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Geberland Deutschland

Mehrere Billionen Dollar haben die führenden Industriestaaten bislang infolge der globalen Finanzkrise zur Rettung von Banken und Wirtschaft bereitgestellt. Ein Vielfaches dessen, was dieselben Industriestaaten jährlich für die Entwicklungshilfe ausgeben. Vor diesem Hintergrund scheint es unmöglich, die UN-Millenniums-Entwicklungsziele bis zum Jahr 2015 zu erreichen.

Von Helmut Hohrmann | 12.04.2009
    "Keine Anstrengung zu scheuen, um unsere Mitmenschen, Männer, Frauen und Kinder, von den erniedrigenden und entmenschlichenden Bedingungen extremer Armut zu befreien", dazu verpflichteten sich im Herbst 2000 die Staats- und Regierungschefs der Vereinten Nationen mit der feierlichen Unterzeichnung der "Millenniums-Entwicklungsziele".
    Bis zum Jahr 2015, so die historische Absichtserklärung von New York, soll zum Beispiel der Anteil der Menschen halbiert werden, die unter Hunger und Unterernährung leiden, sollen alle Jungen und Mädchen mindestens eine Grundschulausbildung abschließen können, soll das Geschlechtergefälle auf allen Bildungsebenen beseitigt, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel und die Müttersterblichkeit um drei Viertel gesenkt werden.
    Ebenfalls bis 2015 soll die Ausbreitung von HIV/Aids, Malaria und anderer schwerer Infektionskrankheiten eingedämmt werden. Halbiert werden soll auch der Anteil der Menschen, die bislang keinen Zugang zu hygienischem Trinkwasser und einer grundlegenden Sanitätsversorgung haben.
    Im letzten Kapitel der Millenniums-Entwicklungsziele ist unter anderem vorgesehen, ein nicht diskriminierendes Handels- und Finanzsystem aufzubauen. Die am wenigsten entwickelten Länder sollen für ihre Exportgüter einen zoll- und quotenfreien Zugang zu den Weltmärkten bekommen. Die Schuldenlast der besonders armen und hoch verschuldeten Länder soll reduziert, die öffentliche Entwicklungshilfe erhöht werden.
    Es sind durchaus Fortschritte zu verzeichnen in den vergangenen acht Jahren, besonders im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Ein jährlicher Ergebnisbericht der Vereinten Nationen registriert die Entwicklung getrennt nach Regionen. Dabei zeigt sich, dass sich die Länder Asiens und Lateinamerikas deutlich besser entwickelt haben als die meisten Länder im sub-saharischen Afrika. Die Erfolge könnten jedoch durch die Nahrungsmittelkrise des vergangenen Jahres und durch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise wieder zunichte gemacht werden, wenn die öffentliche Entwicklungshilfe der wichtigsten Geberländer und -Institutionen nicht spürbar erhöht wird.
    Prof. Dirk Messner, der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn mahnt:

    "Wir investieren gerade ziemlich viel Geld, um unsere eigenen Finanzsysteme zu retten, und wenn wir gleichzeitig das Geld für die Ärmsten dieser Welt, die eine Milliarde, die noch nicht einmal das Existenzminimum sichern können, wenn wir das zurückschrauben, dann verlieren wir international unsere Glaubwürdigkeit. Das wäre auch ein außen- und sicherheitspolitischer Schaden."
    Eine kaum fassbare, jedenfalls mehrere Billionen Dollar betragende Geldsumme haben die führenden Industriestaaten bislang infolge der globalen Finanzkrise zur Rettung von Banken und zur Stützung der Wirtschaft bereitgestellt. Ein Vielfaches dessen, was dieselben Industriestaaten jährlich für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben.
    Nach dem jüngsten Bericht des Entwicklungshilfeausschusses der OECD haben deren 22 Mitgliedsstaaten ihre öffentlichen Hilfsgelder im vergangenen Jahr zwar um gut zehn Prozent auf knapp 120 Milliarden Dollar erhöht. Die größten Geber - die Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Japan - blieben jedoch immer noch weit hinter dem Millenniumsziel von 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts zurück. Nur Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Schweden erreichten oder überschritten das UN-Ziel von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts.
    Deutschland hat mit einem Anteil von 0,38 Prozent zwar deutliche Fortschritte gemacht, muss aber noch einige zusätzliche Milliarden in den Bundeshaushalt einstellen, um diese Ziele zu erreichen: 0,51 Prozent des Bruttosozialprodukts im nächsten Jahr, 0,7 Prozent im Jahre 2015. Keine leichte Aufgabe, wenn man hört, dass andere europäische Staaten ihren Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe unter dem Eindruck der Finanzkrise bereits reduziert haben. Prof. Dirk Messner:

