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Gaucks Nachfolge
"Namen, mit denen wir im Moment noch nicht rechnen"

Es sei ungünstig, wenn die Wahl des Bundespräsidenten nur wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl liege, sagte die taz-Korrespondentin Bettina Gaus im DLF. Wenn Union und SPD einen gemeinsamen Kandidaten fänden, wirke das wie ein Signal für die Fortsetzung der Großen Koalition. Und das wollten beide Lager sicherlich nicht.

Bettina Gaus im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.06.2016
    Bettina Gaus
    Bettina Gaus (dpa/picture alliance/Karlheinz Schindler)
    Christiane Kaess: Vor der Sendung habe ich mit Bettina Gaus gesprochen. Sie ist Korrespondentin der "taz". Ich habe sie zuerst gefragt, ob Joachim Gauck im richtigen Moment aufhört.
    Bettina Gaus: Das ist tatsächlich eine Entscheidung, von der ich glaube, dass sie ganz allein bei ihm lag. Allen Parteien, vielleicht mit Ausnahme der Linken, wäre es sicherlich lieber gewesen, er hätte noch eine weitere Amtszeit gemacht, schon deshalb, damit die Wahl seines Nachfolgers nicht in den Bundestagswahlkampf mit hineingezogen wird. Aber wenn jemand sagt, ich weiß nicht, ob ich dem Amt in den nächsten Jahren gesundheitlich gewachsen bin, dann erübrigt sich eigentlich die Diskussion. Dann ist es eigentlich vorbei. Das muss jemand wirklich ganz alleine für sich entscheiden.
    Kaess: Aber rein inhaltlich gewesen wäre es besser gewesen, er hätte noch weitergemacht angesichts dieser angespannten Lage im Moment?
    Gaus: Ich glaube, dass es weniger um die angespannte Lage geht als tatsächlich darum, dass die Erfahrung ja gezeigt hat, dass eine Bundespräsidentenwahl immer auch dafür sorgt, dass die Parteien sich zurecht rütteln im Hinblick auf künftige Koalitionen, auf mögliche Bündniswechsel und Ähnliches. Es ist ungünstig, wenn die Wahl des Bundespräsidenten so dicht, nur wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl liegt, weil es ist abzusehen, dass man keinen Kandidaten und keine Kandidatin finden wird, auf die sich alle einigen können. Ich weiß auch gar nicht, ob das gut wäre. Das hätte dann auch so was Überwölbendes, wir alle stehen für dieselben Werte. Das hat ja auch eine gewisse Problematik. Nur wie hat man sich das denn vorzustellen? Wenn jetzt die Union und die SPD einen gemeinsamen Kandidaten finden, dann wirkt das wie ein Signal für die Fortsetzung der Großen Koalition, was beide Lager eigentlich nicht wollen. Dasselbe gilt, wenn Schwarz-Grün sich auf jemanden verständigt, oder wenn sich Rot-Rot-Grün auf jemanden verständigt. Es ist ganz schwer zu erkennen, wie man ungeachtet der Person aus der Lage rauskommt, dass die Auguren und die Leitartikler - und ich will mich da überhaupt nicht ausnehmen - daraus dann Schlüsse ziehen und vor allen Dingen die Bevölkerung daraus Schlüsse zieht und glaubt, jetzt mit der Wahl des neuen Bundespräsidenten oder vielleicht erstmals einer Bundespräsidentin seien auch die Weichen für die Bundestagswahl gestellt, und damit hat das Amt aber eigentlich nichts zu tun.
    "Es ist ein integrierendes Amt"
    Kaess: Dann schauen wir doch mal, Frau Gaus, vor diesem Hintergrund und dieser Konstellation, die Sie gerade beschrieben haben. Was müsste denn ein neuer Bundespräsident oder eine neue Bundespräsidentin - es wäre ja das erste Mal eine Frau -, was müsste die oder der leisten?
