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Ganz leichte Geschichten

Man hat ihn gerne als "Sprach-Architekten" bezeichnet, und dies zunächst aus einem ganz schlichten Grund: Der 1930 geborene Friedrich Achleitner war nie nur Schriftsteller, sondern hat sich auch als Architekt, Architekturkritiker- und Historiker einen Namen gemacht, nicht zuletzt durch seine Geschichte der Österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts.

Von Jan Koneffke | 28.12.2006
    Der andere, tiefere Grund war Achleitners Mitgliedschaft in der legendären "Wiener Gruppe" um H.C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener in den 60er Jahren. Zu verführerisch muss es den Kritikern erschienen sein, im Etikett des "Sprach-Architekten" gleichzeitig auf die konstruktivistischen Verfahren von Montagetechnik und Konkreter Poesie anzuspielen. Friedrich Achleiter hält die Bezeichnung freilich auch inhaltlich für unpassend.

    "Ganz ehrlich gesagt, ich hab mich eigentlich immer gewehrt dagegen, also für mich haben beide Bereiche nichts miteinander zu tun gehabt, und das hing auch damit zusammen, dass ich ja der Meinung war, dass Wirklichkeit - oder das waren wir alle in der Wiener Gruppe - Wirklichkeit nicht abbildbar ist durch Sprache, d.h. mit Sprache kann man die Wirklichkeit nicht erreichen, man kann eine eigene damit schaffen, und ich mach genau in der Architektur das Gegenteil, also ich muss dann beschreiben, und ich weiß, dass es nicht geht, und mit dieser Crux lebe ich und arbeite ich, und damit haben die sprachlichen Versuche oder sprachlichen Dinge, wenigstens für mich, keine Beziehung. Wenn andere solche Beziehungen herstellen, okay, das ist mir egal, aber ich habe mich eigentlich immer dagegen gewehrt ... und es ist auch eine ziemlich naive Analogie, wenn man glaubt, dass eben ein Satz aus Bausteinen besteht und dann baut man, also das sind wirklich dumme Analogien."

    Quer zum Etikett des "Sprach-Architekten" steht auch die Erfahrung, die man bei der Lektüre der Achleitnerschen Prosaminiaturen macht. Denn wo Architektur an schwere Materie und an Funktionen gebunden bleibt, bestechen Achleitners Texte durch Beiläufigkeit, Leichtigkeit und - Zweckfreiheit. Nicht umsonst spricht der Wiener Autor in einem der Prosastücke den Wunsch aus, "ganz leichte" Geschichten schreiben zu wollen, "die wie ein fisch im stehenden wasser schweben."

    "Es gibt auch irgendeinen Text, wo ich behaupte, dass eben Geschichten keinen Inhalt transportieren sollen. Und die Geschichten entstehen auch so. Ich muss täglich Texte schreiben, wo ich einen Gegenstand habe, ein Problem hab, Funktionen hab, Leistungen hab und die muss man dann in irgendeinem Kontext beschreiben. Und meine Texte sind genau das Gegenteil, die entstehen zufällig, durch irgendein Wort, das mir auffällt, durch irgendeine Konstellation von Begriffen, auf jeden Fall, die entstehen nicht inhaltsbezogen, die Inhalte entwickeln sich vielleicht, aber auch nur spurenweise und werden dann selbst wieder umgedreht und widerlegt, d.h. es ist wirklich das Gegenteil von dem, was ich normalerweise mit der Sprache mache oder machen muss. "

    Und wovon handeln die Achleitnerschen Geschichten? Von nichts, könnte man sagen und ebenso gut behaupten: Von allem. Oder: Von den unscheinbaren, alltäglichen, beiläufigen, niedrigen und ephimeren Erscheinungen des Lebens und damit immer der Sprache, in der sich unser Leben abspielt. Achleitners Miniaturen handeln vom Zufall, der morgens vor der Tür steht und rein zufällig - wie auch sonst - vorbeigekommen ist, von "männerrunden" die aus mindestens vier Teilnehmern bestehen müssen, dem Wortführer, dem Lacher und den beiden Schweigern, von "abkürzungen", die man dann, zum besseren Vertsändnis, doch wieder in die eigentliche Bezeichnung übersetzt, oder von "verpaßten gelegenheiten", die Achleitner so boshaft wie wahr als "nachhaltigkeit an sich" bezeichnet und - als "ideale gelegenheit für nationale gedenktage". Nicht selten geht der Autor von Redewendungen aus, und das liest sich dann, wie in "kreißende berge", folgendermaßen: "ein berg zum andern: sag, alter knabe, daß wir manchmal kreißen müssen, ist ja okay, aber warum muß jedesmal eine maus geboren werden? ja, da hast du recht, das sollten wir einmal diskutieren."

