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Gasangriff, Granaten und Gräueltaten

"Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque ist der wohl bekannteste Antikriegsroman: Er machte den Schriftsteller und Journalist Remarque mit einem Schlag berühmt. Aber der Roman war von Anfang an wegen seiner politischen Aussage umstritten. Heute vor 80 Jahren erschien er im Berliner Propyläen Verlag.

Von Birgit Schütte | 29.01.2009
    "Dass man pazifistisch oder gegen den Krieg ist, fand ich, war ganz selbstverständlich. Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen."

    Erich Maria Remarque schildert in seinem Antikriegsroman "Im Westen nichts Neues" die Gräuel des Ersten Weltkriegs. Aus Sicht des jungen Kriegsfreiwilligen Paul Bäumer beschreibt der Autor den grausamen Überlebenskampf im Schützengraben, mit Gas- und Granatenangriffen, ständig den Tod vor Augen.

    Das Werk wurde in 55 Sprachen übersetzt. Rund 20 Millionen Exemplare wurden weltweit gedruckt. Bereits 18 Monate nach seinem Erscheinen am 29. Januar 1929 im Berliner Propyläen Verlag zählte man die millionste Ausgabe. Zwei Monate vorher war der Roman in der "Vossischen Zeitung" gedruckt worden, groß angekündigt als Erlebnisbericht eines Frontsoldaten:
    "Einer aus der grauen Masse, einer von Hunderttausenden, die als halbe Kinder dem Ruf zu den Fahnen freiwillig folgten, begeistert, ahnungslos."

    Der Erfolg übertraf die kühnsten Erwartungen. Die "Vossische Zeitung" steigerte drastisch ihre Auflage und war wochenlang vergriffen. Remarque, der bis dahin Chefredakteur bei der Illustrierten "Sport im Bild" war, die zum konkurrierenden Hugenberg Konzern gehörte, wurde fristlos gekündigt.

    Der Autor selbst war zwar lediglich sechs Wochen an der Front gewesen. Lange genug, um danach mit dem Leben nicht mehr zurechtzukommen. Er litt unter Depressionen, Unruhe und Angstattacken. Mit seiner ungeschminkten Darstellung des Krieges gab Remarque vielen eine Stimme, die nicht reden konnten, wie Tausende von Leserbriefen dokumentierten:

    "Wir konnten davon nicht sprechen, weil es immer noch nicht überwunden war, wie wir es nicht auszudrücken vermochten. Der Grabenmensch, der arme Hund redet hier endlich. Wort für Wort ist es seine Rede und sein Denken. Ich kenne alle die Soldaten, von denen Remarque spricht, jeden einzelnen, und einer davon bin ich selber."

    "Mein Mann, der den Feldzug und zwei Verwundungen mitmachte, hat mir noch nie über seine Fronterlebnisse etwas mitgeteilt. Jetzt drückt er mir diesen Roman in die Hand und sagt: 'So, nun lies einen wahrheitsgetreuen Bericht über mein Kriegsleben.'"

    Remarque wurde vom Verlag als einfacher Frontsoldat hochstilisiert. Er selbst untermauerte diesen Mythos:

    "Ich habe das Buch 1928 geschrieben. Und zwar so schnell wie ich noch nie ein Buch geschrieben habe, in vier Wochen, abends. Ich war damals Redakteur und musste also abends arbeiten."

    Als Ende der 1980er Jahre der Nachlass Remarques in New York öffentlich zugänglich wurde, zeigte sich, dass der Text keineswegs schnell entstanden war. Denn das Manuskript weist viele Korrekturen auf. Der Roman war akribisch erarbeitet und die Dramaturgie genauestens durchdacht. Der Mythos vom Geniestreich war eine Marketingstrategie des Verlags, sagt Thomas Schneider, der Leiter des "Erich Maria Remarque Friedenszentrums" in Osnabrück:

    "Dazu gehörte unter anderem, dass Remarque 'Im Westen nichts Neues' nach Büroschluss ohne Korrekturen heruntergeschrieben hätte, und dass quasi sein Kriegserlebnis aus ihm herausgeflossen sei. Und Ziel dieser Behauptung war natürlich, die Glaubwürdigkeit des Textes zu erhöhen. Ein tatsächlich authentisches Zeugnis für ein Kriegserlebnis."

    Ein weiterer Mythos ist, dass Remarque mit dem späteren Erfolgsroman Dutzende von Verlegern abklapperte. Er bot "Im Westen nichts Neues" lediglich dem renommiertesten Verleger für Literatur in der Weimarer Republik, Samuel Fischer, an. Fischer lehnte jedoch mit der Begründung ab, dass gegenwärtig, 1928, niemand etwas über den Ersten Weltkrieg lesen wolle. Eine seiner schwerwiegendsten Fehlentscheidungen, gab Fischer später zu.

    Der Propyläen Verlag wagte sich schließlich an den brisanten Stoff, der in der Weimarer Republik immer wieder Zündstoff für politische Diskussionen bot. Schließlich stellte er den Krieg und das deutsche Militär in Frage. Die Hollywood-Verfilmung lief 1930 nur drei Tage im Kino, dann wurde sie verboten. Erich Maria Remarque selbst sah sich - trotz dieser Brisanz seines Romans - nicht als politischen Schriftsteller.

    "Ich war außerordentlich überrascht über die politische Wirkung. Ich habe etwas Derartiges gar nicht erwartet. Mein eigentliches Thema war ein rein menschliches Thema: dass man jungen Menschen von 18 Jahren, die eigentlich dem Leben gegenübergestellt werden sollten, plötzlich dem Tode gegenüber stellte, und was würde mit ihnen geschehen?"