Samstag, 20. April 2024

Archiv


Gaza - ein Trümmerhaufen

Abdallah Frangi, Mitglied im Zentralkomitee von Fatah, hält einen Versöhnungsprozess zwischen Hamas und allen anderen palästinensischen Organisationen für notwendig, damit die Bildung eines palästinensischen Staates vorangetrieben werden könne. Für den ehemaligen deutschen Botschafter in Israel, Rudolf Dressler, ist die Ankündigung der EU, erst dann Aufbauhilfe zu leisten, wenn Hamas nicht mehr das Sagen hat, nicht durchzuhalten und falsch.

Abdallah Frangi und Rudolf Dressler im Gespräch mit Friedbert Meurer | 20.01.2009
    Friedbert Meurer: Am 27. Dezember begann Israel die Operation "Gegossenes Blei". Jetzt ist der Krieg in Gaza nach drei Wochen zu Ende. Jedenfalls herrscht Waffenstillstand. Israel will noch bis heute Abend alle Truppen aus dem Gaza-Streifen abgezogen haben.
    In Ramallah, dem Sitz der Autonomiebehörde, ist Abdallah Frangi jetzt bei uns, Mitglied im Zentralkomitee von Fatah, zuständig in diesem Komitee für Außenpolitik. Guten Morgen, Herr Frangi!

    Abdallah Frangi: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Und in der Nähe von Bonn begrüße ich hier bei uns im Deutschlandfunk den ehemaligen deutschen Botschafter in Israel, Rudolf Dressler. Guten Morgen, Herr Dressler!

    Rudolf Dressler: Guten Morgen!

    Meurer: Herr Frangi, zunächst die Frage an Sie nach Ramallah. Israel hat Krieg nach eigenen Worten gegen die Hamas geführt. Hat Israel diesen Krieg gewonnen gegen die Hamas?

    Frangi: Dieser Krieg war gegen die Bevölkerung und die Palästinenser, die in dem Gaza-Streifen leben, und wenn man die dritte Frage beantworten will, dann würde ich sagen, Israel hat diesen Krieg gegenüber Hamas nicht gewonnen.

    Meurer: Warum nicht?

    Frangi: Weil Hamas so gut wie keine Leute verloren haben, auch wenn man jetzt die Zahlen der von den Israelis Verhafteten 130 nimmt und man sagt, 30 sind beteiligt. Das sieht auch so bei den Zahlen aus, die jetzt von Tel Aviv angegeben worden sind, dass es 500 Tote der Hamas gibt. Das stimmt nicht. Unsere Informationen sind so, wir sind, glaube ich, gut informiert. Diese Zahlen sind sehr übertrieben. Die Ziele von Hamas wie zum Beispiel die Tunnel, die in den Gebieten zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten bestanden, diese Tunnel waren entstanden, weil die Blockade und die Abriegelung zwei Jahre lang gedauert hat gegenüber den Menschen, die in Gaza leben, die 1.700.000 Menschen, die auf einer Fläche leben.

    Meurer: Diese Tunnel sind jetzt zerstört, Häuser sind zerstört, der Waffenbesitz ist teilweise zerstört von Hamas. Ist das keine Schwächung?

    Frangi: Diese Tunnel, die waren nicht für Hamas. Es gibt viele Leute, die Schmuggel damit betrieben haben, und es gibt viele Leute, die einfach um zu überleben von Ägypten was gekauft haben und durch diese Tunnel die Ware reingebracht haben. Es waren fast an die 1000 Tunnel dort in diesem Gebiet und wenn die Israelis jetzt das alles zerstört haben, dann wird Hamas bestimmt andere Möglichkeiten haben, ihre Waffen zu bekommen. Das ist nicht das Problem. Ich meine, wenn man jetzt sachlich denkt: Hat Israel jetzt die Ziele, die sie vorher erklärt hatten, erreicht? - Ich würde sagen nein. Nur die Zahl der Toten bei den Zivilisten ist gewaltig groß, über 1300 Menschen sind gestorben. Mehr als die Hälfte von denen sind Kinder und über 5500 Leute sind verletzt, also Menschen, normale einfache Menschen, wo sie mit diesen Verletzungen ihr ganzes Leben einfach verbringen werden müssen, ohne dass sie die Fähigkeit haben, weiterhin zu arbeiten.

