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Gebärmaschinen auf der Bühne

Religiöse Fanatiker hat Margaret Atwood in ihrem Roman "Der Report der Magd" beschrieben. In ihrer Horror-Utopie sind die Frauen hauptsächlich Gebärmaschinen. Der Roman ist zwanzig Jahre alt, inzwischen ist die Gentechnikentwicklung über die Frauenversklavungsphantasie hinweggegangen, aber auf der Suche nach drastischen Geschichten hat man sich am Theater Jena des feministischen Melodrams entsonnen und es für die Bühne eingerichtet.

Von Hartmut Krug | 13.04.2007
    Die Menschen im weiten Raum wirken isoliert und einsam. Wie Strandgut sind auf rotem Teppichboden wenige Möbel verstreut: im Zentrum das Bett, die Arbeitsstätte einer Magd, die dem Kommandanten ein Kind schenken soll, daneben das leer bleibende Kinderbett und ein Schrank als Durch- und Zugang für die Szenen. Die nüchterne Szenerie zeigt an, dass die Regisseurin Regina Wenig den Science-Fiction-Roman von Margaret Atwood aus den achtziger Jahren, trotz seiner vielen aktuell wirkenden Anspielungspunkte, nicht aktualisieren, sondern in einen fernen Kunstraum rücken will.

    Schon Volker Schlöndorfs Verfilmung aus dem Jahr 1990 (unter dem Titel "Die Geschichte der Dienerin") scheiterte an genau diesem Kunstgriff. Und daran, dass er wie Regina Wenig in Jena, statt lebendiger Menschen nur deren Verhaltensrituale zeigt. Gerade im Vergleich mit George Orwells "1984" erweist sich die Schwäche von Atwoods Vorlage. Denn ihre Warnung vor Fundamentalismus und ihre Furcht vor einer Reproduktionstechnik für den Menschen kommt als ein Konstrukt daher, das uns in keinem Augenblick emotional erreicht.

    In Jena wird "Der "Report einer Magd" auch gar nicht gespielt, sondern eher reportiert und demonstriert. Die Geschichte einer angeblich nach den Regeln des Alten Testaments bestimmten Militärdiktatur, in der es neben unfruchtbaren Ehefrauen ein Heer von unmündigen, zu Gebärmaschinen degradierten Mägden gibt, wird in Jena von einem Wissenschaftler als ein Fund aus der Vergangenheit präsentiert. Er lässt ein Band des Reports der Magd ablaufen, und dann steigen die Darsteller in den Bericht ein. Die Magd berichtet selbst, die anderen Personen steigen wie sie nach unerfindlichen Regeln ein in das Berichtsspiel oder auch wieder aus, sie erzählen, dass sie erzählen, sie reflektieren über das, was sie erzählen, - und wenn eine Szene gespielt wird, wird sie zugleich beschrieben.

    Nachdem sie die entsprechende Geschichte von Jakob, seiner unfruchtbaren Frau Rahel und ihrer Leibmagd aus dem 1.Buch Mose zitiert haben, vereinen sich die Ehefrau, die hier (wohl als Zeichen ihrer Unfruchtbarkeit) von einem Mann gespielt wird, mit dem Ehemann und der Magd zu einer technischen und ideellen Kinder-Zuchtmaschine: Oben hält die Ehefrau die Magd fest, in der Mitte denkt die Magd und unten fickt der Kommandant. Natürlich klappt es nicht mit der Empfängnis, und natürlich will der Kommandant körperlich und menschlich mehr. Er geht sogar heimlich mit der Magd aus, - in ein gegen alle offiziellen Gebote existierendes Edel-Bordell für Offiziere. Schließlich führt die unfruchtbare Ehefrau, die unbedingt ein Kind haben will, sogar selbst die Magd dem Hauschauffeur zu.

    "Natürlich" kommen sich Chauffeur und Magd näher, und im offenen Schluss scheint die Magd ihrem Tod zu entkommen. Der Roman, wahrlich nicht der stärkste von Margaret Atwood, ist deutlich nur aus bekannten Versatzstücken zusammengesetzt und besitzt auch Groschenheftqualitäten. Die Regina Wenigs enorm ernsthafte Inszenierung ignoriert. Die Regisseurin, die schon kleinere Arbeiten an den großen Häusern von Hamburg, Berlin, München und Dresden sowie in Göttingen und Erlangen realisiert hat, buchstabiert in ihrer nüchternen und ritualisierenden Inszenierung Atwoods Geschichte nur nach. Damit aber hält sie uns die Figuren und ihre Probleme unabsichtlich ganz weit vom Leib, mehr aber noch von Herz und Hirn.

    Im ersten Teil, in dem immer wieder Elvis-Presley-Songs eingespielt werden, - als Erinnerung an Zeiten, in denen die Magd mit ihrem Mann und einer Tochter glücklich war - , besitzt die Inszenierung durchaus noch etwas szenischen Schwung. Später aber zieht sie sich, obwohl nur zwei Stunden lang, mächtig müde dahin. Sicher, irgendwie droht auch heute all der beschriebene gesellschaftliche Horror oder er existiert sogar schon, aber die Inszenierung macht ihn weder klarer noch betreffender oder bestürzender, und sie zeigt ihn auch nicht in scharfem, neuem Licht.

    Eine Inszenierung wie ein Zeitungsartikel, mit handwerklich soliden Schauspielern. Das Theaterhaus Jena, in den achtziger Jahren deutschlandweit mit spannenden Projekten bekannt geworden als eine Art Haus der jungen (Theater)Talente, durchlebt seit einigen Jahren deutlich eine Schwächeperiode. Was leider auch diese Bühnenversion von Margaret Atwoods "Der Report der Magd" demonstriert.