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Ganztagsschulen
"Wir brauchen eine dauerhafte Finanzierung"

Für eine dauerhafte Finanzierung der Ganztagsbetreuung in Schulen reichten einmalig zwei Milliarden nicht aus, sagte die Kultusministerin Baden-Württembergs Susanne Eisenmann im Dlf. Dieses Angebot des Bundes sei nicht konform mit dem Koalitionsvertrag.

Susanne Eisenmann im Gespräch mit Manfred Götzke | 28.06.2019
Schüler einer 3. Klasse im hessischen Bad Homburg melden sich im Unterricht, eine Schülerin steht vor der Tafel, aufgenommen 2018
Für Ganztagsbetreuung in Schulen gibt es viele unterschiedliche Modelle (picture alliance/Andreas Arnold/dpa)
Manfred Götzke: Eines der ambitioniertesten Ziele der großen Koalition in Sachen Bildung ist ein bisschen in Vergessenheit geraten: der Rechtsanspruch auf Ganztagsschule. Ähnlich wie bei der Kita-Betreuung will die große Koalition ermöglichen, dass Eltern sich darauf verlassen können, das ihre Kinder eben auch in der Schule ganztägig unterrichtet, beziehungsweise betreut werden. Bis 2025 soll dieses dann auch einklagbare Recht bundesweit umgesetzt werden. Das kostet natürlich und der Bund hat den Ländern auch Geld zugesagt, allerdings nur zwei Milliarden Euro einmalig. Immer mehr Bundesländer, die das Ganze umsetzen müssen, sagen: Das geht so nicht. Unter anderem NRW, Sachsen und Baden-Württemberg. Kultusministerin dort ist Susanne Eisenmann. An sie geht die rhetorische Frage, ob man den Rechtsanspruch auf Ganztag so umsetzen kann.
Susanne Eisenmann: Die Frage, ob wir den Rechtsanspruch auf Ganztag umsetzen können, hängt natürlich schlicht und einfach daran, ob die Bundesregierung analog zum Koalitionsvertrag die dort gemachten Aussagen einhält oder nicht, und das, was bisher kommuniziert wird, entspricht nicht dieser Grundlage, weil die Frage ist nicht einmalig zwei Milliarden Euro, sondern es sind dauerhafte Kosten, und daran ist ein Rechtsanspruch auf Ganztag gebunden und festgeschrieben. Deshalb stimmen bisher die Grundlagen dessen, was die Bundesregierung vorgelegt hat, nicht mit dem überein, dass man es tatsächlich umsetzen kann.
"Bedarf deutlich über zwei Milliarden"
Götzke: Der Bund will zwei Milliarden geben. Wie viel bräuchten Sie denn eigentlich?
Eisenmann: Also zunächst mal ist es so, dass der Bund zwei Milliarden einmalig angeboten hat mit einer Bemühenszusage, man will dann schon schauen, dass es irgendwie weitergeht. Jetzt sind die zwei Milliarden einmalig. Investitionen, die ja vor allem in den Kommunen getätigt werden müssen, das ist der eine Punkt. Nur zusätzliche Angebote bedarf zusätzlicher laufender Kosten, zusätzlicher Personalkosten et cetera. Deshalb braucht man zum einen eine dauerhafte Finanzierung und nicht einmalig zwei Milliarden, weil das ist schlicht ein Vertrag zulasten Dritter, und darüber hinaus ist es so, dass es ja ganz unterschiedliche Modelle in den einzelnen Ländern gibt, die ja auch alle zum Ganztag was machen, und da kann man nur sagen, wenn man die unterschiedlichen Modelle mal im Durchschnittswert nimmt, dann ist der jährliche Bedarf deutlich über zwei Milliarden dauerhaft. Deshalb sind wir noch weit weg von dem, was die Bundesregierung angekündigt hat und das, was tatsächlich nachher umsetzbar wäre.
Götzke: Können Sie oder wollen Sie die fehlenden Mittel aus dem Landeshaushalt ergänzen oder ausgleichen?
Eisenmann: Also zunächst mal, wenn die Bundesebene einen Rechtsanspruch auf Ganztag einführt und im Koalitionsvertrag schriftlich fixiert ist, dass es zu einer laufenden Kostenentlastung für die Kommunen durch den Bund kommt, dann legen wir auf die laufende Kostenentlastung tatsächlich wert, und da sind einmalig zwei Milliarden einmalig schlicht und einfach nicht dem Koalitionsvertrag entsprechend. Deshalb ist das, was der Bund vorgelegt hat, schlicht und einfach nicht zustimmungsfähig, weil dadurch Kosten produziert werden. Der Bund sagt etwas zu, was nachher Länder und Kommunen umsetzen müssen, und das entspricht nicht der Arbeitsgrundlage, die dem Koalitionsvertrag zu entnehmen ist.