    Überhaupt leben die Achleitnerschen Geschichten von einer, im wahrsten Sinne des Wortes, lebendig gewordenen Sprache. Das "und" diskutiert mit dem "oder" und das "veilchen" mit dem "blauen auge". Achleitner liebt Namen, deren Individualität sich dem Begriff und seiner Bedeutung entziehen sollte, doch gehen die Autonomie der Benennung und des Namens leider verloren, wenn es sich um so genannte "sprechende Namen" handelt, die dann auch noch mit dem Beruf ihres Trägers kollidieren. Folgerichtig hebt ein Prosastück mit der kleinlauten Frage an: "was soll man von einem schuster halten, der schneider heißt, oder von einem bademeister namens winter ..."

    Aus diesem Geschichtenbeginn erkennt man schon, dass Achleitner vorm Kalauer nicht zurückschreckt, wie es sich für Texte über das Niedrige und Ephemere gehört. Satiren sind es nicht - denn Satiren ohne moralischen Zeigefinger sind nicht denkbar, und der spielt in Achleitners Prosastücken keine Rolle. Existentiell können sie aber trotzdem werden, wenn auch wiederum en passant, etwa wenn im "begräbnis" die frage auftaucht: "was denkt sich ein achtzigjähriger beim begräbnis eines vierzigjährigen?" Und nachdem wir ein paar Vermutungen eher behaglicher Art gelesen haben, die uns so oder ähnlich bereits durch den Kopf gingen, beunruhigt uns der Autor mit dem Satz: "interessanter wäre schon die frage, was sich so ein achtzigjähriger beim begräbnis eines einundachtzigjährigen denkt."

    Achleitners Geschichten sind Gedankenbewegungen, und seine Gedankenbewegungen mal heitere, mal bitterböse und manchmal einfach nur verblüffende Geschichten. Nicht einmal sprachkritisch kann man sie nennen, denn es fehlt ihnen die Schärfe der Kritik, nicht aber die Genauigkeit des Blicks auf unsere Sprach-Welt. Achleitner ist auch kein Sprachzertrümmerer, was sich an dem Umstand erkennen lässt, dass man seine Geschichten mühelos übersetzen kann, zumindest dort, wo sie nicht auf Redewendungen basieren, die in anderen Sprachen nicht vorkommen. Qua Konzentration können wir, die Leser, uns von ihnen zerstreuen lassen, oder noch besser: Qua Zerstreuung sind wir bei ihrer Lektüre auf besondere Weise konzentriert.

    Tatsächlich hat sich Achleitner mit diesem Buch seinen Wunsch erfüllt, Texte zu schreiben, die "wie fische im stehenden wasser schweben." Und trotz des schwarzen Humors, der gelegentlich aufblitzt, dem Granteln an einigen Stellen, haben seine Geschichten letztlich etwas freundlich Mildes an sich. Liegt das am Abendlicht des Alters, das sie bescheint, oder vielleicht auch an der Tatsache, dass das Programm der "Wiener Gruppe" beinahe so etwas wie Allgemeingut geworden ist?

    "Ja, das weiß ich nicht, aber das könnte sein, also einige Phänomene sicher. Also, wenn ich mir die heutige Werbung anschaue, dann kann man sichs ohne konkrete Poesie gar nicht vorstellen, gerade im Film, in den Werbespots und so, was da mit Silben, Buchstaben oft gemacht wird. Wenn wir diese Mittel damals gehabt hätten, dann wären ja unglaubliche Sachen entstanden. Jetzt ist es absolut eine Marktschiene, das ist ganz klar ... Mir tuts nur leid, dass ich nicht die Spuren gesichert habe, hier ein Plakat fotografiert oder so, das wäre eine eigene Dissertation zu verfolgen, diese Verflachung aber auch diesen Verbrauch einer Methode. Ja, das ist ein merkwürdiges Phänomen, so wenig die Sachen rezipiert worden sind, so vielfältig sind sie verwurstet worden .... von den Grafikern, die meistens nichts lesen..."

    Friedrich Achleitner: und oder oder und. Paul Zsolnay Verlag, Wien. 2006, 104 Seiten