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Gebietstausch in Serbien und Kosovo
"Die EU sollte diesen gefährlichen Plan nicht unterstützen"

Serbien bekommt ein Stück des Kosovo, das Kosovo im Gegenzug ein Stück Serbien: Das schlagen die Präsidenten beider Länder vor. Ein brandgefährlicher Plan, der zu Begehrlichkeiten in anderen Balkanländern führen könnte, meint Gerald Knaus, Leiter der Europäischen Stabilitätsinitiative, im Dlf.

Gerald Knaus im Gespräch mit Manfred Götzke | 03.09.2018
    Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative
    Gerald Knaus, Politikwissenschaftler, Vorsitzender und Mitgründer der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) (dpa/ picture alliance)
    Manfred Götzke: Herr Knaus, könnte dieser Plan zu einer Aussöhnung zwischen Kosovo und Serbien führen?
    Gerald Knaus: Ja es klingt so einfach: Da einigen sich zwei Präsidenten, verschieben Territorien, dann anerkennt Serbien Kosovo, Kosovo wird ein Staat mit sicheren Grenzen und alle sind glücklich. Aber in Wirklichkeit ist das ein von Anfang bis Ende gefährliches und wohl auch zynisches Spiel. Denn die meisten Serben, die im Kosovo leben, sind in Gebieten, die nicht erfasst werden können, von dieser Teilung des Kosovos. Also, eigentlich schickt man den Kosovo-Serben, die noch immer dort leben, 20 Jahren nach dem Krieg, ein Signal, sie sind immer noch nicht erwünscht - außer sie leben in Gebieten, die zu Serbien annektiert werden, und andererseits ist es vollkommen unwahrscheinlich, dass Gebiete im Süden Serbiens tatsächlich an den Kosovo übergeben werden. Beide Seiten spielen da nicht mit offenen Karten, und für die gesamte Region ist die Idee, Minderheitenprobleme dadurch zu lösen, dass Minderheiten verschwinden, ein fatales Signal.
    Götzke: Könnte das Ganze eine Kettenreaktion auslösen auf dem Balkan?
    Knaus: Naja, das wichtigste ist die Position der Europäischen Union und der Staaten der EU. In der Region gab es ja immer, seit 20 Jahren, politische Kräfte, die gesagt haben, man muss die Grenzen neu ziehen. Eigentlich sind überall Nationalisten unzufrieden, aber in den letzten 20 Jahren haben diese Rufe viel an ihrer Glaubwürdigkeit verloren, weil die EU eine sehr klare Position hatte. Sie hat gesagt, Grenzen müssen unwichtiger werden durch Öffnung, durch europäische Integration - auch auf dem Balkan. Und Minderheiten müssen überall in der Lage sein, ein sicheres Leben zu führen. Wenn die EU hier ihre Politik ändern würde, dann würde das die Politik in allen Ländern des Balkans und die Hoffnungen von Nationalisten, die es immer gab und immer noch gibt, deren Glaubwürdigkeit enorm stärken. Und das wäre extrem gefährlich in einer Situation, wo ja in Europa schon genug Probleme mit Nationalismus bestehen.
    "Es gibt keinen Grund für neue Grenzziehungen"
    Götzke: Bleiben wir noch auf dem Balkan, an welche Länder müsste man da denken? Albaner in Mazedonien oder Kroaten und Serben in Bosnien, die ähnliche Forderungen stellen könnten?
    Knaus: Es ist ja trotz der vielen Kriege immer noch jedes Land auf dem Balkan ein multiethnisches Land. Die direkten Sorgen wurden sofort geäußert von Bosnien. Die Mazedonier haben sich öffentlich zurückgehalten. Aber ich habe viele Gespräche geführt mit Politikern öffentlich in den letzten Tagen, die mich angerufen haben und gefragt haben, wie das nun gemeint sein kann, ob das wirklich ernst ist, dass die Europäische Union auf einmal ihre Position aufgibt, denn auch in Mazedonien ist die Zusicherung der EU, die Grenzen des Landes zu verteidigen und die Forderung der EU an die Politiker, sich zwischen Albanern und Mazedoniern auszusöhnen, gemeinsam Kompromisse zu finden, das Fundament gewesen, warum man sich nach einem bitteren und blutigen Konflikt 2001 wieder einen Frieden gefunden hat. Und das wird ohne Zwang, denn es gibt heute kein direktes Problem in diesen Minderheitengebieten in Serbien und im Kosovo - es gibt Spannungen, aber die sind viel geringer als noch vor zehn Jahren -, ohne Zwang wird dieses Fundament in Frage gestellt.
