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Gefahr der Willkür und der Fehldeutung

Das geplante Blasphemiegesetz ist nicht nur in Russland heftig umstritten. Kritiker monieren: Der in dem Gesetz beschriebene Straftatbestand, die Verletzung religiöser Überzeugungen und Gefühle, sei schwammig und schwer zu fassen.

Von Gesine Dornblüth | 11.06.2013
    Das Blasphemiegesetz ist auch in der russischen Staatsduma umstritten. In der entscheidenden zweiten Lesung stimmte nur knapp über die Hälfte der Parlamentarier für die Novelle. Viele Abgeordnete der Opposition blieben der Abstimmung fern.

    Gegenüber dem ersten Entwurf wurde das Blasphemiegesetz abgemildert. Statt ursprünglich fünf Jahre müssen Gotteslästerer jetzt drei Jahre ins Gefängnis. Für den Vorsitzenden des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, Michail Fedotow, ist das Gesetz damit ideal. Er verweist zwar auf den schmalen Grat zwischen Meinungsfreiheit und der Verletzung religiöser Gefühle, gibt aber zu verstehen, wo seine Priorität liegt:

    "Unser Protest gegen die Verurteilung von Pussy Riot fußte immer darauf, dass man niemanden nach einem Artikel des Strafgesetzbuches verurteilen darf, der gar nicht existiert. Wenn die Leute nun wissen, dass es so einen Artikel im Strafgesetzbuch gibt, dass das, was sie vorhaben, ein Verbrechen ist, dann unterlassen sie das. Oder wenn sie es doch tun, wissen sie, dass eine Strafe folgt. Das jetzt vorliegende Gesetz ermöglicht es, diejenigen zu bestrafen, die das Recht auf Gewissensfreiheit verletzen. Meiner Ansicht nach ist es ziemlich akkurat geschrieben."

    Die Prioritäten Ljudmila Aleksejewas, der Grand Dame der russischen Menschenrechtsszene, liegen anders. Sie bezeichnet das Blasphemiegesetz als "repressiv", es verstoße gegen die Meinungsfreiheit. Genri Reznik, Präsident der russischen Anwaltskammer, sagte dem russischen Radiosender Echo Moskwy:

    "Die Gesetze, die die Duma derzeit zusammenschustert, beleidigen meine juristischen Gefühle. Zum Beispiel das Gesetz zur Verletzung religiöser Gefühle – so einen Artikel gab es lange Zeit im Verwaltungsrecht, darauf standen Ordnungsstrafen. Und wissen Sie was? Er wurde nicht einmal angewendet. Das ist ein toter Artikel. Dass er jetzt in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird, geschieht aus rein politischen Interessen."

    Kernpunkt der Kritik ist: Der in dem Blasphemiegesetz beschriebene Straftatbestand, die Verletzung religiöser Überzeugungen und Gefühle, sei schwammig und schwer zu fassen. Der Jurist Reznik:

    "Die Frage ist doch, wie man das bewertet. Ein Gesetz straft nicht für Gefühle, nicht für Gedanken, nicht für Absichten, es straft für Taten. Aber welche Handlungen werden unter diesen Artikel fallen? Sicher wird die Praxis das zeigen. Aber jedes Gesetz mit einem Überschuss an Deutungsmöglichkeit enthält ein erhöhtes Risiko von Willkür bei der Anwendung."

    Befürworter des Gesetzes verweisen auf die Rechtslage in anderen Ländern. In Deutschland zum Beispiel gibt es den Paragrafen 166 im Strafgesetzbuch. Darin heißt es unter anderem, "wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft". Allerdings wird der Paragraf in Deutschland äußerst selten angewandt. Und das könnte in Russland anders sein, warnt der Religionswissenschaftler Aleksej Murawjow:

    "Bei uns ist die Justiz nicht auf das Gesetz konzentriert, sondern auf die Verurteilung der Angeklagten. Die Richter schauen, welches Ziel es zu erreichen gilt. Diese Ziele können durchaus politischer Natur sein. Das Recht ist dabei nur ein Mittel, mit dem man manipulieren kann. Das ist oft so. Nicht immer, aber es ist ein großes Problem."

    Und wie der politische Wille aussehen könnte, ist klar. In Russland hat die orthodoxe Kirche unter Patriarch Kyrill zurzeit sehr großen Einfluss auf die Politik. Beobachter meinen, dass schon die harte Verurteilung der Frauen von Pussy Riot auf den Einfluss der orthodoxen Kirche zurückging. In der Gesellschaft wächst die Intoleranz. Übergriffe strenggläubiger Orthodoxer auf liberale Künstler und auf Homosexuelle häufen sich. Kritiker befürchten, dass das Blasphemiegesetz den religiösen Fanatikern den Rücken stärken wird. Und dass es den Spalt in der Gesellschaft, zwischen Anhängern der Kirche und ihren Kritikern, aber auch zwischen den einzelnen Religionen, verschärfen wird.

    Allerdings findet das neue Gesetz auch bei den anderen Konfessionen Zustimmung. Damir Muchetdinow ist stellvertretender Vorsitzender der geistlichen Verwaltung der Muslime im europäischen Teil Russlands. Er glaubt, dass das neue Gesetz im Zweifelsfall auch die Rechte der Muslime schützen wird, zum Beispiel wenn Politiker, wie vor einiger Zeit geschehen, gegen den Bau von Moscheen in Russland wettern.

    "Im 21. Jahrhundert ist es nicht mehr möglich zu sagen, dass eine Religion die Hauptreligion ist, und die anderen untergeordnet. Wir haben keine Angst, dass sich die orthodoxe Lobby in Russland festigen wird."

    Dass die Duma dem Gesetz in der dritten und letzten Lesung zustimmen wird, ist sehr wahrscheinlich – ebenso wie die Zustimmung des Föderationsrates und die Unterschrift des Präsidenten.