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Gaby Weber: Die Verschwundenen von Mercedes-Benz

Viel ist berichtet worden über Verbrechen chilenischer und argentinischer Militärs. Doch selten wurde die Frage aufgeworfen: Welche Kreise haben von diesen Menschenrechtsverletzungen profitiert? Das hat die Journalistin Gaby Weber bewogen, das Schicksal der während der argentinischen Militärdiktatur verschleppten Betriebsräte von Mercedes-Benz zu untersuchen. Wie sie dabei vorging, und wie sie fündig wurde, beschreibt sie in ihrem Buch "Die Verschwundenen von Mercedes-Benz".

Veronika Neukum | 20.08.2001
    Viel ist berichtet worden über Verbrechen chilenischer und argentinischer Militärs. Doch selten wurde die Frage aufgeworfen: Welche Kreise haben von diesen Menschenrechtsverletzungen profitiert? Das hat die Journalistin Gaby Weber bewogen, das Schicksal der während der argentinischen Militärdiktatur verschleppten Betriebsräte von Mercedes-Benz zu untersuchen. Wie sie dabei vorging, und wie sie fündig wurde, beschreibt sie in ihrem Buch "Die Verschwundenen von Mercedes-Benz".

    Das Fazit vorneweg: Das Buch von Gaby Weber liest sich wie ein Krimi. Es erzählt von einer journalistischen Recherche. Einer schwierigen, nicht ungefährlichen Suche nach der Wahrheit. Ein herausragendes Beispiel für das, was im Wortsinn als "investigativer Journalismus" zu verstehen ist, ein selten gewordenes Genre in unserem Beruf. Es geht um eine Geschichte, an die über zwanzig Jahre lang niemand gerührt hat. Weder die argentinische Justiz, noch die deutsche. Weder die argentinische Presse, noch die deutsche.

    Es ist eine Geschichte von David und Goliath. Goliath, der deutsche Automobil-Hersteller Mercedes-Benz. David, der Betriebsrat. Genauer: eine Gruppe von linken Betriebsräten, die in den 70er Jahren für die 4000 Mann starke Belegschaft des Mercedes-Werkes in Gonzáles-Catán bei Buenos Aires höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erkämpfen wollten.

    Ergebnis der journalistischen Recherche: 1977 - im zweiten Jahr der argentinischen Militärdiktatur - "verschwanden" nachweislich 14 Betriebsratsmitglieder. Die Männer wurden von Militär und Geheimdienst entführt, gefoltert und ermordet. Gaby Weber belegt durch zahlreiche Zeugenaussagen, dass die Mercedes-Chefs skrupellos die Gunst der Stunde genutzt haben, um sich ihrer kritischen Gewerkschafter zu entledigen.

    Zuvor - Mitte der 70er Jahre - hatte die Belegschaft der korrupten und opportunistischen Metallarbeiter-Gewerkschaft SMATA das Vertrauen entzogen und für die oppositionelle linke Liste gestimmt. Im Oktober 1975 streiken die Arbeiter gar 24 Tage lang. Der Manager Heinrich Metz wird von der Guerilla entführt und nach Lösegeldzahlung freigelassen. Wenige Stunden nach der Entführung denunziert Rubén Pablo Cuevas, Geschäftsführer von Mercedes-Benz, die linken Betriebsräte bei der Bundespolizei und verrät deren Privatadressen. Am 24. März 1976 - ein halbes Jahr später - putschen sich die Generäle an die Macht. Gewerkschaften und gewerkschaftseigene Krankenkassen werden zwangsverwaltet. So bestätigt der Gewerkschaftsanwalt Héctor Recalde der Autorin:

    "In den Fabriken arbeiteten Militärs und Personalabteilungen Hand in Hand. Wenn ein Betriebsrat störte, weil er sich für die Rechte seiner Kollegen einsetzte, schwärzten ihn seine Vorgesetzten als Terroristen an und lieferten ihn damit den Militärs ans Messer, die die restliche schmutzige Arbeit erledigten."

    Die Unternehmen fahren astronomische Gewinne ein, Streiks werden verboten, wer Lohnerhöhungen und Arbeitsschutzmaßnahmen fordert, gilt als "Staatsfeind" und wird liquidiert.

    Im Februar 1999 - mehr als 20 Jahre später - beginnt Gaby Weber, die seit den 80er Jahren in Montevideo, Uruguay, lebt, Beweise zu suchen für die häufig unterstellte Komplizenschaft zwischen Wirtschaft und argentinischer Militärdiktatur in den Jahren 1976 bis 1983. Sie bekommt heraus, dass im Gegensatz zum amerikanischen Auto-Hersteller Ford bei Mercedes-Benz die Betriebsräte nicht nur verschleppt und gefoltert, sondern auch ermordet worden waren. Im "juicio" 1985, dem spektakulären Prozess gegen die Junta-Kommandanten, war der "Fall Mercedes-Benz" zwar schon zur Sprache gekommen und durch Zeugenaussagen belegt worden, jedoch ohne juristische Konsequenzen.

