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Gefährliche Hähnchen

Auf dem diesjährigen Weltsozialforum in der nordbrasilianischen Stadt Belém wird unter anderem darüber diskutiert, wie sich die Agrarmärkte der Entwicklungsländer gegen Billigimporte schützen können. Ein Beispiel: Seit mehreren Jahren wird Geflügelfleisch zu Dumpingpreisen in afrikanische Länder verkauft. Die dortigen Geflügelzüchter verlieren ihre Existenzgrundlage.

Von Martin Koch |
    100.000 Tonnen Hähnchenbrust importiert Deutschland pro Jahr aus Brasilien. Dafür müssen 30 Millionen Tiere geschlachtet werden. Die bestehen aber auch aus Hälsen, Beinen und Flügeln. Diese nicht so populären Teile werden dann für 70 Cent pro Kilo tiefgefroren nach Afrika exportiert. So billig können die einheimischen Züchter in Ländern wie Kamerun, Senegal oder Nigeria nicht produzieren. Sie werden ihre eigenen Hühner nicht mehr los und verlieren damit ihre Existenzgrundlage. Die Regierungen sind dagegen weitestgehend machtlos, sagt Francisco Marí vom Evangelischen Entwicklungsdienst :

    "Alle Länder sind Mitglied der WTO, sie haben bei der Gründung Zölle und Tarife erhoben, damals sehr niedrige Tarife für Fleisch, und diese Zölle dürfen in der Regel nicht angehoben werden, nur unter bestimmten Voraussetzungen: nämlich sicher unter der Voraussetzung Dumping."

    Wie es zum Beispiel bei den importierten Hähnchenteilen der Fall ist, die für weniger Geld verkauft werden, als die Herstellungskosten betragen. Zahlreiche Entwicklungshilfeorganisationen wie der EED fordern deshalb, dass die Regierungen der betroffenen Länder ihre Märkte durch höhere Zölle schützen oder sogar ganz gegen Billigimporte abriegeln dürfen.

    Senegal und Kamerun haben das vor knapp drei Jahren gegen die Welthandelsregeln durchgesetzt und daraufhin konnte sich die Geflügelproduktion der Länder wieder erholen. Doch höhere Preise für die Produzenten bedeuten auch höhere Preise für die Käufer, gibt Michael Brüntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik zu bedenken:

    "Das ist, sagen wir mal, das zweischneidige Schwert, was überall bei der Handelspolitik allgemein gilt: Was gut ist für den Verbraucher ist - nämlich niedrige Preise - das ist schlecht für den Produzenten, der natürlich hohe Preise will, so dass eine Regierung immer in dem Dilemma ist, welche Interessen will sie fördern, welchen steht sie näher. Es wird immer einen Kompromiss geben müssen, denn es gibt keinen Königsweg zur Optimierung der Ernährungssicherung."

    Für den Wissenschaftler ist der entscheidende Punkt, dass die Entwicklungsländer den Agrarsektor und damit auch die ländliche Bevölkerung wieder als Wirtschaftsfaktor entdecken und entsprechend fördern.

    "Man kann die Technologien verbessern, man kann Transportmöglichkeiten schaffen, die Beratung muss wieder aufgebaut werden, Agrarkredite kann man verbessern. Das sind Sachen, wo afrikanische Länder sehr viel tun können, um ihre eigene Agrarproduktion aufrecht zu erhalten. Allerdings, das muss man auch sehen, immer mehr wahrscheinlich unter Konkurrenzsituation von außen."

    Grundsätzlich könnten auch die kleinen Geflügelzüchter von solchen Maßnahmen profitieren und unter besseren Bedingungen bessere Ware produzieren. Die sollten sie dann aber möglichst wieder verstärkt auf regionalen Märkten vertreiben, die keinen so großen Schwankungen unterworfen sind, empfiehlt Francisco Marí vom Evangelischen Entwicklungsdienst. Er sieht aber auch die Industrieländer in der Pflicht:

    "Wenn man von vornherein weiß, dass man Fleisch in Länder exportiert, das die Verbraucherinnen nur verdorben kaufen können, weil es vom Hafen zu den Märkten keine Kühlketten gibt, da müssten tatsächlich unsere Veterinärämter bei den Exportlizenzen sagen, in solche Länder darf nicht exportiert werden. Solche Systeme haben wir auch bei anderen Dingen wie Tiermehl und Waffen, dass wir sagen, wir exportieren nicht dorthin, wo wir Schaden anrichten."

    Schaden kann jedoch auch in den produzierenden Ländern entstehen. Bestes Beispiel ist Brasilien: Viele Kleinbauern haben sich dort ganz auf ein Produkt konzentriert. Bricht der Preis dafür auf dem Weltmarkt ein oder die Exportmöglichkeiten verschlechtern sich, stehen sie schnell vor dem Nichts, warnt Francisco Marí:

    "Diese enorme Abhängigkeit führt auch dazu, dass ihre Nahrungssicherheit gefährdet ist, denn sie haben keine Zeit, Nahrungsmittel anzubauen, weil auch die ganzen Familien eingebunden sind, und können dann, wenn der Marktpreis für Fleisch zum Beispiel sinkt, noch nicht mal mehr Lebensmittel kaufen."

    Deshalb setzt sich der EED in Brasilien gemeinsam mit seinen lokalen Partnern dafür ein, dass Kleinbauern sich zu Genossenschaften zusammenschließen, die eigene kleine Schlachthöfe betreiben. So wären sie unabhängig vom Export und könnten auf den regionalen Märkten genügend Geld verdienen, um für sich und ihre Familien den Lebensunterhalt zu bestreiten.

    Mehr Informationen über das Thema und über das Weltsozialforum finden Sie auf den Internetseiten des Evangelischen Entwicklungsdienstes unter www.eed.de
    sowie auf den Seiten des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik www.die-gdi.de