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Geburtsstunde des großen klassischen Theaters

Als am 26. Dezember 1662 im Theater des Palais Royal das Stück "Die Schule der Frauen" des Komödiendichters Molière uraufgeführte wurde, löste das einen Skandal aus, der auf die Zukunft des französischen Theaters großen Einfluss hatte.

Von Eberhard Spreng | 26.12.2012
    Deine Muse dient der Nützlichkeit
    Sagt Wahrheit und das mit Heiterkeit
    Zu lernen gibt's für jeden viel
    In Schönheit und Güte wird das erledigt
    Und noch der lustigste Witz im Spiel
    Taugt mehr als die klügste Predigt


    In Versen lobte der führende Pariser Feuilletonist und Kritiker Nicolas Boileau "Die Schule der Frauen" seines Freundes Molière. Sie dienten der Verteidigung eines Stückes, das mit seiner Uraufführung am 26. Dezember 1662 im Theater des Palais Royal eine polemische Debatte ausgelöst hatte, die im gesamten Folgejahr das literarische Paris in Atem hielt. Jean-Pierre Vincent, der die "Schule der Frauen" 2008 am Odéon-Theater inszenierte, erklärt die Hintergründe.

    "Es war die Geburtsstunde des großen klassischen Theaters auf den Fundamenten der Farce. Aber dies hier war eine polemische, böse und aggressive Farce, die ans Eingemachte der französischen Gesellschaft ging. Und die hat sich in vielen der in dem Stück angesprochen Punkte bis heute nicht geändert. Molière griff gewisse Leute an, die versuchten, im Umfeld des jungen Königs, Ludwig XIV., die Macht an sich zu reißen."

    Als gerade mal 24-Jähriger erlebte Ludwig XIV. auf höchster Ebene eine fundamentalistische Kampagne strenger Katholiken. Sie erbosten sich gegen den Komödiendichter, ein Streit, der wenig später im "Tartüffe" gipfelte und Molière fast auf den Scheiterhaufen gebracht hätte. Sie ereiferten sich über die vermeintlichen Obszönitäten des Textes und die Herabwürdigung der heiligen Institution der Ehe.

    Im Zentrum der Komödie "Schule der Frauen" steht Arnolphe, ein alternder Hagestolz, der spät beschließt, doch noch zu heiraten und zwar sein Adoptivkind Agnès. Als Vierjährige war sie ihm anvertraut worden und seitdem hatte er Agnès von allem ferngehalten, was zur Herzensbildung und zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit hätte führen können. Mit seinem grausamen Experiment hofft Arnolphe, der sich bislang über gehörnte Ehemänner lustig machte, in der jungen Agnès eine immertreue Ehefrau zu finden. Aber unversehens hat die dann doch einen jungen Mann kennengelernt und sich spontan in Horace verliebt. Der vor Eifersucht rasende Arnolphe versucht in der fünften Szene des zweiten Aktes, herauszufinden, wie weit die Liebelei gegangen ist.

    Was Horace der jungen Agnès denn genommen habe, will der das Schlimmste befürchtende Arnolphe in der legendär gewordenen, sogenannten "Scène du Le" wissen.

    Der einfache bestimmte Artikel le erzürnte die Sittenwächter. Denn jeder Zuschauer meint, in Agnès verschüchtert stotternden Andeutungen zu vernehmen, dass es ihre Unschuld sein müsse, die sie verloren habe, bevor sie endlich sagt, dass es nur ein Band war, das ihr Arnolphe geschenkt hatte.

    "Sie füllen das Theater mit den derbsten Zweideutigkeiten, die je das Ohr eines Christen infizierten"

    , schrieb der Bischof Jacques Bénigne Bossuet im Jahre 1664. Molière machte in seinem kleinen Folgestück "Critique de l'École des Femmes" seine Feinde lächerlich. Reim auf Reim, Stück auf Stück, eine poetische Literaturschlacht war in vollem Gange. In einem später verfassten Vorwort schrieb der Dramatiker über seine "École des Femmes":

    "Viele Leute haben gegen diese Komödie revoltiert, aber die Lacher waren auf ihrer Seite, und alles Schlechte, das man über sie sagen konnte, hat doch nur bewirkt, dass sie einen Erfolg hatte, der mich sehr befriedigt."

    Die enorme Summe von 11.000 Livres spielte das Stück in den ersten drei Wochen ein. Es wurde zu einem der ganz großen Erfolge des Komödiendichters. Louis Jouvets Inszenierung am Pariser Théâtre de l'Athenée von 1936 wurde insgesamt 675 Mal gespielt. Eine gerade mal 18-jährige Isabelle Adjani führte in der Rolle der Agnès an der Comédie Française 1973 die Emanzipation des Mädchens beispielhaft vor Augen. Auch die Rolle des Arnolphe gab immer wieder Anlass zu Neuerkundungen.

    "Wenn Arnolphe über kluge Frauen herzieht und für dumme Frauen Werbung macht, dann tun ihm dies auch heute noch viele Menschen nach. Bei ihnen kommt einiges zusammen: verquere Sexualität, Frauenverachtung, katholischer Fundamentalismus."

    Molière bleibt aktuell: Vom großen Schauspieler und Regisseur Sacha Guitry ist Folgendes überliefert: Auf die Frage "Was gibt's Neues?", sagte er "Molière"!