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Gedruckte Poetry Slams

Der Verlag Voland & Quist bringt Spoken-Word-Lyrik, Lesebühnen-Texte und Literatur aus Südosteuropa zwischen Buchdeckel. Der Clou: Alle Bücher erscheinen mit Audio-CDs.

Von Nils Kahlefendt | 18.05.2010
    Es gibt Verlage, die am Reißbrett irgendeiner Konzernzentrale erfunden werden, andere entstehen aus einer übermütigen Weinlaune heraus oder weil da Bücher sind, die unbedingt in die Welt müssen. Die Geschichte von Voland & Quist beginnt 2001, fast drei Jahre vor der eigentlichen Gründung, als Planspiel zweier Studenten. Sebastian Wolter und Leif Greinus hatten sich während ihres Studiums der Verlagswirtschaft an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur angefreundet, teilten sich schon wenig später eine heruntergekommene Altbauwohnung und brüteten dort nächtelang über einem Seminar-Projekt.

    Greinus: "Vielleicht die Initialzündung, zumindest der erste Schritt, war eine gemeinsame Arbeit, die wir gemacht haben. Im Controlling, eine Fallstudie über die Gründung eines Verlages. Wir haben das relativ rasch, trotz sonstiger Widrigkeiten durchgezogen. Oder dem Grundfaulsein, das man so als Student manchmal pflegt."

    Die beiden rechneten, schrieben Businesspläne als ob – und hätten am Ende doch sagen müssen: Hände weg!

    Wolter: "Ich glaube, dass war auch unser Fazit, in der Controlling-Studie. Da kam raus, dass man es lieber nicht machen sollte. Aber da hatten wir halt den Vorteil durch unsere Veranstaltungen. Das ist ja der andere Punkt noch, weshalb wir den Verlag gegründet haben: Weil wir gesehen haben, dass es Autoren gibt, die ein Publikum haben, die eine Berechtigung haben – aber die bisher nicht adäquat oder gar nicht verlegt wurden."

    Verlage mit Hang zur Popkultur, Kiepenheuer & Witsch etwa, haben es eher halbherzig versucht. Warum sollten Greinus und Wolter das also nicht selbst in die Hand nehmen – und die Literatur der Poetry Slams und Lesebühnen, die sie in ihrer Freizeit organisieren, zwischen Buchdeckel bringen? Und: Wieso nicht Bücher konsequent mit CDs kombinieren, da die Texte ihre eigentliche Wirkung doch erst in der performativen Praxis, auf der Bühne verrauchter Szene-Klubs wie dem Berliner "Café Burger" oder "Horns Erben" in Leipzig erzielen? Für das, was so folgerichtig klingt, hatten die beiden auch gleich einen passenden Namen: Live-Literatur.

    Da die angehenden Büchermacher wissen, dass eine gute Idee auch gut verkauft werden muss, borgen sie sich ihre Verlegernamen einfach in der Weltliteratur aus.

    Wolter: "Und das war dann auch Leifs Idee: 'Der Meister und Margarita', die Figur des Voland. Die ja auch sehr spannend ist. Und von Harry Mulisch, 'Entdeckung des Himmels', den Quinten Quist zu nehmen. Und das sind ja auch zwei gegensätzliche Figuren: Das eine ist halt eher eine sehr, sehr positiv besetzte. Und der Voland ist so eine Mephistofigur."

    Greinus: "Wir haben das spaßeshalber auf der Homepage damals so angegeben, damals, dass ich Voland bin und Sebastian Quist. Wobei ich auch sagen muss, dass Voland bei Bulgakow gar nicht so negativ ist. Der macht richtig lustige Dinge."

    Ihre Verlagsidee nehmen die beiden indes ziemlich ernst. Im Herbst 2004, die heiße Diplomarbeitsphase ist kaum verdaut, wird Voland & Quist offiziell angemeldet, nur einen Tag später kommen die ersten vier Bücher aus der Druckerei. In den fünf Jahren, die seither vergangen sind, haben Wolter und Greinus mehr als 40 Titel verlegt, Durststrecken überstanden und mehr als nur wohlwollendes Schulterklopfen geerntet. Ahnes "Zwiegespräche mit Gott", ihr bislang erfolgreichster Titel, verkaufte sich mehr als 10.000 Mal; auch der erste Band der Spoken-Word-Poetin Nora Gomringer läuft gut. Ein Lyrikband in der dritten Auflage? Das nehmen den beiden Jungspunden viele gestandene Kollegen kaum ab.
    Dass ausgerechnet Jochen Schmidts sperrige Proustlektüre "Schmidt liest Proust", ein auf über 600 Seiten zwischen Buchdeckel gebrachtes Blog, den beiden Verlegern die erste Taschenbuchlizenz bescherte, wirft ein Schlaglicht auf ihr Arbeiten. Sie sind gut geerdet, vertrauen einander ebenso wie ihren Bauchgefühlen.

