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Gefährliches Vitamin E

Es herrscht Uneinigkeit darüber, wie sinnvoll es ist, Lebensmittel mit zusätzlichen Vitaminen anzureichern. Immerhin sagen einige Ernährungswissenschaftler, im Falle von Vitamin D sei eine zusätzliche Einnahme im Winter in Ordnung. Bei Vitamin E hingegen könnte das sogar gefährlich werden.

Von Volker Mrasek | 05.03.2012
    Vitamin E ist vor allem in Pflanzenkeimen und -ölen enthalten, in Nüssen und in Vollkornbrot. Es gilt als potentes Antioxidans, was bedeutet, dass es schädliche, sehr reaktionsfreudige Sauerstoffverbindungen in unseren Zellen ausschaltet. Viele Menschen nehmen deshalb zusätzlich Vitamin E in Tablettenform ein. Doch die Supplemente sind vielleicht nicht nur überflüssig – womöglich schaden sie sogar.

    Eine neue Studie japanischer Wissenschaftler deutet jedenfalls in diese Richtung. Die Arbeit erscheint jetzt in der britischen Fachzeitschrift "Nature Medicine". Im Tierversuch führte Vitamin E demnach zu Knochenschwund. Der Mediziner Shu Takeda vom Keio-Universitätsklinikum in Tokio:

    "Wir haben untersucht, welche Rolle Vitamin E im Knochen-Stoffwechsel spielt. Und herausgefunden, dass es die Knochenmasse reduziert. Und zwar stimuliert Vitamin E die Bildung sogenannter Osteoklasten. Das sind Zellen, die den Knochen abbauen. Es ist das erste Mal, dass diese molekulare Wirkung von Vitamin E demonstriert wurde."

    Die japanischen Forscher arbeiteten dabei mit Mäusen und mit Ratten, also mit zwei verschiedenen Tiermodellen. Eine Gruppe der Nager erhielt jeweils normales Futter, eine zweite Laborkost, die mit Vitamin E angereichert war. Die Studie lief acht Wochen lang.

    "Das Ergebnis war grundsätzlich das gleiche bei Mäusen und Ratten, die zusätzlich Vitamin E erhielten: Beide verloren zwischen 20 und 30 Prozent Knochenmasse."

    Die Empfehlungen für die tägliche Zufuhr von Vitamin E beim Menschen liegen im Bereich von wenigen Milligramm. Aber auch die Einnahme viel größerer Mengen galt bisher als risikolos. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit etwa gibt 300 Milligramm pro Tag als Unbedenklichkeitsschwelle an. In Japan liegt sie sogar bei 1000 Milligramm, wie Shu Takeda sagt.

    Seine Arbeitsgruppe habe die Versuchstiere mit Vitamin-E-Mengen im Bereich dieser vermeintlichen Unbedenklichkeitsschwelle gefüttert. Das Fazit des Mediziners:

    "Die Einnahme von Vitamin E in Mengen, die noch als unbedenklich gelten, könnte auch beim Menschen zum Abbau von Knochenmasse führen. Ich denke, wir sollten deshalb noch einmal darüber nachdenken, welches wirklich die optimale Dosis für die Aufnahme von Vitamin E ist."

    Ein Lob für seine neue Studie erhält Takeda von einem US-Kollegen, der ebenfalls über Vitamin E forscht: Eric Klein, Professor für Chirurgie an der Universitätsklinik von Cleveland in Ohio:

    "Ohne Frage müssen wir die Wirkungen von Vitamin E noch besser verstehen. Diese neue Studie ist insofern faszinierend. Sie zeigt uns eine bisher unbekannte biologische Funktion des Vitamins."

    Auch der US-Mediziner hält die Nahrungsergänzung mit Vitamin E für nicht so unbedenklich wie gedacht. Klein war an einer großen Studie beteiligt, die zeigen sollte, ob die zusätzliche Aufnahme von Vitamin E das Risiko für Krebs vermindern kann. Über 35.000 Männer nahmen daran teil; nach über sieben Jahren zogen die Studienautoren Bilanz. Sie war ernüchternd:

    "Wie wir in unserer jüngsten Veröffentlichung schreiben, gibt es wirklich keinen Beleg dafür, dass zusätzliches Vitamin E irgendeine schwerwiegende Krankheit verhindert. Es verhindert keine Herz-Kreislauf-Leiden. Es verhindert keinen Darmkrebs. Es verhindert keinen Lungenkrebs. Es verhindert keinen Prostatakrebs. Tatsächlich erhöht es das Risiko für Prostatakrebs sogar. Also, Vitamin E in hohen Dosen einzunehmen, ist nicht hilfreich. Es könnte sogar schaden."

    Davon müsste man erst recht ausgehen, wenn sich der Knochenschwund, wie er im Tierversuch auftrat, auch in klinischen Tests an Menschen bestätigen würde. Die japanischen Forscher stecken schon in den Vorbereitungen für eine solche Versuchsreihe.