    Meurer: Frage an Rudolf Dressler. Israel sieht seine Kriegsziele erreicht. Wird die Region nach diesem Krieg friedlicher werden?

    Dressler: Das kann man nur hoffen, dass die Region friedlicher wird, und zwar hoffen für beide Seiten. Aber ob das nun real der Fall sein wird, das werden wir erst in den nächsten Wochen und Monaten erleben. Bisher haben wir öfter solche Beruhigungspunkte nach sich zuspitzenden Konflikten erlebt, und nach einiger Zeit ging es dann von vorne los. Der entscheidende Punkt ist, ob eine Neubewaffnung oder Wiederbewaffnung, eine zusätzliche Bewaffnung der Hamas im Gaza-Streifen unterbunden werden kann oder nicht, und dieses kann heute mit Sicherheit ein Außenstehender nicht feststellen, so nicht und so nicht.

    Meurer: Wenn Abdallah Frangi sagt, die Zivilbevölkerung ist vor allen Dingen getroffen worden. Hat Israel sein Ziel erreicht, Hamas zu schwächen, oder solidarisiert sich die Zivilbevölkerung noch stärker mit Hamas?

    Dressler: Man ist ja als Außenstehender in Mitteleuropa immer auf die Aussagen der handelnden Leute der Hamas angewiesen, egal ob sie im Gaza-Bereich arbeiten, oder ob sie von Syrien aus die Dinge kommentieren. Und das, was bis ich sage mal vor einer Woche von diesen Menschen bekannt gegeben wurde, deutete nicht darauf hin, dass man bereit war, in irgendeiner Form sich zurückzuhalten oder einen Waffenstillstand zu machen. Und dieses ist ja in den letzten Tagen verändert worden. Das deutet darauf hin, dass sehr wohl eine Schwächung erfolgt ist. Ich meine, dieses Bombardement, das wird logischerweise eine Wirkung haben. Jetzt kommt es, glaube ich, darauf an, den Wiederaufbau ins Auge zu fassen, zu helfen, und gleichzeitig alle Voraussetzungen zu schaffen - das gilt in Sonderheit für die arabischen Staaten, die eine Schlüsselstellung haben in dieser Auseinandersetzung -, zukünftige gewaltmäßige Auseinandersetzungen zu verhindern. Das dient beiden Seiten. Ich rede jetzt von beiden Seiten innerhalb der palästinensischen Autonomie. Das dient nicht nur der Fatah, das dient dann letztlich auch der Hamas und ganz besonders logischerweise der Bevölkerung.

    Meurer: Glauben Sie, Herr Frangi, dass Fatah jetzt in Gaza wieder eine Rolle spielen kann?

    Frangi: Fatah wird weiterhin eine Rolle spielen können im Gaza-Streifen und in der Westbank, aber natürlich nicht in dem großen Maße wie früher. Aber Fatah wird nicht ausgeschaltet. Hamas wird auch nicht alleine in der Lage sein, den Gaza-Streifen zu verwalten, und wir versuchen jetzt erst mal, die palästinensische Einheit zu erreichen, um an unser gemeinsames Ziel heranzukommen, das heißt die Bildung eines palästinensischen Staates. Aber ich denke hier in diesem Punkt ein bisschen anders. Ich sehe das ein bisschen anders als Herr Dressler, den ich auch begrüße. Das Problem in den palästinensischen Gebieten ist jetzt nicht nur Hamas. Das Problem ist hauptsächlich die Anwesenheit der Israelis in der Westbank und im Gaza-Streifen oder um den Gaza-Streifen herum als Besatzungsmacht. Wir haben die Erklärung von Berlin aus dem Jahre 2000 von den Europäern, dass die Palästinenser einen Staat haben müssen, neben Israel. Seit dieser Zeit und trotz dem großen Einsatz, den die Europäer gemacht haben und die restlichen Teile der Welt, ist Israel weiterhin in der Westbank. Die Siedlungen sind zehnmal so groß wie vorher. Die Mauer - man hat sich sehr gefreut damals, ich auch, als die Mauer in Berlin fiel, und hier wird eine Mauer gebaut, ohne dass ein Mensch ein Wort darüber verliert.

