitzenjabot, eine blonde zierliche Schönheit mit strahlend blauen Augen und Gemmenprofil."

Ein Mann, der Künstler und kein Kaufmann sein will

Die feine Gesellschaft des jüdischen Bildungsbürgertums Berlin Ost frequentiert im Roman die feine Gesellschaft der neureichen Industriellen Berlin West. Man erhofft sich stabile Kontakte in politisch instabilen Zeiten und schwelgt ein bisschen in Erinnerungen an die gute alte Gründerzeit. Hinzu gesellt sich im Roman die preußische Obrigkeit, also die deutsche Oberschicht. Sie wird repräsentiert durch das Geschlecht der von Rumke, dessen Patriarch Willibald von Rumke Major am großen Generalstab ist. Die zwei Söhne, Friedrich Wilhelm und Jürgen, sowie die zwei Töchter Christine und Freia werden das ruhmreiche Erbe der von Rumke auf je unterschiedliche Weise aufs Spiel setzen.
Auf Seiten der Juden stechen mehrere Familien hervor. Der Lastkraftwagenfabrikant Markus samt glamouröser Gattin Adeline. Die reichen Sterns. Die reichen Jacobys, der Bankier Joschua Beer, der exzentrische Nervenarzt Hanns Hermann Herbst und der Amtsrichter Julius Mayer, dessen baldige Witwe Roserl sich mit Zimmervermietung durchschlägt. Sowie Roserls Tochter Grete, die ein Alter Ego der Autorin ist: Eine junge Frau, die über Umwege zur fiktiven Berliner Rundschau kommt und unter dem Chefredakteur Stephan Heye als Gerichtsreporterin von sich Reden macht. Vorbild für Heye, der in seiner Freizeit deutsche Geschichtswerke verfasst, war Theodor Wolff. Er hatte Gabriele Tergit 1925 in die Redaktion des Berliner Tageblatts geholt. Genau wie Tergit, die mit bürgerlichem Namen Elise Hirschmann hieß, besucht die Romanfigur Grete zuvor die neue Schule der Frauenrechtlerinnen unter Alice Salomon. Später wird sie im Exil die Familie ernähren. Ihre aus Süddeutschland stammende Mutter ist nicht begeistert von Gretes neuem Brotberuf und klagt einer Freundin:
"Weißt, Journalismus ist schon ein verachtetes Tagewerk bei Männern und bei einem jungen Mädchen? Ich hab halt Angst, dass sie ein Blaustrumpf wird und sich schwertun wird mit dem Heiraten."
Doch die Sorge ist unbegründet. Grete heiratet den Jacoby-Sohn Otto, der ein Künstler und kein Kaufmann sein will. Er interessiert sich für Fotografie und Film, wird später Regisseur.
Das Personal von "So war’s eben" beläuft sich – nur die wiederkehrenden Personen mitgezählt – auf 74. Zumindest sind diese Figuren im Register des Buchs aufgeführt. Es ist unmöglich, es ohne zu lesen. Zu verworren sind die Verhältnisse, zu sprunghaft wechseln sich Schauplätze, Gesellschaften und Ereignisse ab. Tatsächlich verlangt einem die Lektüre von "So war’s eben" viel Geduld ab. Und es dauert über zweihundert Seiten, bis man überhaupt begriffen hat, wer hier zu wem gehört, wer alter Offiziersadel, wer neureich, wer kleinbürgerlich und vor allem wer im frühen zwanzigsten Jahrhundert das Ost- und wer das Westberliner Judentum repräsentiert. Insgesamt hat Gabriele Tergit mit "So war’s eben" nicht nur ein Buch über die deutsche Katastrophe der Judenvernichtung geschrieben, sondern weiter ausgreifend auch über den Niedergang Preußens. Das preußische Wertesystem zerbröselt vor des Lesers Auge vom Ersten Weltkrieg, über den Versailler "Schandvertrag", wie man in konservativen Kreisen zu sagen pflegt, über die Inflationsjahre, die wackelige Demokratie, den politischen Antisemitismus bis hin zur konservativen Amtshilfe für das aufstrebende Hitlerregime. Die alte Frau von Rumke schüttelt vor dem Ersten Weltkrieg noch den Kopf über den neuen "kosmopolitischen Umgang" ihrer Enkel.