    Greinus: "Ich denke auch, dass sich da viele Leute nicht so richtig damit beschäftigt haben. Sondern die haben nur gehört: Aha, ja: Proust. Blog. Ist frei, ist zugänglich, kann man kein Geld damit verdienen. Uns hat es selber angespornt, oder mich – ich hatte keine Lust gehabt, das im Blog zu lesen. Mir waren das viel zu lange Abschnitte. Und ich wollte das unbedingt gedruckt vorliegen haben! Also, das war sozusagen auch ein persönlicher Ansatz, den wir da verfolgt haben. Und, ja: Da muss man davon ausgehen, dass das trotzdem erfolgreich wird. Auch wenn man, sozusagen, das erst mal nur für sich macht."

    Auch die Entscheidung, ihr Programm um eine Reihe mit bislang unentdeckten osteuropäischen Autoren zu ergänzen, entspringt eher persönlichen Vorlieben als Markt-Kalkül.

    Wolter: "Wir dachten halt auch, dass dort, wo diese wahnsinnigen gesellschaftlichen Umbrüche stattgefunden haben, auch viele Geschichten zu finden sind. Und erzählt werden. Und das wollten wir halt auch selber entdecken."

    Betriebsausflüge wie die gemeinsame Tour mit ihrem kroatischen Autor Edo Popovic durchs Velebit-Gebirge sind im Voland & Quist-Alltag allerdings eher selten. Die Büros der beiden Verleger liegen gut 100 Kilometer auseinander: Während Wolter beim Lektorieren auf Leipziger Industrieruinen blickt, kümmert sich sein Verlagspartner von Dresden aus um Marketing und Vertrieb. Das funktioniert – nicht nur dank Skype, Telefonflatrate und E-Mail – tadellos. Profilierungsneurosen? Fehlanzeige! Freundschaften, die einen gemeinsamen WG-Putzplan überlebt haben, müssen wohl stabil sein. Ohne Disziplin und das nötige Grundvertrauen in sich und ihr Tun hätten die Verleger manchen Durchhänger allerdings nicht überstanden.

    Wolter: "Wenn man halt Nebenjobs hat, und einen Verlag, der trotzdem eigentlich die volle Zeit beansprucht, dann ist das auch sehr anstrengend einfach. Ich glaube, das hat sich auch ein bisschen entspannt jetzt mittlerweile. Und wir hoffen ja, dass wir auch vielleicht Anfang nächsten Jahres irgendwie mal in der Lage sind, nur noch das zu machen. Aber da gab es auch sicherlich einige Phasen, wo ich halt immer bis spät in die Nacht lektoriert habe - und dann am nächsten Tag wieder bei meinem Nebenjob antanzen musste. Das will ich auch nicht noch mal zurückhaben."

    Wäre ein leidlich dotierter Job nach dem Studium nicht die nervenschonendere Variante gewesen? Wolter überlegt nur kurz.

    Wolter: "Wenn es darum geht, eine wirklich anspruchsvolle, einen ausfüllende und interessante Tätigkeit auszuüben, dann kann man davon ausgehen, dass man die ganze Tretmühle eines mittelständischen Unternehmens oder großen Unternehmens mitmachen muss nach dem Studium. Und irgendwann, nach vielleicht fünf, zehn Jahren irgendwie mal dahin gelangt ist, wo man einen gewissen Einfluss hat. Und für uns war das halt auch durch unsere Praktika sichtbar. Wir wollten auch inhaltlich so arbeiten, dass wir dahinter stehen können. Was bei, na ja – vielen Verlagen vielleicht nicht so gewesen wäre. Es ist also einerseits eine Frage der Selbstverwirklichung. Und andererseits sicherlich auch ein realistischer Blick darauf, was eigentlich nach dem Studium einen dann erwartet. Und wir hatten uns halt dafür entschieden, das zu probieren. Da gehört auch ein Schuss Naivität dazu. Zum Glück, glaube ich. Und wir waren auch überzeugt von der Idee."

    Fast scheint es, als hätten die beiden bislang alles richtig gemacht. Den Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung, hierzulande so etwas wie der Ritterschlag für einen kleinen, unabhängigen Verlag, nahmen sie zur Leipziger Buchmesse schon ganz lässig entgegen. Sie sind beide in jenem Alter, in dem Klaus Wagenbach, der in Leipzig den Hauptpreis für sein Lebenswerk bekam, einst begann. Leif Greinus und Sebastian Wolter müssen sich, nach den erfolgreichen ersten fünf Jahren, auf der Langstrecke noch beweisen. Sie wirken nicht so, als ob diese Aussicht ihnen schlaflose Nächte bereiten würde.