    Meurer: Wenn wir aber in die Zukunft schauen, Herr Frangi. Sie sagen selbst, an Hamas wird kein Weg vorbeiführen. Hamas ist eigentlich der Todfeind von Fatah. Sind Sie dafür, Hamas in die Gespräche einzubeziehen?

    Frangi: Ich würde sagen, wir werden eine Versöhnung, einen Versöhnungsprozess mit Hamas und mit allen anderen Organisationen anstreben, damit wir unter dem Dach der PLO weiterhin zusammenarbeiten können, damit wir diesen politischen Kurs, den wir seit Ewigkeit verfolgen, erreichen können. Und trotzdem: Die Zukunft wird auch von der Gegenwart einfach vorgeschrieben und die Gegenwart der Palästinenser ist eben, dass wir darunter leiden, dass unser Land in Kantone geteilt worden ist, dass der Judaisierungsprozess, den Israel fortgeschrieben hat, dass die Zahl der Siedler, die in der Westbank heute leben, drei-, viermal so groß ist wie vorher. Ich meine, das sind die Voraussetzungen für die Bildung eines palästinensischen Staates, und wenn dieser Staat nicht lebensfähig ist und sein kann, dann besteht keine Chance.

    Meurer: Wenn Sie mit Gaza telefonieren, mit Bekannten, Freunden, oder mailen, Herr Frangi, wie oft hören Sie, den Krieg hat uns Hamas selbst eingebrockt - dadurch, dass sie Raketen auf Süd-Israel abgefeuert hat?

    Frangi: Ich sage Ihnen, die Leute dort im Gaza-Streifen sind beschäftigt mit ihren Häusern, die zerstört worden sind. Sie sind damit beschäftigt, erst mal ein Dach über dem Kopf zu haben, und es ist ihr Problem jetzt, dass sie noch mal Flüchtlinge in diesem kleinen Fleckchen Land sind. Sie haben kein zu Hause, die Kinder haben keine Schulen und das ist eben das Problem der Leute. Sie erleben das und sie machen die Israelis dafür verantwortlich.

    Meurer: Eine Frage an Herrn Dressler. Die EU-Kommissarin Ferrero-Waldner hat gestern angedeutet, Hilfe für den Wiederaufbau durch die EU gibt es an den Gaza-Streifen erst dann, wenn Hamas dort nicht mehr das Sagen hat. Ist das die richtige Zielrichtung?

    Dressler: Ich glaube, dass eine solche Voraussetzung in dieser Situation falsch ist. In einem Punkt hat Herr Frangi Recht - das ist auch eine ganz wichtige Perspektive -, dass sich die Parteien in der palästinensischen Autonomie wieder verständigen, um mit einer Stimme zu reden, um gemeinsam die Probleme anzugehen. Das zweite ist: Die Europäische Union wird nach meiner Einschätzung eine solche Voraussetzung, wie sie gerade von Ihnen formuliert ist, nicht durchhalten können, denn die Hamas wird ja nicht deshalb, weil sich Israel jetzt zurückgezogen hat aus dem Gaza-Bereich, in dieser Region verschwinden, sondern sie wird weiterhin ihre politische Rolle spielen. Das war damals in den 60er und 70er Jahren ganz genauso, als es um Arafat ging, und jetzt geht es um die Hamas und da wird die Europäische Union eine solche Voraussetzung nicht formulieren können, um ihre Aufbauhilfe zu starten. Die wird so oder so laufen. Davon bin ich überzeugt.

    Meurer: Der Krieg in Gaza ist zu Ende. Wie geht es jetzt weiter? - Darüber sprach ich mit Rudolf Dressler, ehedem Botschafter in Israel. Danke schön, Herr Dressler, und auf Wiederhören.

    Dressler: Auf Wiederhören!

    Meurer: Und danke schön an Abdallah Frangi vom Zentralkomitee von Fatah in Ramallah. Schönen Dank und auf Wiederhören, Herr Frangi.

    Frangi: Danke. Auf Wiederhören!