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Geburtsstunde der politischen Instanz des Europarats

Als politische Instanz kann der Europarat keine Entscheidungen treffen. Er vermittelt und berät. Doch mit der "Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten" schuf er sich ein Instrument.

Von Monika Köpcke | 04.11.2010
    " A Rome en Novembre 1950: La signification de la convention de droites d’hommes. Il adapte…"

    Der Kommentar der französischen Wochenschau ist euphorisch: Es ist nicht nur eine wohlklingende Absichtserklärung, die da in Rom unterzeichnet wird. Mit ihrer Unterschrift schaffen die Regierungschefs ein Instrument, das Europa zukünftig vor Diktatur und Krieg bewahren kann.

    "... et ainsi écarter les principales sources des guerres."

    1949: Die Bilder von Krieg und Konzentrationslagern waren den Menschen noch unmittelbar gegenwärtig. Zehn westeuropäische Staaten schlossen sich damals zu einer neuen Organisation zusammen: dem Europarat. Seine Aufgabe: die Sicherung des Friedens und die Verteidigung der Demokratie. Mit diesem Ziel schuf der Europarat seinen ersten und wichtigsten Vertrag: die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die am 4. November 1950 feierlich in Rom unterzeichnet wurde. Im September 1953 trat sie in Kraft. Für die Bundesrepublik war es der erste internationale Vertrag, an dem sie gleichberechtigt beteiligt war. Während der Ratifizierungsdebatte im Deutschen Bundestag sagte der SPD-Politiker Carlo Schmid:

    "Die Konvention stellt gegenüber dem bisher geltenden Recht einen außerordentlichen Fortschritt dar. Sämtliche beteiligte Staaten, das heißt sämtliche Staaten, die Mitglied des Europarates sind, beschließen, dass in ihrem Staatsgebiet sämtliche Menschen einen bestimmten Mindeststandard von Grundrechten genießen sollen. Und darüber hinaus wird die Garantie dieser Verpflichtung nicht ausschließlich den nationalen Gerichten anheimgegeben, sondern internationalen Instanzen. "

    Inhaltlich orientiert sich die Europarats-Konvention an der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen von 1948. Wie diese garantiert sie die elementaren Persönlichkeits- und Freiheitsrechte. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied. Die europäische Menschenrechtskonvention ist völkerrechtlich bindend.

    Irland war das erste Land, das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu einer Schadensersatzzahlung an einen Bürger verurteilt wurde. Der Mann hatte geklagt, weil er drei Monate in einem Internierungslager festgehalten worden war, ohne dass ein Haftrichter seinen Fall geprüft hätte.

    Seit 1959 wacht der Gerichtshof darüber, dass die Europarats-Staaten die Bestimmungen der Menschenrechtskonvention einhalten. Jeder Bürger hat die Möglichkeit, bei Ungerechtigkeiten seiner Regierung, der Verwaltung oder der Justiz eine Beschwerde einzureichen, und es gibt keinen Mitgliedsstaat, der hier noch nicht wegen Normverletzungen verurteilt wurde.

    In den Verfahren geht es um so unterschiedliche Dinge wie Sterbehilfe, Pressefreiheit oder Abschiebungen. In seinem jüngsten Urteil schränkte das Gericht die Selbstverwaltung der katholischen Kirche in Deutschland ein. Es erklärte die Entlassung eines Organisten wegen Ehebruchs als nicht vereinbar mit der Privatsphäre. Der Mann muss wieder eingestellt werden, denn die Urteile sind bindend.

    Bis heute ist der Europarat auf 47 Staaten angewachsen. Nicht nur sämtliche EU-Länder, auch die Türkei, Russland oder Montenegro gehören ihm an. Damit leben über 800 Millionen Menschen im Geltungsbereich der Menschenrechtskonvention, und die Straßburger Richter drohen in einer Flut von jährlich fast 40.000 Beschwerden zu ersticken. Dennoch: Für den Schweizer Luzius Wildhuber, bis 2007 Präsident des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, bleibt die Beachtung der Konvention ein wichtiges demokratisches Gütesiegel, auf das kein Staat ohne Weiteres verzichten kann:

    "Wer hätte gedacht, dass Zentral- und Osteuropa dabei sein würden. Ich würde sagen rückblickend, wer hätte auch schon nur gedacht, dass die traditionellen westeuropäischen Staaten alle bereit sein würden, sich einer so dichten Kontrolle zu unterstellen. Sodass ich glaube, im Großen und Ganzen kann man von einer unbestreitbaren Erfolgsgeschichte reden."