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Gefährliches Virus
Pferdepocken im Labor zum Leben erweckt

Das Pockenvirus galt als ausgerottet. Jetzt ist es einem kanadischen Forscher-Team gelungen, das Pferdepockenvirus im Labor neu herzustellen. Eine Nutzung als Biowaffe sei nicht ausgeschlossen, sagte Andreas Nitsche vom Robert-Koch-Institut im Dlf. Es gebe aber Impf- und Therapiemöglichkeiten.

Andreas Nitsche im Gespräch mit Uli Blumenthal | 10.07.2017
    Eine Hand mit blauem Plastik-Handschuh hält eine Pipette und tröpfelt Flüssigkeit in eine Schale
    Virus-Herstellung im Labor: Das Pockenvirus kann künstlich wiederhergestellt werden. Das galt bisher nur in der Theorie als möglich (Symbolfoto). (dpa/ Stringer)
    Uli Blumenthal: Ein Team um den kanadischen Mikrobiologen David Evans von der Universität von Alberta hat das Pferdepockenvirus wieder zum Leben erweckt. Dafür bauten die kanadische Forscher das Erbgut des Virus aus künstlich hergestellten Bausteinen im Labor zusammen. Die Erbgutschnipsel, die dazu benötigt wurden, bekamen sie per Post von einem Regensburger Unternehmen. Die schleusten die Forscher dann in Zellen, die mit einem anderen ungefährlichen Pockenvirus infiziert waren.
    Bislang galt das theoretisch als möglich, Pockenviren künstlich herzustellen. Jetzt ist es tatsächlich gelungen. Und was bedeutet das? Ist damit die Katze aus dem Sack? Das habe ich Andreas Nitsche vom Zentrum für biologische Gefahren und spezielle Patogene am Robert-Koch-Institut in Berlin gefragt.
    Andreas Nitsche: Die Technologien, die Herr Professor Evans jetzt auch angewendet hat, sowohl was die Synthese von DNA betrifft als auch das Einschleusen in Zellen zum Reproduzieren neuer Viruspartikel, diese Technologien existieren schon seit vielen Jahren, sind aber noch nicht auf diese Fragestellung "Wiederbelebung von Pockenviren" angewendet worden. Für die Wissenschaft bedeutet das jetzt, dass bisher theoretisch mögliche Versuche in der Praxis durchgeführt worden sind und insofern bestätigen, dass das, was man theoretisch für machbar gehalten hat, funktioniert - im speziellen Fall der Pocken.
    Es ist natürlich so, dass der Erreger, die Variolaviren, als ausgerottet gelten und die Diskussion über die endgültige Vernichtung der Pockenviren dadurch neue Facetten bekommt, weil nach bisheriger Meinung die Vernichtung eben zur endgültigen Ausrottung dieser Viren geführt hätte. Jetzt weiß man, dass auch die Vernichtung der vorhandenen Virusdocks in den beiden WHO Collaborating Center nicht zwangsläufig dazu führt, dass diese Viren nie wieder auftauchen.
    Alle anderen Virenformen sind herstellbar
    Blumenthal: Das heißt, man könnte nicht nur Pferdepockenviren künstlich herstellen, sondern alle anderen Virenformen auch, auch die für den Menschen so gefährlichen.
    Nitsche: Ja, das ist korrekt.
    Blumenthal: Und was würde das an technischem Know-how bedeuten, also wie groß ist der Einsatz, den man in einem Labor tätigen müsste, um solche Pockenviren dann herzustellen? Sechs Monate hat Evans jetzt gebraucht, weniger als 100.000 Euro Einsatz an Material - ist das sozusagen der Preis, der die Wiederkehr der Pocken herbeiführen könnte?
    Nitsche: Herr Professor Evans ist natürlich ein ausgewiesener Pockenvirologe, ein Molekularbiologe, der sicherlich ein überdurchschnittliches Wissen im Bereich der Virologie besitzt. Grundsätzlich ist es aber so beschrieben, dass ein Master in einer Biologiewissenschaft das nötige Wissen mitbringt, um diese Versuche durchzuführen.
    Die positive Seite der Viren
    Blumenthal: Was heißt das jetzt für die Wissenschaft, wie muss man mit einer solchen Sache umgehen? Das ist ja im November 2016 bei einer Konferenz von der WHO vorgestellt worden, das heißt also, jeder, der dieses Know-how, was relativ gering ist, wie Sie es beschrieben haben, hat, kann diese Viren herstellen.
    Nitsche: Ich denke, man muss da zwei Dinge unterscheiden: Was der Professor Evans gemacht hat, ist die Herstellung, Wiederherstellung eines Virus, was in der Natur so nicht mehr vorkommt - das ist die Parallele zu Variolaviren -, was aber Pferde infiziert hat und möglicherweise ein hochpotenter Impfstoffkandidat ist. Das Virus, was Edward Jenner vermutlich verwendet hat, müssen nicht zwangsläufig die in den Textbüchern beschriebenen Kuhpocken gewesen sein, es gibt auch deutliche Hinweise, dass es vielleicht Pferdepocken waren.