    "Diese Gefahr sehe ich durchaus. Die Entwicklungsministerin hat ja unterstrichen und die Kanzlerin hat das auch noch mal unterstützt, dass wir in Deutschland versuchen werden, diesen Stufenplan Richtung 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit zu halten. Aber es gibt natürlich Kräfte, die versuchen, an dieser Ecke jetzt eher zu sparen. Wenn wir nach Italien schauen, wenn wir in Island schauen, in Irland schauen, in anderen Ländern der OECD, dann werden dort die Entwicklungszusammenarbeitsinvestitionen bereits zurückgefahren. Das wäre ein ganz fatales Zeichen."
    Als UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon im letzten Jahr seinen Zwischenbericht vorlegte, sprach er mit Blick auf die Millenniums-Entwicklungsziele noch von bedeutenden Fortschritten. Allerdings sei man noch weit davon entfernt, die Verpflichtungen tatsächlich erfüllt zu haben. Der Grund, so Ban:

    Wir sind mit einem globalen Wirtschaftsabschwung und mit einer Krise der Ernährungssicherheit konfrontiert, deren Ausmaß und Dauer ungewiss ist. Die globale Erwärmung wird immer spürbarer, und diese Entwicklungen werden unsere Anstrengungen, die Armut zu reduzieren, direkt beeinträchtigen. Der Wirtschaftsabschwung wird die Einkommen der Armen vermindern, die Ernährungskrise wird die Zahl der hungernden Menschen vergrößern und viele Millionen mehr in die Armut stürzen.

    Jüngste Prognosen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Arbeitsorganisation bestätigen inzwischen diese pessimistischen Erwartungen für Einkommen und Beschäftigung in den Entwicklungsländern. Allein ein Wachstumsverlust von einem Prozent führt 20 Millionen mehr Menschen in die Armut. Erwartet werden aber Wachstumsverluste von vier bis fünf Prozent. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD:

    "Der IWF hat gerade darauf hingewiesen: Es gibt etwa 22 Länder, die kurz vor der Insolvenz, kurz vor dem Bankrott stehen. Und zwar nicht, weil sie falsch gewirtschaftet hätten, sondern weil die Exporte stagnieren oder zurückgehen, weil Kapital von den Industrieländern abgezogen wird, weil die Steuereinnahmen sinken. Und damit steigt die Verschuldung für die Länder ganz rapide und ganz katastrophal."
    Nach Einschätzung des UN-Generalsekretärs hätte die Hungerkrise, die nach seinen Worten unmittelbar bevorsteht, zwar nicht verhindert, aber zumindest abgemildert werden können, "wenn - so wörtlich - die vergangenen Jahrzehnte nicht durch einen Mangel an Investitionen in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer gekennzeichnet gewesen wären".
    Zu der gleichen Schlussfolgerung kommt auch der von der Weltbank und den Vereinten Nationen in Auftrag gegebene Weltagrarbericht, dessen Fazit sich in einem Satz zusammenfassen lässt: "Weiter so" ist keine Option.
    Gefordert ist also ein Paradigmenwechsel - eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit. Erste Priorität haben dabei für Prof. Dirk Messner Investitionen in die sozialen Basisstrukturen:

    "Es geht darum, dass jetzt in den Entwicklungsländern die Investitionen im Grundbildungsbereich nicht runter gestrichen werden. Denn, wenn dort Wirtschaftskrisen ausbrechen, spart man auch immer zunächst dort, wo man den Eindruck hat, der Widerstand wird am geringsten sein: bei den Ärmsten. Aber gerade dort sollte ja unser Hauptaugenmerk liegen. Also die Gesundheitsversorgung der Ärmsten, die Basisgesundheitsversorgung, die muss gesichert bleiben."
    Genauso wichtig ist es nach Ansicht des Bonner Experten allerdings, die Lebensmittelversorgung zu sichern. Prof. Messner fordert deshalb auch viel gezieltere Investitionen, um die armen Länder in die Lage zu versetzen, sich selbst zu ernähren.

