Dienstag, 19. März 2024

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Gangs verteilen Lebensmittel in Kapstadt
Wenn der Drogendealer sich als Wohltäter verkauft

Die Cape Flats im südafrikanischen Kapstadt sind berüchtigt für ihre Bandenkriminalität. Es geht um Drogenhandel und Macht. Auch während der Corona-Pandemie ist der Staat in diesen Stadtteilen nicht präsent. Diese Lücke nutzen Gangster und beliefern die Menschen mit Lebensmitteln.

Von Adrian Kriesch | 30.05.2020
Leon Meyer saß 18 Jahre im Gefängnis, unter anderem wegen Mordes. Er war ein Anführer der Gang Mongrels. Hier in Cape Flats, Kapstadt.
Leon Meyer saß 18 Jahre im Gefängnis, unter anderem wegen Mordes. Er war ein Anführer der Gang Mongrels. Während der Pandemie kocht er für seine Nachbarn. (Adrian Kriesch/deutschlandradio)
Mit seinen kräftigen Armen rührt Leon Meyer mit einem Ein-Meter-langen Kochlöffel durch einen riesigen Topf mit Hühnchen-Curry, der auf einer Feuerstelle in seinem Hof steht. Meyer kocht nicht nur für sich, sondern knapp 200 Mahlzeiten für seine Nachbarn.
"Ich weiß, dass die meisten gerade kein Geld haben, um ihre Kinder zu ernähren. Darum mache ich das."
"Je härter du fällst, desto stärker wirst du", steht auf Meyers T-Shirt. Er saß 18 Jahre im Gefängnis, unter anderem wegen Mordes. Er war ein Anführer der Gang Mongrels. Die Cape Flats – ein dicht besiedeltes Gebiet mehrerer Stadteile in Kapstadt - sind berüchtigt für ihre Gangkriminalität. Es geht um Drogenhandel und Macht. Zur Zeiten der Rassentrennung wurden die Menschen hierher umgesiedelt, doch auch seit dem Ende der Apartheid gibt es kaum Jobs, keine Perspektive.
Das Foto zeigt das Viertel "Mitchells Plain" in Kapstadt aus der Luft. Man sieht Wellblechdächer und unzählige Hütten.
Gang-Gewalt in Kapstadt - Angst vor den Verbrechern in der Nachbarschaft
Mehr als 1.000 Menschen wurden in diesem Jahr bereits in den Cape Flats in Kapstadt ermordet. Die Gang-Gewalt eskaliert seit Jahren. Jetzt soll die Armee durchgreifen. Viele Anwohner wünschen sich lieber Sozialprogramme.
Im Schnitt gibt es laut Polizeistatistik acht Morde in Kapstadt – pro Tag. Gangs haben hier das sagen. Aber durch die Pandemie und den verhängten Aussperren seien die Bandenkriege zurückgegangen, sagt Pastor Stanford Hill. Seit 20 Jahren vermittelt er zwischen den Gangs.
"Ich sehe COVID als einen getarnten Segen. Es hat Leute aus allen Schichten enger zusammengebracht. Egal wo man hier hinfährt – viele Gang-Bosse versorgen ihre Nachbarn mit Lebensmitteln. Mit riesigen Töpfen. Das ist wie die Robin Hood-Geschichte – sie kümmern sich um die Hungrigen. Ob die Motive dahinter ehrlich sind oder nicht – das kannst du keinem Kind hier erklären."
Seit der Apartheid habe die Regierung die Menschen in den Cape Flats weitgehend ignoriert, sagt der Pastor, und so vielen jungen Menschen die Kriminalität als einzige Option gelassen.
Gangster als angesehene Männer
Leon Mayer mit einem Freund in Cape Flats - für rund 200 Nachbarn kocht er Hühner-Curry
Leon Mayer mit einem Freund in Cape Flats - für rund 200 Nachbarn kocht er Hühner-Curry (Adrian Kriesch/deutschlandradio)
Seit dem Lockdown sind Gangster wie Leon Meyer deshalb plötzlich angesehene Männer in der Nachbarschaft, sagt Desiree Simon. Die Mutter steht mit ihren Kindern geduldig in der Schlange vor Meyers Haus. Kindergeld und Sozialhilfe sind bei ihr schon Mitte des Monats aufgebraucht.
"Es ist hart. Wir sind auf Leute wie ihn angewiesen, Nachbarn die uns helfen. Das ist einfach unfair. Wir bekommen keine Unterstützung von der Regierung. Nur wenn sie Wählerstimmen brauchen, interessieren sie sich für uns."
Verbrecher füllen die Lücke, die der Staat lässt
Südafrika - Die Gangs von Kapstadt
Die Gewaltkriminalität in Südafrika hat bürgerkriegsähnliche Ausmaße. Alle 26 Minuten wird ein Mord verübt. Besonders betroffen: Menschen in Armutsvierteln. Präventivprogramme sollen nun beim Kampf gegen die Gewalt helfen.
Generell sind es in Kapstadt meist private Initiativen, die Lebensmittelverteilungen organisieren – nicht der Staat. Es gibt in den Cape Flats mehrere Gangster-Bosse, die Lebensmittel in ihrer Nachbarschaft verteilen. JP Smith sieht diese Entwicklung kritisch. Er ist im Komitee des Bürgermeisters von Kapstadt zuständig für Sicherheitsfragen – und teilt schriftlich mit.
"Die Ernährungssicherheit bleibt bedroht für viele Menschen. Darum liegt es an jedem, der helfen kann, zu helfen. Das kann aber nicht die Not und das Elend der letzten Jahrzehnte wieder wettmachen, dass die Gangs den Menschen in den Cape Flats zugefügt haben."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Die Mär vom Drogendealer als Wohltäter
Dass die bösen Jungs plötzlich bessere Menschen seien, ist jedoch keineswegs so – sagt auch der Kriminologe Don Pinnock. Seit Jahren recherchiert er zur Gang-Gewalt in den Cape Flats.
"Gangs helfen meiner Erfahrung nach nicht einfach jemandem anderen. Es geht nur um sie selbst, wie sie selbst profitieren können. Darum frage ich: Was haben sie davon, Lebensmittel zu verteilen? Vielleicht wollen sie gut in ihrer Nachbarschaft dastehen. Aber vielleicht nutzen sie das auch, um ihre Drogen zu transportieren – wir haben hier ja gerade einen Lockdown. Ich glaube nicht, dass das eine positive Story ist, in der die Gangs plötzlich die Waffen niederlegen, nette Typen sind und den Bedürftigen helfen."
"Als Gangster geboren - Gangster bleiben"
Während er das Essen an seine Nachbarn verteilt, versichert Leon Meyer, dass das Geld dafür nicht aus den Drogengeschäften komme. Er arbeite noch als Fliesenleger. Aber irgendwann räumt er dann doch überraschend ehrlich ein: Gangs bleiben Gangs.
"Das Gangstertum wird es hier immer geben. So ist das hier, so leben wir. Alle auf einem Haufen. Ich wurde als Gangster geboren – und ich werde ein Gangster bleiben. Das ist der einzige Weg für mich. Und nur dadurch kann ich meine Leute hier unterstützen."
Der Kriminologe Don Pinnock glaubt, dass nur ein massives staatliches Umdenken und Investitionen den Einfluss von Gangs in den Cape Flats einschränken könnten: bessere Bildungschancen und Jobmöglichkeiten für die Menschen, um aus der Armut heraus zu kommen. An den Gang-Aktivitäten, sagt Pinnock, würden der Lockdown und die Coronakrise allein nichts ändern.