Samstag, 20. April 2024

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Gautier Capucon und Yuja Wang
Bezwingende Übereinstimmung

Die Erwartungen schnellen in die Höhe, wenn sich zwei berühmte Solisten zusammentun, um Kammermusik zu spielen. Doch nicht immer will daraus eine musikalische Sternstunde werden. Die erste gemeinsame Aufnahme von Gautier Capucon und Yuja Wang aber hat etwas davon.

Am Mikrofon: Norbert Hornig | 12.01.2020
    Yuja Wang und Gautier Capuçon, mit Instrument, schlendern auf einem Brügersteig.
    Haben ihre erste gemeinsame CD veröffentlicht: Der Cellist Gautier Capucon und die Pianistin Yuja Wang (Parlophone Records Ltd)
    Seit einigen Jahren spielen der französische Cellist und die chinesische Pianistin immer wieder zusammen, und die Chemie zwischen ihnen scheint zu stimmen. Nun haben Gautier Capucon und Yuja Wang mit Werken von César Franck, Frédéric Chopin und Astor Piazzolla beim Label Erato ihre Debüt-CD vorgelegt.
    Musik: César Franck, Sonate für Violine und Klavier A-Dur (bearb. für Violoncello und Klavier von Jules Delsart), 1. Satz - Allegro ben moderato
    Leise, zart und verhalten klingt der Beginn der Violinsonate von César Franck, hier in der Bearbeitung für Cello und Klavier des französischen Cellisten Jules Delsart. Franck schrieb die A-Dur-Violinsonate 1886 und machte sie seinem Freund, dem berühmten Geiger Eugène Ysaÿe, zum Hochzeitsgeschenk. Er autorisierte auch diese Fassung für Violoncello ausdrücklich, das Werk gehört seitdem zum romantischen Standardrepertoire der Cellisten.
    Süffiger Ton und enorme Geläufigkeit
    In einem dosierten Spannungsverlauf lassen Gautier Capucon und Yuja Wang die viersätzige Komposition wie einen lebendigen Organismus heranwachsen. Sie erzählen eine Geschichte, in vielfach abgestuften klangfarblichen und dynamischen Schattierungen. Diese Sonate ist fraglos ein Meisterwerk, die dem Cellisten und der Pianistin, die einen schwierigen Part zu bewältigen hat, große gestalterische Freiräume gewährt. Gautier Capucon und Yuja Wang wissen ihn sehr kreativ zu nutzen, sie tun dies gemeinsam in einem nahtlosen Zusammenspiel und einer bezwingenden musikalischen Übereinstimmung. Dabei besitzen beide Interpreten ein stark individuelles künstlerisches Profil. Gautier Capucon entzieht seinem prächtigen, von Matteo Goffriller im Jahre 1701 gebauten Violoncello, einen facettenreichen und süffigen Ton, der selbst die größten Säle mühelos füllt. Auch Yuja Wang ist eine Virtuosin von höchstem Rang, die vielleicht nicht über die Tastenwucht eines Horowitz verfügt, aber immer wieder mit einer enormen Geläufigkeit und klanglichen Variabilität zu faszinieren vermag. All diese Qualitäten sind in dieser Aufnahme deutlich vernehmbar. Und zu bewundern.
    Musik: César Franck, Sonate für Violine und Klavier A-Dur (bearb. für Violoncello und Klavier von Jules Delsart), 3. Satz - Recitativo - Fantasie: Ben moderato
    Formal verlässt Franck in seiner Cellosonate das gewohnte Schema. Die vier Sätze hat er kunstvoll wie einen Zyklus miteinander verknüpft, alle wesentlichen thematischen Gestalten der Sonate lassen sich vom pastoralen Anfangsthema des ersten Satzes mit seinen charakteristischen Terz-Bewegungen ableiten. So spannt sich über dem Werk ein großer Bogen, der von den Interpreten mit gestalterischer Weitsicht und langem Atem aufgebaut und erhalten werden muss. Gautier Capucon und Yuja Wang gelingt das sehr gut. Sie verlieren sich nicht in den Details, so schön und bewusst sie diese auch beachten und ausformen. Im Finale münden dann das Hauptthema und Gedanken aus den drei vorherigen Sätzen in eine fulminante Schlusssteigerung.
    Musik: César Franck, Sonate für Violine und Klavier A-Dur (bearb. für Violoncello und Klavier von Jules Delsart), 4. Satz - Allegretto poco mosso