"Angebot des Bundes entspricht nicht den Vereinbarungen"
Götzke: Das heißt, Ihr Problem ist, wer die Musik bestellt, der soll sie auch bitte schön bezahlen.
Eisenmann: So ist es. Das ist schon im Privaten eine Grundlage, und das gilt natürlich auch für einen Koalitionsvertrag der Bundesregierung.
Götzke: Befürchten Sie so im Großen und Ganzen eine Art Digitalpakt zwei? Auch da hat man ja jahrelang Geld versprochen, das man dann mit extrem großer Verspätung bekommen hat beziehungsweise das überhaupt noch kommen soll.
Eisenmann: Mit einem zentralen Unterschied zum Digitalpakt, ja, das Verfahren war sehr langwierig. Beim Thema Rechtsanspruch Ganztag ist es so, dass das, was bisher auf dem Tisch liegt, ich sagt es eben schon, der Koalitionsvereinbarung gar nicht entspricht, weil da ist direkt benannt, dass es um laufende Unterstützung durch den Bund geht. Das heißt, das Angebot, das der Bund gemacht hat, ist schon gar nicht koalitionsvertragskonform. Das ist ein ganz zentraler Unterschied, deshalb haben wir, anders als der Digitalpakt, momentan im Grunde gar keine Verhandlungspositionen. Dass die Länder in dem Bereich viel machen ist ja auch nicht neu, und der Bund hat bisher auch noch nicht kommuniziert, was er sich denn unter Ganztag vorstellt – flexibel oder gebunden, von acht bis sechzehn Uhr, oder von neun bis fünfzehn. Da gibt es ja ganz unterschiedliche Modelle, und auch da gibt es ja vom Bund bisher noch keine Festlegung. Das legt aber dann wiederum die Grundlage fest, auf der wir dann auch sehen können, wo stehen wir, und wo wollen wir hin. Also deshalb, der Bund muss mal deutlich machen, was er denn wie will und wie vertragstreu er denn sein möchte.
Götzke: Bis 2025 soll es ja diesen Rechtsanspruch geben. Könnte da also ab 2025 eine Klagewelle kommen, wenn das Ganze nicht so umgesetzt wird?
"Man bräuchte Ausbildungs- und Einstellungsoffensive"
Eisenmann: Na ja, zunächst mal ist es so, dass die Klagewelle für mich nicht erkennbar ist, weil das Thema ist ja zustimmungspflichtig auch im Bundesrat. Die Bundesregierung braucht ja dafür eine Zustimmung. Davon sind wir, unabhängig wie sich eine Landesregierung zusammensetzt, momentan weit weg, weil wir einmütig der Meinung sind, sowohl CDU-regierte wie SPD-regierte Länder oder auch Grünen-regierte Länder, um Baden-Württemberg als Beispiel zu nehmen, das ist nicht die Grundlage, auf der wir bereit sind, einen Rechtsanspruch als Vorgabe des Bundes zu akzeptieren, und deshalb: bis zur Klagewelle ist es noch lange. Zunächst ist es einmal zustimmungspflichtig, und davon ist der Bund ganz weit weg.
Götzke: Das eine ist ja das Geld, aber haben Sie oder hätten Sie überhaupt genügend Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter et cetera, um Ganztagsunterricht flächendecken in Baden-Württemberg anzubieten, wenn Sie das Geld dafür hätten?
Eisenmann: Tatsächlich ist es so, wir als Baden-Württemberg gehen in eine große Ausbildungsoffensive, was Erzieherinnen und Erzieher angeht, aber was Lehrerinnen und Lehrer angeht, da haben Sie natürlich recht. Die Frage ist, welches Ganztagsmodell in der Konzeption liegt denn zugrunde. In Baden-Württemberg ist der gebundene Ganztag mit Lehrerinnen und Lehrern, in anderen Bundesländern mit Erzieherinnen und Erzieher. Das ist schon ein grundsätzlich unterschiedlicher Ansatz, aber klar ist, wenn man ihn umsetzen wollte, muss man natürlich zusätzliche Lehrerstellen und auch zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher mit einstellen, aber auch das ist ein Thema, was unter laufenden Kostenbeteiligung, so der Koalitionsvertrag, der schwarz-roten Bundesregierung benannt ist, und auch das ist ein Thema, wo wir uns dann drüber unterhalten müssen, aber tatsächlich bräuchte man für beides im Grunde eine Ausbildungs- und Einstellungsoffensive. Das ist sicher richtig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.