    Vom Ex-Oberstaatsanwalt Julio Strassera - damals Chefankläger - erfährt Gaby Weber zwei wichtige Namen. Erstens: Einer der wenigen überlebenden Betriebsräte ist Héctor Aníbal Ratto - im "juicio" Zeuge der Anklage. Ratto hatte seine später ermordeten Kollegen allesamt im Folterzentrum "Campo de Mayo" in Buenos Aires gesehen. Information Nr.2: Der damals verantwortliche und belastete Werksleiter von Mercedes-Benz, Argentinien, ist der Deutsch-Argentinier "Juan Tasselkraut".

    Doch wie soll sie die Angehörigen der Verschwundenen in einer 13-Millionen-Stadt finden? Das Unterfangen scheint nahezu aussichtslos. Doch in wochenlanger Kleinarbeit gelingt es Gaby Weber, 14 Fälle zu lokalisieren. Doch damit fangen die Schwierigkeiten erst an. Denn: Meist stößt sie auf Ablehnung bei den Angehörigen. Warum in den alten Geschichten herumstochern - alte Wunden aufreißen? Und was soll's - Gerechtigkeit gebe es ja doch nicht! Die wenigen Überlebenden des unabhängigen Betriebsrates von Mercedes-Benz leben heute in ärmlichsten Verhältnissen, resigniert und vor allem mit dem Schuldgefühl, überlebt zu haben.

    Mercedes-Benz ist die einzige Firma, die den Witwen fast zehn Jahre lang die Löhne der "verschwundenen" Arbeiter gezahlt hat, eine Tatsache, die in Argentinien erst durch Gaby Weber bekannt wird. Werksleiter Tasselkraut gibt ein Interview, wiegelt aber gegenüber der Autorin ab: Die Zahlungen an die Angehörigen seien weder als Schuldeingeständnis zu werten, noch als Schweigegeld zu verstehen.

    Als Gaby Weber das Thema in Deutschland anbietet, will es zunächst keiner haben. Die Zeitungsverlage blocken ab. Man will den potenten Anzeigen-Kunden DaimlerChrysler nicht verprellen. Aufgrund eines Hörfunkberichts erstattet der Republikanische Anwaltsverein Strafanzeige wegen Beihilfe zum Mord gegen den verantwortlichen Werksleiter in Buenos Aires und gegen die Unternehmensführung in Stuttgart. Erst daraufhin nimmt DaimlerChrysler Juan Tasselkraut aus der Schusslinie.

    Der Hartnäckigkeit der Autorin ist es zu verdanken, dass die unheilige Allianz zwischen dem Weltkonzern und der Militärdiktatur nicht mehr totgeschwiegen werden kann. Rückenwind bekommt die Autorin von den Kritischen Aktionären. Auf der Hauptversammlung im April 2001 gelingt es Gaby Weber sogar, Daimler-Chef Jürgen Schrempp mit den recherchierten Fakten zu konfrontieren und den Vorstand aufzufordern, die Politik des Verschleierns aufzugeben. Die Autorin schreibt:

    In Zukunft werden sich Unternehmen daraufhin überprüfen lassen müssen, ob sie die Menschenrechte respektieren, auch in ihren Niederlassungen in der Dritten Welt. Dazu gehört nicht nur die Respektierung von Mindestlöhnen und würdigen Arbeitsbedingungen, sondern auch das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung.

    Eine öffentliche Diskussion über Menschenrechte und Großunternehmen muss her, fordert die Autorin auf. Mit ihrem Buch "Die Verschwundenen von Mercedes-Benz" hat sie einen beeindruckenden Beitrag dazu geleistet. Eine empfehlenswerte Lektüre, nicht nur für Menschenrechtsaktivisten oder Südamerika-Freunde.

    Veronika Neukum stellte das Buch vor von Gaby Weber: "Die Verschwundenen von Mercedes-Benz". Assoziation A Verlag, Berlin. 122 Seiten. 19,80 DM. Hier noch ein Nachtrag: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat inzwischen das Verfahren gegen DaimlerChrysler in Stuttgart eingestellt, da - wie es heißt - kein ausreichender Anfangsverdacht gegen das Mutterhaus bestehe. Doch das macht das Buch nicht weniger interessant.