    Die Kopplung der A-Dur-Sonate von César Franck mit Werken für Violoncello und Klavier von Frédéric Chopin auf dieser CD ist naheliegend und gängig, handelt es sich doch auch hier um populäre Kammermusik der Romantik, die im Cellorepertoire ihren festen Platz hat. Gautier Capucon und Yuja Wang haben Chopins Cellosonate seine effektvolle "Introduktion und Polonaise brillante", op. 3 vorangestellt. Sie wirkt innerhalb der Werkdramaturgie nach der tiefsinnigen Franck-Sonate wie ein unterhaltsames Salonstück.
    Gestochene Markanz
    Diesen Kontrast leben Gautier Capucon und Yuja Wang genussvoll aus. Die Introduktion bereitet die Polonaise vor, die dann mit feurigem Temperament und tänzerischem Schwung daher kommt. Und hier laufen die beiden Interpreten zu Höchstform auf, wobei die brillantesten Passagen dem Klavier vorbehalten sind. Yuja Wang stellt mit gestochener Markanz den punktieren Polonaisen-Rhythmus heraus, in den sich Gautier Capucon vollgriffig einklinkt.
    Musik: Frédéric Chopin, Introduktion und Polonaise C-Dur, op. 3
    Verglichen mit dem frühen Geniestreich der "Introduktion und Polonaise brillante" klingt Chopins Cellosonate, die rund 20 Jahre später entstand, wie aus einer anderen Welt. Und der Komponist tat sich schwer mit dem Werk. Die rund 200 Skizzenblätter dazu lassen erahnen, wie sehr Chopin hier offensichtlich um den letzten musikalischen Ausdruck gerungen hat. "Mit meiner Sonate mit Violoncello bin ich mal zufrieden, ein anderes Mal nicht. Ich werfe sie in die Ecke, dann sammle ich sie wieder auf", schrieb er über seine Qual, die ihm die Komposition bereitete. Man nimmt an, dass es die schmerzliche Trennung von der extravaganten französischen Schriftstellerin George Sand war, die ihn in eine Schaffenskrise gestürzt hatte.
    Zauberwelt der Sinne
    1847 erschien die viersätzige Sonate schließlich im Druck. In ihr spiegelt sich eine aufgewühlte Emotionalität wieder, die Verträumtheit, die man sonst von Chopin kennt, scheint gebrochen. Völlige Ruhe, tröstliche Poesie und eine stille Melancholie strahlt nur der langsame Satz der Sonate aus. Gautier Capucon und Yuja Wang führen den Hörer hier in eine Zauberwelt der Sinne und der gedankenverlorenen Sehnsucht.
    Musik: Frédéric Chopin, Cellosonate g-Moll op. 65, 3. Satz - Largo
    Nach dem emotionalen Tiefgang der Musik von César Franck und Frédéric Chopin holen Gautier Capucon und Yuja Wang den Hörer am Schluss wieder zurück auf den Boden, hinein ins pralle Leben. "Le Grand Tango" für Violoncello und Klavier von Astor Piazzolla, mit dem das Programm der CD endet, ist mehr als nur eine effektvolle Zugabe. Piazzolla hat den Tango von seinen Ursprüngen in den Hafenkneipen von Buenos Aires entfernt und zu einer erlesenen Kunstform entwickelt, ihn mit Raffinesse kultiviert.
    Wilder, kunstvoller Tango
    "Le Grand Tango" für Violoncello und Klavier ist dem großen russischen Cellisten Mstislav Rostropovich gewidmet, der das Stück auch uraufführte. In der großangelegten Komposition verknüpft Piazzolla meisterhaft Elemente des Tango und der klassischen Musik. Das Werk ist ein Paradebeispiel dafür, wie der Großmeister des "tango nuevo" aus einer oft als "halbseiden" geringgeschätzten Musik eine große zeitgenössische Kunstform machte, angereichert mit klassischer Harmonik, Einflüssen des Jazz und der neuen Musik. Piazzollas Tango klingt kantig, er elektrisiert und hat dazu eine gehörige Portion Humor. Gautier Capucon und Yuja Wang stürzen sich hinein in diese aufregende Klangwelt des "Grand Tango" und entfachen sein Feuer mit unerbittlicher instrumentaler Motorik und Präzision.
    Musik: Astor Piazzolla, Le Grand Tango
    "Le Grand Tango" von Astor Piazzolla ist das fulminante Schlussstück der ersten gemeinsamen Aufnahme des Cellisten Gautier Capucon und der Pianistin Yuja Wang. Sie haben es zusammen mit Werken von César Franck und Frédéric Chopin für das Label Erato eingespielt.
    Franck - Chopin
    Gautier Capucon (Violoncello)
    Yuja Wang (Klavier)
    Label: Erato / EAN: 190295392260