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Garzón auf der Anklagebank

Gleich in drei Fällen wird dem spanischen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón Rechtsbeugung vorgeworfen. Offen ist, ob sich der Pinochet-Jäger über Regeln hinweggesetzt hat, oder ob er Opfer konstruierter Anklagen ist. Denn Feinde hat er überall.

Von Hans-Günter Kellner | 17.01.2012
    Gleich drei Mal geht es um den Vorwurf der Rechtsbeugung. Baltasar Garzón soll als Ermittlungsrichter am Nationalen Gerichtshof eigenmächtig die juristische Aufarbeitung des Franco-Regimes eingeleitet haben, obwohl er wusste, dass die Verantwortlichen durch ein Amnestie-Gesetz aus dem Jahr 1977 geschützt sind. Außerdem soll Garzón vom Vorstandsvorsitzenden der Santander-Bank, Emilio Botin, Geld entgegen genommen haben. Im Gegenzug habe er dafür ein Ermittlungsverfahren gegen den berühmtesten Bankier Spaniens eingestellt. Und schließlich soll Garzón illegal und wider besseres Wissen Rechtsanwälte abgehört haben, die Beschuldigte im sogenannten Geldwäsche- und Korruptionsskandal "Gürtel" vertreten. Garzóns Rechtsanwalt Franciso Baena Bocanegra meint dazu:

    "Zwischen Februar und Oktober 2009 sind drei Verfahren gegen den Untersuchungsrichter Baltasar Garzón eröffnet worden. Das ist doch schon sehr ungewöhnlich. Ich bin der juristische Verteidiger Garzóns. Ich muss dafür sorgen, dass in dem Verfahren allein juristische Argumente zählen. Darum kann ich das nicht weiter bewerten. Das ist die Aufgabe der Presse und der Bürger. Ich finde es aber zumindest merkwürdig, dass es jetzt gleich drei Verfahren gibt. Drei Verfahren, die sich durch keine Rechtsmittel aufhalten lassen und sich wie Panzer vorwärtsbewegen."

    Im Verfahren Gürtel sind Politiker der Volkspartei beschuldigt, einem Firmennetzwerk gegen Geschenke Aufträge erteilt zu haben. Auch Unternehmer sind angeklagt. Garzón nahm 2009 mehrere Beschuldigte in dem Verfahren in Untersuchungshaft und ließ sie ihm Gefängnis abhören, auch die Gespräche mit ihren Rechtsanwälten. Bei einem Treffen mit der internationalen Presse sagte der Untersuchungsrichter im letzten Jahre dazu:

    "Ich verfügte: Das Recht auf Verteidigung muss Vorrang haben. Der Einzige, der die Rechte der Verfahrensbeteiligten garantieren kann, ist der Untersuchungsrichter. Ich muss also zwei Rechte kompatibel machen: das Recht auf Verteidigung, ein heiliges Recht. Und das nicht weniger bedeutende Recht der Bürger, dass Straftaten auch verfolgt werden. Ich ordnete folglich an, dass alle Gesprächsinhalte der Anwälte, die mit der Verteidigung ihrer Mandanten zu tun haben, aus den Abhörprotokollen herausgenommen werden."

    Die rechtlichen Bestimmungen über das Abhören von Untersuchungshäftlingen seien leider recht schwammig formuliert, meint auch Garzón. Aber das Abhören von Häftlingen im Gespräch mit ihren Rechtsanwälten sei in Spanien nicht außergewöhnlich, erklärt Rechtsanwalt Baena Bocanegra. Und selbst wenn Abhörprotokolle als Beweismittel abgelehnt würden. Noch nie wurde ein Untersuchungsrichter wegen Abhörens angeklagt:

    "Ich kenne keine weiteren Fall dieser Art. Ich fordere im Verfahren die Anklage auf, zu erklären, in welchen weiteren Fällen Ermittlungsrichter angeklagt werden, weil sie Beschuldigte abhören ließen. Die Anklage weigert sich. Ich kenne keinen einzigen Fall."

    Der Rechtsanwalt will zum Prozessauftakt gegen zwei der sieben Richter Befangenheitsanträge stellen. Sie sind auch als Ankläger in den beiden Parallelverfahren gegen Garzón beteiligt. Sein Mandant habe damit keine Chance auf ein faires Verfahren, sagt der Rechtsanwalt und kündigt im Falle einer Verurteilung an, notfalls vor das Verfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen. Andere Juristen sehen hingegen genug Gründe für eine mögliche Verurteilung Baltasar Garzóns. So etwa Francisco Rebollo von der Uned-Universität:

    "Aus juristischer Sicht sind zwei der Anklagen besonders schwerwiegend: Die Einstellung eines Verfahrens gegen den Bankier Emilio Botin, nachdem eines der Seminare Garzóns in New York von der Santander-Bank finanziert worden war. Ein zweites sind die abgehörten Telefongespräche von Rechtsanwälten und Beschuldigten. Das ist verboten, es sei denn, es handelt sich um Terrordelikte. Garzón muss das wissen. Beide Fälle haben große juristische Tragweite."

    Andere sehen in Garzón hingegen das Opfer eines Komplotts rechtskonservativer Juristen und Politiker, die den unbequemen Ermittlungsrichter loswerden wollten. Während der eigentlich Fall "Gürtel" noch gar nicht abgeschlossen sei, werde dem zuständigen Ermittlungsrichter sprichwörtlich kurzer Prozess gemacht, spottet Emilio Silva, Vorsitzender der Vereinigung zur Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses, einem Verband von Angehörigen von Opfern des Franco-Regimes:

    "Garzón ist jetzt plötzlich zum Kriminellen geworden. Er ist gleich drei Mal hintereinander straffällig geworden. Was für ein Zufall. Außerdem ist jetzt das Verfahren wegen der abgehörten Gespräche vorgezogen worden. Ich glaube, das Gericht hat ganz bewusst gehandelt. Am liebsten wäre manchem ein schnelles Urteil. Damit Garzón im Verfahren der juristischen Aufarbeitung der Franco-Vergangenheit als Verurteilter gebrandmarkt auf der Anklagebank sitzt."


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