    Gaus: Eigentlich genau das, was die Beschreibung seines oder ihres Amtes wäre. Da können wir vielleicht mal auf Joachim Gauck gucken. Ich weiß nicht, ob das heute der richtige Tag ist, Kritik zu üben, denn ich meine, er hat seine Amtszeit ordentlich gemacht, er hat sie gut geführt. Aber ich gehöre nicht zur Fangemeinde von Joachim Gauck und er hat sich für meinen Geschmack zu häufig selbst in die Rolle eines Schiedsrichters hineinbegeben, oder als jemand, wo man drauf gewartet hat, dass er zu umstrittenen Fragen Stellung bezieht. Beispiel: Er hat mal ein stärkeres auch militärisches Engagement Deutschlands bei Krisenherden angemahnt, er hat deutliche Verachtung für die kapitalismuskritische Bewegung Occupy erkennen lassen, er hat sogar sich öffentlich vor dem Abschluss von Koalitionsverhandlungen zur rot-rot-grünen Koalition in Thüringen geäußert. Das sind nur einige Beispiele.
    Kaess: Sie würden sich weniger Einmischung in die Tagespolitik wünschen?
    Gaus: Das ist auch so definiert. Der Bundespräsident steht über den Parteien, jedenfalls vom Ideal her. Bundespräsidenten, die früher parteipolitisch aktiv gewesen sind, haben für die Zeit während ihrer Amtszeit die Mitgliedschaft ruhen lassen. Es ist ein integrierendes Amt. Es ist ein Amt, das sehr wenig Machtbefugnisse hat, und das aus gutem Grund. Es soll ja kein Gegenkanzler sein, sondern es soll jemand sein, der eben nicht den Streit weiter befördert und qua der Autorität seines Amtes, ich wiederhole es, sich in eine Schiedsrichterrolle begibt, sondern jemand, der in der Tat - das mag ein bisschen langweilig sein, tut aber, glaube ich, der Integration einer Gesellschaft ganz gut -, wenn es einen gibt, der sich aus Tagespolitik raushält und grundsätzliche Weichenstellungen vornimmt.
    Präsentation von Namen, mit denen keiner rechnet
    Kaess: Das Warnen vor dem Geschacher und der Parteitaktik - Sie haben es ja gerade vorhin auch schon kurz angesprochen und heute hört man relativ viele Stimmen, die genau davor warnen -, wird das doch zwangsläufig kommen mit diesem Blick auf die Bundestagswahl, die kurz danach auch ansteht, und das Ganze wird letztendlich doch wieder als Signal gedeutet werden?
    Gaus: Manchmal kann man Fragen nur ganz knapp beantworten. Ja, das wird dahin kommen. Ich halte es für völlig unvermeidlich.
    Kaess: Dann gucken wir doch gerade noch auf die ganzen Namen, die gerade im Gespräch sind: Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Verteidigungsministerin von der Leyen und so weiter und so weiter. Es sind einige Namen heute gefallen. Namen, die in ein paar Monaten keiner mehr nennt, oder haben Sie einen Tipp?
    Gaus: Nein, ich werde 'nen Teufel tun. Man muss ja nicht irgendwie auf Band aufgenommen werden damit, dass man sich in der Prognose irrt. Mein einziger Tipp ist zu sagen: Ich glaube, aber auch da kann ich mich natürlich täuschen, dass es niemand der genannten werden wird, denn gegen alle die sprechen nicht mal unbedingt in ihrer Person liegende, aber sachliche politische Erwägungen. Man kriegt keine Mehrheiten zustande oder sie werden an anderer Stelle gebraucht, oder sie sind in den eigenen Reihen nicht beliebt genug. Ich glaube, jetzt werden wir erst mal 14 Tage lang mindestens fröhliches Kandidatenraten haben und am Schluss wird es eine Präsentation von Namen geben, mit denen wir im Moment wahrscheinlich nicht rechnen.
    Kaess: … sagt Bettina Gaus. Sie ist Korrespondentin der "taz".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.