    "Die Grenzen auf dem Balkan müssen durchlässiger werden"
    Götzke: Sie haben schon gesagt. Die EU steht dem Ganzen, sagen wir zumindest mal offen gegenüber. Der deutsche Außenminister Heiko Maas, mehrere seiner Amtskollegen haben sich dagegen ausgesprochen. Aber könnte die EU einen solchen Plan denn überhaupt verhindern, wenn Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und sein Amtskollege Hashim Thaçi einen entsprechenden Vertrag aushandeln?
    Knaus: Also, die Frage ist nicht so sehr, ob die EU hier ein Veto einlegen sollte, denn natürlich, wenn sich die Präsidenten einigen würden, die Parlamente dem zustimmen würden, wenn es einen ausgefeilten, diskutierten, von allen Seiten gewollten Frieden gäbe mit diesen Vorsehungen, dann würde die EU sich das ansehen. Die wirkliche Frage ist: Soll die EU das unterstützen? Soll sie aktiv darauf drängen, dass es zu einer Einigung kommt? Und da sollte die Botschaft klar sein. Sie ist zum Glück sehr klar aus Berlin und aus einigen anderen Hauptstädten. Nein, die Botschaft der EU sollte weiterhin sein, dass Serbien und Kosovo und der Rest des Balkans dann eine Zukunft haben in einer offenen Europäischen Union, wenn sie alle Bedingungen erfüllen, wenn sie Minderheiten in ihren Ländern so behandeln wie es ihre Verfassungen vorsehen, also als volle gleichwertige Bürger und wenn sie dafür sorgen, dass Grenzen durchlässig werden. Das Problem zwischen Frankreich und Deutschland, die Spannungen innerhalb Belgiens - solche Dinge lassen sich nicht durch neue Grenzziehungen lösen. Das haben wir in der Geschichte oft genug gesehen. Und so gilt das eben auch auf dem Balkan. Man sollte lieber daran arbeiten, dass Grenzen weniger wichtig werden.
    Götzke: Wie umstritten oder unumstritten sind diese Pläne in der Bevölkerung in Serbien und Kosovo überhaupt?
    Knaus: Na ja, im Kosovo muss man dazusagen - und auch das ist ein Grund, warum die deutsche Haltung der großen Skepsis gerechtfertigt ist -, dass der Präsident, der diese Verhandlungen führt, Hashim Thaçi, dafür überhaupt kein Mandat hat. Man weiß ja auch bis jetzt überhaupt keine Details. Also, das sind ja alles Spekulationen, dass hier Gebiete ausgetauscht werden. Die Serben haben noch nie gesagt, dass sie bereit wären, wirklich den Preševo, also das albanische Gebiet im Süden, herzugeben. Ich halte das für unwahrscheinlich. Aber Hashim Thaçi, der Präsident des Kosovos, der sich hier vorwagt, ist selbst umstritten. Und sein Regierungschef und die Mehrheit im Parlament sind ganz klar dagegen, hier eine Teilung des Kosovos anzunehmen. Das heißt: Im Kosovo selbst würde das sofort zu weiteren Spannungen führen. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass eine solche Einigung möglich ist, selbst wenn die EU sich raushält. Das Fatale ist, dass die Signale aus dem Weißen Haus von Donald Trump, die Politik der Amerikaner, die seit zwei Jahrzehnten mit der EU hier eine Position hatten, dass die über den Haufen geworfen wurde. Die Amerikaner sagen mittlerweile, ihnen ist es ganz egal. Das erstaunt allerdings nicht, denn Donald Trump ist kein Verteidiger von multiethnischen Gesellschaften.
    Götzke: Grenzverschiebungen zwischen Kosovo und Serbien sind brandgefährlich, sagt Gerwald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative. Dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.