    "Das ist der wichtigste Hebel, um weiteren Hunger zu verhindern. Und Investitionen, die darüber hinaus notwendig sind, sollten sich auf die Infrastruktur konzentrieren, denn das sind die Zukunftsinvestitionen, die die Länder brauchen."
    Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise müssen die Koordinaten der Entwicklungspolitik neu ausgerichtet werden. In dieser Analyse sind sich die Experten weitgehend einig. Dabei gehört die Entwicklung der ländlichen Räume endlich wieder ganz vorn auf die Agenda, meint der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Hans-Joachim Preuß:

    "Wir wissen, dass in den vergangenen 25 Jahren der Anteil der Agrarförderung von über 18 Prozent auf weniger als fünf Prozent zurückgegangen ist. Und das in einer Situation, wo wir auch erstmals seit 25 Jahren feststellen, dass die Zahl der Hungernden nicht mehr sinkt, sondern sogar im Steigen begriffen ist - Hungernde, die auf dem Lande leben, die von ihrer Hände Arbeit auf dem Lande leben. Und wenn jetzt der Bundestag, im letzten Jahr die Weltbank und auch die Europäische Kommission erkannt haben, dass diese Tendenz umgekehrt werden muss, dann finden wir das sehr, sehr gut und sehr, sehr wichtig und einen Schritt in die richtige Richtung. Nur, wir können nicht davon ausgehen, dass die Wirkungen einer solchen Umkehr, also einer Erhöhung des Anteils der Agrarförderung sich in ein oder zwei Jahren positiv niederschlagen werden."
    Doch die Zeit drängt. Der Deutsche Bundestag stimmte Anfang März dem Aktionsplan der Bundesregierung zu: durch Mittelumschichtungen im Bundeshaushalt zusätzlich 500 Millionen Euro für die Förderung der Nahrungsmittelsicherheit in den Entwicklungsländern bereitzustellen.
    Das ging Teilen der Opposition nicht weit genug. Für die FDP plädierte Karl Addicks für die Förderung einer vertretbaren grünen Gentechnik in der Landwirtschaft:

    "Dazu gehört dann natürlich auch, dass die Weichen so gestellt werden, dass man dann irgendwann von den kleinbäuerlichen Betrieben, die wir jetzt im Moment noch fördern wollen, dass die irgendwann wegkommen von der Ein-Hektar-Wirtschaft und von der Subsistenzwirtschaft; dass die anfangen, Überschüsse zu erzeugen, dass es dann zu immer größeren Einheiten kommt, dass die Landwirtschaft auch mechanisiert wird, um die relativen Erträge pro Arbeitskraft zu steigern. Dazu gehört natürlich auch eine vernünftige Gentechnik. Ich erinnere nur an den "Golden Rice", wo halt ein Gen in den Reis reingebracht wird, dass der Reis auch genügend Vitamin A beinhaltet, so dass die Kinder nicht wie heute erblinden."
    Gentechnisch verändertes Saatgut zur rascheren Überwindung der Nahrungsmittelkrise in den Entwicklungsländern, das wäre nach Ansicht des Grünen-Bundestagsabgeordneten Thilo Hoppe ein falscher, weil nicht nachhaltiger Weg. Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellt fest:

