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Gefährliche Bräune

Seit Jahren gibt es die Diskussion um so genannte Umwelthormone, Chemikalien, die in der Natur nichts zu suchen haben, dort aber auftauchen und im Ruf stehen, die Fortpflanzungsfähigkeit von Tieren zu gefährden: über giftige Schiffsanstriche, über Weichmacher in Plastik und bestimmte Pestizide wurde in diesem Zusammenhang berichtet. Jetzt verstärkt sich der Verdacht, dass auch Mittel, die wir Menschen uns direkt auf die Haut schmieren, solche Stoffe enthalten, mit bisher nicht bekannten hormonellen Nebenwirkungen.

Volker Mrasek | 17.12.2003
    Die Chemikalien, um die es geht, sind die eigentlichen Wirkstoffe von Sonnenschutzmitteln. Sie blockieren die für uns schädliche ultraviolette Strahlung der Sonne und heißen deshalb UV-Filter. Die Kosmetikindustrie mengt sie ihren Cremes außerdem zum Produktschutz bei, das heißt: Die UV-Filter bewahren zugleich andere Inhaltsstoffe davor, durch Sonnenlicht zerstört zu werden.

    Doch die an für sich nützlichen Substanzen haben einen großen Makel: In Laborstudien mit Zellkulturen und Tieren erwiesen sich mehrere der UV-Filter als endokrin wirksam, wie es heißt. Die Stoffe sind also imstande, das Hormonsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit zu beeinträchtigen - unter Umständen auch beim Menschen, wie nun befürchtet werden muss.

    Der Biologe und Ökotoxikologe Jörg Oehlmann, Professor an der Universität Frankfurt am Main:

    UV-Schutzmittel gehören mit zu den so genannten Körperpflegesubstanzen, das heißt sie werden direkt auf die menschliche Haut aufgebracht.Beim bestimmungsgemäßen Gebrauch gelangen sie natürlich zwangsläufig auch in die Umwelt. Beispielsweise, wenn man sich am Strand eincremt und dann anschließend baden geht. Oder wenn man nach Hause geht, das ganze Zeug abwäscht. Und das geht dann über das Abwasser schließlich in die Flüsse rein.

    Die UV-Filter wurden schon in Fischen nachgewiesen. Aber auch in der Muttermilch:

    Sie gehen ursprünglich auf natürliche Substanzen zurück, sind aber chemisch so verändert worden, dass sie nicht ohne weiteres abgebaut werden können. Im Gegenteil: Sie sind sogar sehr persistent, wie wir das nennen, das heißt: Sie verbleiben relativ lange in der Umwelt.

    Verbraucher können sich in den Filtersubstanzen leicht täuschen. Manche von ihnen stammen zum Beispiel von Kampfer ab. Das könnte gerade den Eindruck erwecken, es handele sich um einen unbedenklichen Stoff. Kampfer kommt in der Natur vor; es steckt in ätherischen Ölen und wird sogar in der Medizin angewendet.

    Tatsächlich aber zeigten UV-Filter auf Kampfer-Basis die stärkste hormonelle Wirkung in Studien an der Universität Zürich. Diese Ergebnisse wurden mittlerweile von dänischen Hochschulforschern bestätigt, und auch von einem Industrielabor.

    Nach den Beobachtungen von Medizinern haben die Fälle von Hodenkrebs bei Männern und von Brustkrebs bei Frauen zugenommen. Auch dabei könnten Industriechemikalien eine Rolle spielen. Jedenfalls gibt es Vermutungen in diese Richtung. Im Fall der Sonnenschutzmittel sieht Umwelthormon-Experte Oehlmann deshalb ein großes Dilemma:

    Eine Substanz, die wir uns auf die Haut ausbringen, um damit den Hautkrebs zu verhindern, kann eine östrogenartige Wirkung haben. Und somit möglicherweise - das ist zumindest das, was in der wissenschaftlichen Gemeinschaft diskutiert wird - bei bestimmten Krebserkrankungen eine fördernde Wirkung haben.

    Gleichwohl gibt es in Deutschland bisher keine öffentliche Debatte über die UV-Filter. Und die Kosmetikhersteller dürfen sie weiter wie gewohnt einsetzen. Die EU-Kommission sieht darin kein Risiko. Ihr Fachausschuss für Kosmetika befasste sich zwar mit den Laborstudien aus Zürich, warf den Forschern aber methodische Mängel bei ihren Arbeiten vor. Auch, dass die Schweizer Befunde inzwischen von anderen bestätigt wurden, hat an diesem Zustand nichts geändert.

    Nach älteren Daten werden in Deutschland jedes Jahr ein-tausend Tonnen der UV-Filter produziert. Inzwischen dürften die Herstellungsmengen noch größer sein, vermutet Andreas Gies vom Umweltbundesamt. Denn die Industrie setze die Chemikalien immer stärker auch in anderen Bereichen ein:

    Nicht nur in Sonnenschutz-Creme, sondern auch in Waschmitteln, in Kosmetika, in Textilbehandlungsmitteln.

    Die staatliche Umweltbehörde sieht in den chemischen Lichtschluckern ...

    ... eine Stoffgruppe, die uns immer mehr Probleme macht.

    Tätig werden könne das Umweltbundesamt aber nicht, sagt Stoffbewertungs-Experte Gies. Denn in der Frage, wie gefährlich Umwelthormone sind, sei die Wissenschaft halt noch immer uneins. Gies selbst plädiert für Vorsorgemaßnahmen:

    Auch wenn wir noch keine sicheren Ursache-Wirkungsbeziehungen ableiten können, spricht doch viel Plausibilität dafür, dass es sinnvoll ist, die Konzentration dieser Stoffe im menschlichen Körper deutlich zu verringern.