"Also, wenn ich kosmopolitisch sage, dann meine ich alle diese Leute, die gegen Armee- und Marineforderungen sind, diese sozihaften Gestalten, kurz diese reichen Juden, mit denen ihr umgeht."

Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit

Doch ihre Bedenken halten Enkel Jürgen nicht davon ab, ein glühender Anhänger der sozialistischen Idee zu werden, anstatt wie sein Bruder Friedrich Wilhelm ein kriegslüsterner Patriot, der als Propagandist des völkischen Verbandes der Alldeutschen zum Politstar wird. Auch Enkelin Freia tanzt aus der Reihe, indem sie gegen alle Standes-Usancen einen Juden heiratet. Und Christine, indem sie von einer Karriere als Schauspielerin beim großen jüdischen Regisseur Max Reinhard träumt. Damit ist das Schicksal des Offiziersgeschlechts von Rumke unauflösbar mit dem der Berliner Juden verknüpft. Umgekehrt das der Juden mit den preußischen Soldatengeschlechtern. Denn selbst der liberale Theaterkritiker der Berliner Rundschau begründet seine Motivation zur Kriegsteilnahme preußisch patriotisch:
"Ich bin ... nicht aus geheimnisvoll-mystischen Gründen in den Krieg gegangen. Ich musste einfach mitgehen. Eine Niederlage Deutschland würde unsere innere Welt zunichte machen und dann: Endlich einmal das Gefühl haben, dass man nicht überflüssig ist."

Wie Tergit einmal schreibt: 1918 wollte jeder etwas anderes: Jürgen geht in den kommunistischen Untergrund. Friedrich Wilhelm radikalisiert sich bei den Alldeutschen und entwickelt eine Haltung, die "in den Stahlgewittern des Weltkriegs geboren wurde":
"’Erfüllungsschweine umlegen’, ‚Freunde des Feindbunds niederknallen’, ‚Rache am Westen’, ‚Gegen Geldmacher, Befreiung von jüdischer Herrschaft, für völkische Wiedergeburt, gegen die Überfremdung unserer Universitäten. Jeder Achte ist Ausländer, die meisten Juden, schmarotzen an unserem Volkstum, die Universitäten müssen fremdenrein und judenrein werden."
Der Redaktions-Besuch des Prinzen Siegen-Siegen, den Chefredakteur Heye stolz "ein Edelgewächs im adeligen Palmenhaus" nennt und den er zu seinen regelmäßigen Autoren zählt, führt Tergits Lesern noch einmal die große Sehnsucht der deutschen Juden vor Augen: die Sehnsucht nach Zugehörigkeit:
"Der Prinz hatte seine Wurzeln weniger tief in irgendeiner Erde als Heye im Berliner Sandboden, wo seine Vorfahren unter dem Namen Heymann mit fünfzig 1670 aus Wien vertriebenen Familien vom großen Kurfürsten zugelassen wurden, der gesehen hatte, wie sehr die Juden zu Hollands wirtschaftlichem Aufstieg beitrugen. Er nahm nur reiche Juden, weshalb noch 1913 viele Berliner Juden reich waren."
Später, im aufgeheizten Klima der Dreißiger, wird sich ebenjener Prinz von seiner Tätigkeit bei der Berliner Rundschau distanzieren. Seine Memoiren unterschlagen schließlich die umfangreiche politische Korrespondenz des liberalen Prinzen mit dem jüdischen Chefredakteur. Spätestens jetzt wird klar, dass es eng wird in Deutschland für die Juden. Heye wird im NSDAP-Presseorgan Der Angriff übel diffamiert. Wie Tergit hier die langsame Verschiebung der Haltungen innerhalb der jüdischen Community nachzeichnet, ist nuanciert und eindrücklich. Anfang der Dreißiger sagt der Unternehmer Markus noch zu den Seinen:
"Ich soll mein Werk aufgeben? Wenn der Himmel einstürzt, sind alle Spatzen tot. Es geht nur gegen Kommunisten, Sozialisten und Intellektuelle. Es war genau so unter Bismarcks Sozialistengesetz. Sie wollen den Leuten einen Maulkorb umhängen. Sie werden sich nicht an der Wirtschaft vergreifen."
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Dokumente der Zeitgeschichte und historisch verbürgte Ereignisse