    "Es wird genug produziert. Nur der Zugang ist nicht gegeben. Wir müssen ganz besonders Wert darauf legen, dass die Menschen in den Entwicklungsländern in die Lage versetzt werden, auf gesunde Weise, auf nachhaltige Art und Weise, Lebensmittel für die eigenen Märkte zu produzieren. Und das ist der Paradigmenwechsel: Erstens mehr Geld in die ländliche Entwicklung. Aber da ist es wichtig, wie man es macht. Nachhaltigkeit ist ein ganz wichtiges Stichwort. Und wenn man jetzt einfach nur Dünger über die Welt verteilt und gentechnisch verändertes Saatgut und Pestizide und Insektizide, dann kann man vielleicht kurzfristig die Produktion steigern. Aber, zweitens: Man zerstört die Böden und belastet das Wasser, man trägt weiterhin zum Klimawandel bei und man schafft Abhängigkeiten von großen Konzernen wie Monsanto. Und das ist eine prekäre Schuldenfalle für die Kleinbauern."
    Viel weiter als die Kritiker der agrarpolitischen Versäumnisse in den Entwicklungsländern geht inzwischen eine Gruppe von Entwicklungsexperten um den Gründer der legendären Hilfsorganisation Cap Anamur, Rupert Neudeck, und den ehemaligen entwicklungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Winfried Pinger.
    Anfang September, unmittelbar vor dem Forum der OECD-Staaten in Accra, das erneut die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit überprüfen sollte, präsentierten Neudeck und Pinger ihren "Bonner Aufruf". Darin stellen sie fest: Die Entwicklungshilfe, die in den letzten 50 Jahren in Afrika geleistet wurde, sei sowohl personell wie finanziell gescheitert. Im Bonner Aufruf fordern sie eine "andere Entwicklungspolitik".
    Vielen Menschen in Afrika, so räumt das inzwischen ergänzte Thesenpapier ein, konnte durch die Entwicklungshilfe der letzten fünf Jahrzehnte zwar geholfen werden. Dennoch sei es mit hunderttausenden Projekten, die viele Milliarden Dollar gekostet hätten, nicht gelungen, Afrika zu einem selbsttragenden, seinem Bevölkerungswachstum entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu verhelfen. Zugleich habe es das System der Entwicklungshilfe den Regierenden ermöglicht, politische, soziale und wirtschaftliche Reformen zu unterlassen und allzu oft nur nach Mehrung der eigenen Macht und des persönlichen Reichtums zu streben.
    Rupert Neudeck, der mit seiner Hilfsorganisation "Grünhelme" nach wie vor Ausbildungsprojekte auch in Afrika durchführt, resümiert:
    "Das Drama afrikanischer Länder - wir haben ja nicht mehr die Dritte Welt, wir haben ja nur noch den Sorgenkontinent Afrika - das Drama Afrikas liegt darin, dass der gesamte Kontinent, vielleicht mit Ausschluss Südafrikas, total abgehängt ist von der globalisierten Weltwirtschaft, total abgehängt ist vom globalisierten Weltmarkt. Also alles muss darum gehen jetzt, dass wir afrikanischen Ländern den Anschluss an den globalisierten Weltmarkt leichter machen. Tun müssen die das selbst. Wir können es nur ein bisschen fördern. Mehr können wir nicht. Das ist auch die Bescheidenheit, die wir in dem Aufruf verlangen."
    Die Gleichung "mehr Geld = mehr Entwicklung" gehe nicht auf, heißt es im "Bonner Aufruf" und gefordert wird eine "Neuorientierung der Zusammenarbeit: Wo immer möglich, weg von staatlichen Partnern hin zu gesellschaftlichen Gruppen, die sich selbst organisieren und verwalten". Unsere Hilfe sollte auf das konzentriert werden, was sich als besonders förderungswürdig erwiesen habe: Grund- und Berufsausbildung, Kleinkredite und die arbeitsintensive und beschäftigungswirksame Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen.
    Weg von staatlichen Partnern, hin zu gesellschaftlichen Gruppen: Die vom Bonner Aufruf geforderte neue Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit müsste bei Nichtregierungsorganisationen eigentlich auf Zustimmung stoßen. Die Leiterin des Evangelischen Entwicklungsdienstes und Vorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, Claudia Warning, hält aber nichts davon, die Regierungen aus ihrer Verantwortung zu entlassen:
    "Wir können es nicht und wir wollen es nicht. Warum sollten wir Aufgaben eines Staates übernehmen. Das gibt überhaupt keinen Grund dafür. Wir können immer subsidiär arbeiten. Wir können immer an der Basis arbeiten. Aber Staaten sollen gefälligst ihren Job tun. Wichtig und richtig am Bonner Aufruf ist zu sagen, dass die Menschen daran beteiligt werden müssen. Es braucht eine lebendige Zivilgesellschaft. Es braucht funktionierende Parlamente und keine Oligarchie oder - wie in einigen Ländern gar - eine Kleptokratie, wo nämlich die Reichen sich bereichern."
    Genau diese Fehlentwicklung wird auch im Bonner Aufruf beklagt. So zutreffend diese Analyse auch sein mag - es fehlt jeglicher Hinweis auf die schweren Mängel der globalen Strukturpolitik der Geberländer. Sie haben es zugelassen, dass das Ziel einer sich selbst tragenden landwirtschaftlichen Entwicklung verfehlt wurde - sei es in den Ländern Afrikas oder in Lateinamerika.
    So übersteigen die jährlichen Subventionen der Industriestaaten für die eigene Landwirtschaft und deren Exporte in die Dritte Welt noch immer die Höhe ihrer jährlichen Entwicklungshilfegelder - sei es bei Getreide, Milch- oder Fleischprodukten, sei es sogar bei Baumwolle. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul:

