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Gedenkstätte Marienborn
Deutsch-deutsche Geschichte hautnah erleben

Der Tag der Deutschen Einheit ist für viele Kinder und Jugendliche einfach nur ein freier Tag. Für sie ist die Geschichte der Teilung zu weit weg. Das kann sich aber ändern, wenn sie historische Orte besuchen - wie etwa die Gedenkstätte Marienborn an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze.

Von Christoph Richter | 03.10.2018
    Der ehemalige Grenz-Kontrollposten Marienborn. Die Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn (Sachsen-Anhalt), aufgenommen am 12.08.2016.
    Der ehemalige Grenz-Kontrollposten Marienborn, heute eine Gedenkstätte der deutschen Teilung. (dpa/Peter Gercke)
    "Es ist wichtig, damit man von der Geschichte lernt, für die Deutschland verantwortlich ist."
    Steven ist 13 und geht in die 8.Klasse der Käthe Kollwitz Schule in Hannover. Heute auf dem Lehrplan: Der Besuch der Gedenkstätte Marienborn.
    "Ja, praktisch ist besser als theoretisch."

    Die heutige Gedenkstätte Marienborn – an der A2 zwischen Hannover und Berlin - war mal der größte Grenzübergang, das Nadelöhr zwischen Ost und West. Allein zwischen 1985 bis 1989 passierten knapp 35 Millionen Reisende die Grenzübergangsstelle, die allerdings nur Menschen aus dem Westen kannten. Für DDR-Bürger war Marienborn verbotenes Terrain.
    Für knapp zwei Dutzend Schüler aus Hannover ein Einblick in eine für sie fremde Welt. Geschichtsunterricht zum Anfassen.
    Neria: "Ja, es ist schon besser, wenn man das mal hier macht."
    Reporter: "Warum?"
    Neria: "Weil, man erlebt das dann richtig und sieht es nicht nur auf Bildern."
    Sebastian: "Ja, ist besser als Schule. Auf jeden Fall. Man sitzt nicht im Unterricht, sondern guckt sich die Sachen live und in echt an."
    Neria und Sebastian sind beeindruckt, denn Grenzübergänge kennen sie gar nicht. Dass man ihnen verbieten würde, nach Paris, Rom oder London zu fahren? Unvorstellbar. Die Stimmung unter den Schülern ist gedrückt.
    Wachturm, Kontrollbrücke und Beton-Rollsperren
    Noch heute sind in Marienborn die überdimensionierten Abfertigungshallen zu sehen, der Wachturm, die Kontrollbrücke, die Beton-Rollsperre, die ausgefahren wurde, um Fluchtversuche zu verhindern. Das gesamte Terrain war schattenlos ausgeleuchtet, Selbst Leichen wurden kontrolliert. Die Schüler erfahren die ganze Brutalität des SED-Regimes, das alles daran setzte, um Fluchtversuche seiner eigenen Bürger zu verhindern.
    "Und gleichzeitig müssen wir die Erfahrungen der Menschen erzählen, die Marienborn nur als Lichtschein am Nachthimmel gesehen haben. Weil, das das Tor zur Freiheit, war, aber gleichzeitig für die Menschen im Osten verschlossen war", sagt Susan Baumgartl, die Leiterin der Gedenkstätte Marienborn.
    Die Führung dauert für die Schülergruppe aus Hannover etwa eine Stunde. Das ist aber nur der Anfang, danach beschäftigen sie sich in Kleingruppen mit Themen wie Stasi, Schießbefehl oder Flucht und Ausreise aus der DDR.
    "Ägypten haben wir zwei Jahre durchgenommen"
    Man bekomme bei einem Gedenkstättenbesuch ein richtiges Gefühl und Gespür für die Geschichte, anders als in der Schule. Und das sollte man viel öfter machen, sagt die 15-jährige Delia. Und kritisiert, dass die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung im Geschichtsunterricht im Vergleich zu anderen Epochen viel zu kurz komme.
    "Denn Ägypten haben wir zwei Jahre lang durchgenommen. Und es wäre schon schlauer, wenn man die deutsche Teilung länger und intensiver durchnehmen würde. Weil es ja näher an der jetzigen Zeit dran liegt."
    Neben Delia steht ihr Klassenlehrer Jan-Philipp Krome. Für ihn gibt es keine bessere Alternative zum Geschichtsunterricht. Auch wenn solche Besuche die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Schule nicht ersetzen können, ergänzt er noch.
    "Gut, das ist ja ein Projekt innerhalb einer Projektwoche. Und die Schüler konnten es auswählen. Insofern, alle machen es freiwillig. Und aus Interesse. Das Thema haben sie bewusst gewählt. Gerade die Älteren wissen etwas mehr schon aus dem Geschichtsunterricht."
    Eine Pflicht-Veranstaltung würde Lehrer Krome aber nie draus machen. Und setzt auf Freiwilligkeit.
    Nur in Bayern steht der Besuch einer KZ-Gedenkstätte noch im Lehrplan
    In der DDR waren Besuche von KZ-Gedenkstätten noch Pflicht, heute ist das in den Neuen Bundesländern Vergangenheit. Allein in Bayern steht ein KZ-Gedenkstättenbesuch verpflichtend auf dem Lehrplan. Gedenkstättenleiter sehen den Lerneffekt bei Pflichtbesuchen allerdings auch skeptisch. Ähnlich sieht es Geschichtslehrer Robert Arndt von der Don Bosco Schule in Rostock. Nur wer freiwillig komme lerne etwas, ansonsten sei der Lerneffekt gleich Null. Zwang ist da eher kontraproduktiv, so Arndt weiter.
    "Ich glaube, dann ist es relativ sinnlos. Und genau da muss die Gratwanderung gefunden werden, von den Pädagogen, der Gesellschaft, wie damit umzugehen ist."
    Viele Eindrücke prasseln innerhalb nur weniger Stunden auf die Schüler ein. Nach einem langen Tag sind sie erschöpft.
    "Mal was anderes, als nur alles in Büchern zu lesen", sagt Delia.
    Und ist glücklich, dass sie die Reise zur Gedenkstätte Marienborn mitgemacht hat. Vor allem, wenn sie sich überlegt, dass das alles vor nicht langer Zeit wirklich passiert ist. Und: Dass Menschen wegen eines gescheiterten Fluchtversuchs für Jahre ins Gefängnis mussten. Nur, weil sie in der Freiheit leben wollten.
    "Die Kinder, die Jugendlichen, die heute geboren werden, die wissen das ja alles gar nicht. Und das sollte man denen auch sagen, wie schlimm das in der DDR war und dass in Marienborn, Stopp und Aus und Schluss war."

    Erzählt die in Gommern lebende Annemarie Reffert. Sie war die erste DDR-Bürgerin, die am 9. November 1989 den Grenzübergang Marienborn in Richtung Westen passierte.