Von einer Haltung des Nichtwahrhabenwollens führt Tergit dann erbarmungslos hinein in ein Klima der Panik, schließlich der Verzweiflung. Suizid wird zur Realität, ebenso das KZ Theresienstadt, wohin mehrere Verwandte Tergits deportiert worden waren.
Der Walter-Benjamin-Biograf Lorenz Jäger hatte über die Brüder Scholem einmal geschrieben, ihre Lebenswege hätten die drei Haltungen repräsentiert, die man in den zwanziger Jahren als deutscher Jude entwickeln konnte. Gershom Scholem wurde Zionist von mystischer Radikalität. Er wanderte schon Anfang der 20er nach Palästina aus. Erich Scholem blieb in Deutschland und hoffte auf ein Ende der Diskriminierung durch den politischen Liberalismus. Werner Scholem schließlich setzte seine Hoffnung in eine sozialistische Zukunft. Mit allen anderen Ungleichheiten werde auch die von Juden und Nichtjuden enden. Von all diesen Optionen ist auch bei Tergit die Rede. Und hier merkt man der Autorin ihre immense politische Informiertheit an, ihre journalistische Sorgfalt, die Kenntnis von Leitartikeln, politischen Prozessen, öffentlichen Kundgebungen. Im vergangenen Jahr waren Tergits Gerichtsreportagen erschienen. Einige der darin behandelten Fälle tauchen auch im Roman auf. Ebenso Dokumente der Zeitgeschichte und historisch verbürgte Ereignisse. Es entsteht so ein Stimmengewirr, das es dem Leser schwer macht, einer einzelnen Handlung oder Haltung zu folgen. Ideologische Vielstimmigkeit, Polyphonie der Großstadt, Ambivalenz aller handelnden Personen! Das alles ist Programm – und macht diesen Roman mitunter zu einer harten Geduldprobe.
So ist es Friedrich Wilhelm, der beim Versuch einen Juden zu retten, nämlich den Mann seiner Schwester, zum gescheiterten Nazi wird. Auch seine Frau, eine exzentrische Gräfin, wechselt ständig die Register. Sie gehört zu den spannendsten Figuren des Romans. Eine furchtlose Person, die ebenso sehr zum Verrat fähig ist wie sie jahrelang einen Juden bei sich in der Villa versteckt. Eine Frau, die das Abenteuer mehr liebt, als ihren Arierpass. Verurteilt wird in diesem Roman niemand. Es wird nur gezeigt, was möglich ist.
Zum Beispiel diese Szene im arisierten Berlin. "So war’s eben!"
"Ein anderer Gestapomann kam eines Abends allein, ging durch die Zimmer und kam zu Sabine:
‚Die Bonzen haben sich wohl schon alles geholt?’
‚Ich habe keine Ahnung.’
‚Ich heirate nämlich in zwei Monaten – gestatten Sie, dass ich mich setzte –, ich versuche in den jüdischen Wohnungen ein schönes Schlafzimmer zu finden, aber nur mit modernen niedrigen Betten. Hier haben doch wohlhabende Leute gewohnt. Wie ist denn das Schlafzimmer?’
‚Ganz altmodisch’, sagte Sabine.
‚Ach, dann sehe ich es mir gar nicht an.’
Sabine hätte gern gesagt: ‚Wie können Sie denn einer Judensau glauben?’"
Ein wichtiger Teil des Romans spielt im Exil, in Paris und in London, wo sich die Emigranten auf dem Laufenden halten. Tergit gibt hier detaillierte Einblicke in ein entbehrungsreiches Leben. Bei der Beerdigung eines berühmten deutschen Journalisten, in dem, wer will, Carl von Osszietzky erkennen kann, stehen vier Exiljuden – Grete und ihr Mann, die Witwe und ein Kollege aus Berliner Zeitungszeiten – im Krematorium:

Das unversehrte Berlin lebte nur noch in den Köpfen

"Sie waren vier Menschen. In die vier Ecken der Welt zerstreut, eine zweitausendjährige Geschichte zu Ende, eine geistige Gemeinschaft zerschlagen, jeder einzelne war nun unersetzbar, jeder Tod vereinsamte sie noch mehr."
Und die Vereinsamung betrifft auch eine Entfremdung von den eigenen Kindern, die im Exil aufgewachsen sind und die das kulturelle Erbe ihrer Eltern weder antreten können noch wollen.

"Meine Jungen sind fleißige ehrenhafte Menschen. Aber sie haben nichts mit uns gemeinsam. Wir sind deutsche Juden, rundherum, eingesessen, ganz klare Fälle, die Jungen sind Engländer, aber doch nicht ganz."
Ein letzter Teil des Romans spielt schließlich in der Nachkriegszeit. Intensive Szenen gewinnt Tergit dem Besuch ihrer Heldin Grete im zertrümmerten Berlin ab. Die alte Nazibraut von Friedrich Wilhelm hat zwar einen Juden bei sich versteckt, weil er ihr gefiel. Aber sie zeigt, wie so viele, nach dem Krieg keinerlei Reue:
"1945, die Ruinen rauchten noch, sagte sie:
‚Was mit den Juden passiert ist, waren Verkrampfungen, Übersteigerungen.’"

Verzicht auf jegliches Pathos

In New York, wo ein Teil des Romanpersonals Fuß gefasst hat, kommt es Mitte der sechziger Jahre noch einmal zu einer denkwürdigen Szene. Grete trifft ihre alten Bekannten aus Berlin. Ihr Mann Otto ist inzwischen verstorben. Man tauscht sich aus. Die Leute sind, wenn sie nicht gestorben sind, so doch alt geworden.
"Eine Stadt, eine Welt, die einmal quicklebendig war, das unversehrte Berlin und das Berliner jüdische Kleinbürgertum lebte nur noch in ihren Köpfen."
Das darzustellen war Gabriele Tergit mit ihrem dritten großen Roman angetreten. Und wie ging es weiter für das Geschlecht der von Rumke? Nachdem Jürgen von Rumke in Moskau wegen "Trotzkismus" zu fünf Jahren Gulag verurteilt wird und – so wird geraunt – wegen angeblicher Spionage für die Nazis ermordet wurde, kommt Friedrich Wilhelm in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Danach ist er ein gebrochener Mann. Er ist zwar tatsächlich geläutert, aber das nützt ihm wenig. Seine Freunde von den "Alldeutschen" machen einfach weiter. Und er selbst empfindet Ratlosigkeit. Denn Waschmaschinen, so sinniert er, waren kein Ersatz für Ideen. Das ist aber für Friedrich Wilhelm der politische Kern der Bundesrepublik. Der komplette Verzicht auf jegliches Pathos. Das Grauen der schnöden Mitte, die einst Stefan George so klagvoll verteufelte:
"Kehrt wieder klug und gewandte väter!
Auch euer gift und dolch ist bessre sitte
Als die der gleichheit-lobenden verräter
Kein schlimmerer feind der völker als DIE mitte"

Gabriele Tergits Roman liest sich mit dem zeitlichen Abstand zu seiner Entstehung wie ein spannendes Dokument, das noch einmal sämtliche Diskurse und die dazu gehörenden Realien zwischen Kaiserreich und jüdischem Exil versammelt. Da sie aber anders als bei den "Effingers" auf jedes erzählerische Fett verzichtet, ist die Lektüre mühsamer. Die Mühe lohnt sich für all diejenigen, die sich nicht mit einem einfachen "So war’s eben!" zufriedengeben möchten.
Gabriele Tergit: "So war’s eben"
Herausgegeben von Nicole Henneberg
Schöffling Verlag, Frankfurt a.M., 618 Seiten, 28 Euro.