    "Einmal haben die Entwicklungsländer selbst eigentlich der ländlichen Entwicklung keine wirkliche Priorität eingeräumt, obwohl dort die Armutsbekämpfung natürlich eigentlich am meisten Auswirkungen hat und die Frauen vor allen Dingen gestärkt werden. Und das zweite ist, dass die Entwicklungsländer das vernachlässigt haben, hängt auch zum Teil mit der Art zusammen, in der die Industrieländer ihre Überschussproduktion im Agrarbereich runtersubventioniert auf die Märkte der Entwicklungsländer gedumpt haben. Das ist auch eine meiner Forderungen: Erstens die ländliche Entwicklung fördern in den Entwicklungsländern, aber gleichzeitig: Beenden der Agrarsubventionen, denn das bedeutet im Grunde, die Entwicklungsländer zu entmutigen, in der Landwirtschaft zu investieren."
    Allerdings wird man auf eine faire Handelspolitik gegenüber den Entwicklungsländern noch lange warten müssen. Gegen den Protest aller Entwicklungspolitiker beschloss die EU-Kommission noch zu Beginn dieses Jahres, Exportsubventionen für die europäische Milchwirtschaft zu gewähren.
    Bei der Politik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank indes sind Änderungen absehbar - beide haben nach allgemeiner Einschätzung mit ihren rigiden Strukturanpassungsauflagen für verschuldete Entwicklungsländer in der Vergangenheit ganz erheblich zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten beigetragen. Das soll nach den jüngsten Beschlüssen des Londoner G-20-Gipfels nun anders werden - die Mittel des IWF werden verdreifacht. Heidemarie Wieczorek-Zeul mit Blick auf die nächste Tagung der beiden Institutionen am letzten April-Wochenende:

    "Also ich erwarte mir von dieser Frühjahrstagung einen ganz klaren Impuls, eine Art "New Global Deal", also einen neuen globalen Pakt, bei dem Investitionen in die ohnehin notwendigen Bereiche Klimaschutz, Ernährung gegeben werden und damit den Entwicklungsländern auch die Chance gegeben wird, antizyklisch zu handeln."
    Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit kann sich bei ihren Bemühungen auf eine erstaunlich große Unterstützung in der deutschen Bevölkerung berufen. Nach der jüngsten ARD-Umfrage zu den Ergebnissen des Londoner G-20-Gipfels sprachen sich 90 Prozent für schärfere Kontrollen der Finanzmärkte, 79 Prozent für Konjunkturprogramme zum Klimaschutz und immerhin 76 Prozent für mehr Geld für die Entwicklungsländer aus.