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Geburt eines Mythos

Bevor Ende des 19. Jahrhunderts "Aida" und "La Bohème" Massenerfolge feierten, war Wolfgang Amadeus Mozarts "Don Giovanni" der unangefochtene Favorit des bürgerlichen Opernpublikums in Europa. Und bis heute gehört das Werk auch an deutschen Opern quasi zum Pflichtprogramm.

Von Matthias Nöther | 29.10.2007
    "Montags den neunundzwanzigsten wurde die mit Sehnsucht erwartete Oper des Meisters Mozart 'Don Giovanni oder das steinerne Gastmahl' gegeben. Kenner und Tonkünstler sagen, dass zu Prag ihresgleichen noch nicht aufgeführt worden. Herr Mozart dirigierte selbst, und als er ins Orchester trat, wurde ihm ein dreimaliger Jubel zuteil. Die Oper ist übrigens äußerst schwer zu exequieren, und jeder bewundert dem ungeachtet die gute Vorstellung derselben nach so kurzer Studierzeit."

    Die Prager Uraufführung des "Don Giovanni" am 29. Oktober 1787 war der Stoff, aus dem man später Legenden und Literatur wob. Aus der kurzen Studierzeit, von der die Prager "Oberpostamtszeitung" berichtete, entstand schnell das Gerücht, Mozart habe die Ouvertüre noch in der Nacht vor der Uraufführung geschrieben. Von hektisch umherfliegenden Notenblättern im Orchestergraben war später die Rede. Außerdem soll der Frauenheld Giacomo Casanova, gewissermaßen Don Giovannis Alter ego in der Realität, bei den Proben des Stückes mitgeholfen haben. Über all das gibt es von Mozart und seinen Librettisten Lorenzo da Ponte keine Berichte. Überhaupt machten die beiden Autoren nicht viele Worte um ihren Giovanni. Da Ponte reiste schon vor der Uraufführung nach Wien zurück, und auch Mozart ging ziemlich schnell zur Tagesordnung über.

    "Liebste Schwester! Dass ich hier in Prag Don Juan geschrieben, und zwar mit allem möglichen Beifall, wirst du vielleicht schon wissen. Was neue Musik von mir fürs Klavier anbelangt, so bitte ich dich, mir die Themata von den Stücken, so ich dir von Wien aus schon geschickt habe, aufzuschreiben und sie mir zu schicken."

    Mozart gab sich beiläufig. Schließlich war ein Stück über Don Giovanni im späten 18. Jahrhundert nichts Besonderes. Auch Da Ponte hatte die Figur aus einer anderen Oper übernommen, die ein halbes Jahr früher in Venedig erfolgreich gewesen war. Und sowohl er als auch Mozart zeichneten ein recht landläufiges Bild des Don Giovanni - als eines unbelehrbaren und gewalttätigen Erotomanen. Das allerdings zeichneten sie drastisch und präzise.

    Die herausfordernd jubelnde Champagner-Arie ist der musikalische Fingerabdruck Giovannis - eines "Cavaliere estremamente licenzioso". So nannte ihn da Ponte im Rollenverzeichnis des Prager Textbuchs: einen äußerst freizügigen Edelmann, jemand, der für sein eigenes Vergnügen über Leichen geht.

    Abgrundtiefe Bösewichter hatten im späten 18. Jahrhundert Hochkonjunktur - und das ausgerechnet beim aufgeklärten bürgerlichen Publikum, das eigentlich emphatisch an die Erziehbarkeit des Menschen glaubte. Der Siegeszug von Mozarts Oper wiederum führte dazu, dass die Figur des Giovanni allmählich idealisiert wurde.

    ""Ein kräftiger, herrlicher Körper, ein tiefes Gemüt, ein schnell ergreifender Verstand. Ein ewiges brennendes Sehnen trieb den Juan, dass er gierig und ohne Rast alle Erscheinungen der irdischen Welt aufgriff, in ihnen vergebens Befriedigung hoffend! Vom schönen Weibe zum schönern rastlos fliehend, musste doch Juan zuletzt alles irdische Leben matt und flach finden","

    so sah E. T. A. Hoffmann Mozarts Don Giovanni 1813. Ein faustischer Heros mit romantischer Sehnsucht nach Unendlichkeit - Mozart und Da Ponte hätte das wohl nicht eingeleuchtet. In ihrer Oper scheitert Giovanni mit seinen Verführungskünsten komplett. Es wird nur wortreich darüber berichtet. In Deutschland, so Giovannis Diener Leporello, habe sein Herr zwar nur 230 Frauen geliebt, aber dafür in Spanien 1003. Don Giovanni ist bei Mozart bereits sein eigener Mythos. Der fasziniert bis heute - vielleicht wegen seiner hemmungslosen Übertreibung.