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Gastronomie
Gewerkschaft kritisiert Tarifwüste vor allem im Osten

Der Fachkräftemangel sorgt dafür, dass gastronomische Betriebe in weiten Teilen Ostdeutschlands inzwischen nur noch abends öffnen, oder zeitweilig ganz schließen. Ein Problem: Viele Betriebe bezahlen nicht nach Tarif. Doch Geld ist nicht das einzige Kriterium.

Von Bastian Brandau | 06.11.2018
    Kellner hält ein Tablett mit Sektgläsern
    "18 Prozent aller Betriebe in Sachsen sind überhaupt tarifgebunden", so Jörg Most, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (imago stock&people)
    Koch gesucht, Servicekraft gesucht" - dieses Schild gehört in gastronomischen Betrieben in weiten Teilen Ostdeutschlands inzwischen zum festen Inventar - genauso wie der Tresen oder der Zapfhahn. Der Fachkräftemangel sorgt dafür, dass einige Betriebe inzwischen nur noch abends öffnen, oder zeitweilig ganz schließen.
    Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren stark gesunken, in Sachsen ist sie auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Eigentlich eine gute Ausgangslage für Jobsuchende - aber: In Sachsen und ganz Ostdeutschland wird in Gastronomie und Hotelgewerbe nach wie vor zu oft nur der Mindestlohn gezahlt, sagt Jörg Most. Er ist Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten für die Region Leipzig-Halle-Dessau:
    "Das größte Problem ist aus unserer Sicht, dass 33 Prozent der Beschäftigten in unserer Region weniger als 2139 Euro brutto im Monat verdienen, bei Vollzeit. Da befinden wir uns im Niedriglohnbereich. Wir haben in Sachsen eine Tarifbindung von 18 Prozent. Das heißt, 18 Prozent aller Betriebe in Sachsen sind überhaupt tarifgebunden. Und das 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, nach der Deutschen Einheit."
    Nicht gebundene übertarifliche Bezahlung ist die Ausnahme
    Statistiken darüber, welche Löhne ihre Mitglieder zahlen, führe man beim Deutsche Hotel- und Gaststättenverband nicht, sagt Axel Klein. Er ist Geschäftsführer des sächsischen Landesverbandes. Die vergleichsweise geringe tarifliche Bindung in Sachsen sieht er nicht als Problem:
    "Wenn jemand nicht tariflich gebunden ist, heißt das ja nicht, dass er nicht Tariflöhne zahlt. Viele der Unternehmerinnen und Unternehmer lehnen sich ja an den Tarifvertrag an, zahlen über Tarif, zahlen Tarif. Allein der Fakt, dass man an den Tarifverbund gebunden ist, ist ja nicht die Aussage, dass wir weniger zahlen."
    Eine Kellnerin trägt ein Tablett mit mehreren Gerichten.
    Unfreundliche Arbeitszeiten, niedriger Lohn, Stress - Arbeit in der Gastronomie ist nicht sonderlich attraktiv (dpa / picture alliance)
    Nicht gebundene übertarifliche Bezahlung sei die Ausnahme, heißt es bei der NGG. Die Gewerkschaft ärgert noch etwa: Der Deohoga bietet den Unternehmen im einkommenssschwachen Osten die sogenannte sogenannte OT-Mitgliedschaft an. Also die Möglichkeit, Mitglied zu sein, ohne sich an den ausgehandelten Tarifvertrag zu binden. DEHOGA-Landesgeschäftsführer Klein verteidigt diese Art der Organisation:
    "In anderen Branchen ist es auch üblich, dass es OT-Mitgliedschaften gibt. Das ist also nichts Besonderes für die Branche der Gastronomie und es ist keine Aussage darüber, wie die Löhne gezahlt werden oder nicht."
    Weichere Faktoren spielen zunehmend eine Rolle
    Ohnehin sei die Bezahlung angesichts des gravierenden Fachkräftemangels bei weitem nicht das einzige Kriterium, so die Sicht des Arbeitgebervertreters Klein. Die Branche müsse sich umstellen.
    "Geld ist sicher ein wichtiger Faktor. Es spielen aber auch andere, weichere Faktoren eine Rolle: Wie wohl fühle ich mich in einem Unternehmen, wie wohl fühle ich mich in dem Team? Welche Perspektiven habe ich? Das ist ein wesentlicher Faktor, den wir auch beachten müssen, und den wir vielleicht als Branche auch wieder stärker in den Vordergrund rücken müssen."
    Wogegen man sicher bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten nichts einzuwenden hätte. Zusätzlich zur Tarifbindung, versteht sich. Die Gewerkschaft sieht sich am längeren Hebel: Die Perspektiven für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Gastronomie seien derzeit sehr gut. So gut, dass Gewerkschafter Most beim Hinwirken auf höhere Löhne auf die Macht des faktischen setzt.
    "Man muss ganz klar feststellen, dass Personalmangel ein Umsatzhemmer ist. Wenn ich nicht genügend Personal in meinem Unternehmen habe oder in meiner Gaststätte habe, dann werde ich die Gäste nicht bedienen können irgendwann einmal, ich werde nicht so viel produzieren können. Deswegen ist jeder Unternehmer gut beraten, für vernünftige, anständige Arbeitsbedingungen zu sorgen, damit die Kolleginnen und Kollegen auch bleiben und nicht weggehen."
    Denn gesucht werden sie derzeit praktisch überall.