    Wir wissen, dass die Impfstoffe, mit denen die Pockeneradikation im letzten Jahrhundert ja sehr erfolgreich abgelaufen ist, sicherlich auch ihre Basis in den Pferdepockenviren haben, und so haben diese Viren natürlich einen großen Nutzen. Es gibt verschiedene Anwendungen dieser Viren auch für die Virustherapie, und so kann man auch durchaus die positive Seite konkret dieser Viren sehen. Worauf Sie sicherlich hinaus wollen mit Ihrer Frage, ist, was es für die Variolaviren bedeutet.
    Da sagte ich ja schon, die Herstellung der Viren nach einem vergleichbaren Protokoll ist durchaus möglich, man weiß aber, dass anhand von Regulatorien, die durch die WHO vorgegeben sind, der Besitz, die Synthese und die Herstellung von Variola-identischer DNA grundsätzlich verboten ist. Selbst die beiden Referenzzentren in den USA und in Russland dürfen Versuche mit, ich sag jetzt mal lebenden, also vermehrungsfähigen Variolaviren nur auf Genehmigung der WHO durchführen.
    Als Biowaffe nutzen - "Nicht ausgeschlossen"
    Blumenthal: Warum soll nicht jemand auf die Idee kommen, diese Biowaffe wieder zum Leben zu erwecken?
    Nitsche: Diese Idee ist sicherlich nicht ausgeschlossen. In den kommenden Jahren wird es Entwicklungen geben, die die Synthese der DNA auch grundsätzlich noch vereinfachen und billiger gestalten. Es gibt ja in der synthetischen Biologie diese Regel, die sagt, in einem Jahr verdoppeln sich die Synthesekapazitäten bei halbierten Preisen. Firmen, die im Moment Synthesen anbieten, wie zum Beispiel auch die deutsche Firma, die Sie in Ihrer Anmoderation genannt haben, führen selbstauferlegte Screening-Verfahren durch, nach denen bestimmte Sequenzen von hochpathogenen Erregern zum Beispiel nicht synthetisiert werden.
    Blumenthal: Aber angenommen, jemand stellt Pockenviren her und setzt sie frei, wie sieht es mit einem Impfstoff aus, würde es den geben, gibt es den oder kann der kurzfristig in großen Mengen hergestellt werden?
    Nitsche: Also in Deutschland gibt es eine Bevorratung von ausreichend Impfstoff für die deutsche Bevölkerung. Das ist der Impfstoff, der auch zur Eradikation in Deutschland und Teilen Europas verwendet worden ist. Als weitere gute Nachricht gibt es mittlerweile antivirale Substanzen, die in den USA entwickelt worden sind und kurz vor der Zulassung stehen.
    Zu nennen wäre da die Substanz Tpox – sehr modern so benannt –, die ein spezifisches antivirales Mittel gegen die Vermehrung von Pockenviren im Körper ist, aber auch andere Substanzen, die man schon aus der Therapie zum Beispiel Herpes-viraler Erkrankungen kennt, wie das Brincidofovir, sind da relativ vielsprechend. Das heißt, man kann nicht nur prophylaktisch impfen, sondern könnte in einem Ausbruchsfall auch therapieren.
    "Gehe davon aus, dass es Publikation geben wird"
    Blumenthal: David Evans hat über seine Entwicklung dieses Pferdepockenvirus noch keine Publikation gemacht - ist das ein Weg, um zu verhindern, dass die Öffentlichkeit über das Wie und das genaue Verfahren informiert wird, also kann man so etwas wissenschaftlich unter der Decke halten?
    Nitsche: Ich gehe ganz fest davon aus, dass es dazu eine Publikation geben wird.
    Blumenthal: Und damit ist es dann sozusagen für jeden im Internet abrufbar und dann mit wenig Geld und mit ausreichend Zeit wiederholbar.
    Nitsche: Ja, es ist dann im Prinzip ein Protokoll vorgeschrieben, was aber nichts anderes tut, als die Einzelbausteine zusammenzusetzen. Ich sag mal, die Wiederbelebung von Orthopockenviren aus einem Genom ist bereits 2003 publiziert worden für Vakziniaviren. Der Mechanismus, der dahintersteckt, ist in der Pockenvirologie in vielen Laboren etabliert.
    Was jetzt eben neu dazugekommen ist, ist die Synthese dieser Fragmente, wobei auch da die Synthesekapazitäten jetzt nicht besonders sind. Zum Beispiel ist im letzten Jahr von amerikanischen Kollegen die Synthese eines Mykobakteriengenoms, was fünfmal größer war in diesem Fall als das Pferdepockengenom, publiziert worden, maßgeschneidert worden auf ein Minimalgenom. Also dass diese technische Möglichkeiten existieren, ist lange bekannt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.