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Gefahr durch Meningokokken?

Da viele Kinder gegen Meningokokken geimpft werden, ist die durch sie ausgelöste Hirnhautentzündung hierzulande eigentlich auf dem Rückzug. In Berlin sind nun aber ungewöhnlich viele homosexuelle Männer an Meningokokken erkrankt und teilweise auch gestorben.

Von Marieke Degen | 14.10.2013
    Es ist das traurige Ende einer Berliner Partynacht. Zwei Männer, Mitte 20, ziehen mit Freunden durch den Friedrichshain, sie feiern in einem Schwulen-Club und verbringen die Nacht miteinander. 24 Stunden später leiden beide an Übelkeit und Erbrechen. Der eine liegt bis heute im Koma. Der andere hat es nicht mal ins Krankenhaus geschafft.

    "Von diesem Mann wissen wir nur, dass er sich unwohl fühlte, wohl auch Übelkeit und Erbrechen hatte. Er ist aber nicht zum Arzt gegangen und wurde dann eben zu Hause tot aufgefunden am nächsten Tag."

    Wiebke Hellenbrand ist Ärztin am Robert-Koch-Institut, sie beschäftigt sich mit Meningokokken-Infektionen. Seit dem vergangenen Oktober haben sich in Berlin fünf homosexuelle Männer mit Meningokokken der Serogruppe C infiziert – Bakterien, die eine schwere Gehirnhautentzündung oder gar eine Blutvergiftung auslösen können. Drei Männer sind gestorben, einer liegt im Koma. Die Gesundheitsbehörden sind alarmiert:

    "Also fünf Fälle bei dieser Bevölkerungsgruppe der Männer, die Sex mit Männern haben - und vor allem diese Fälle waren alle in der Altersgruppe von 20 bis 29. Das ist natürlich deutlich erhöht im Vergleich zur Bevölkerung. Obwohl die Häufung so klein ist, ist es ein Signal, dass in der Gruppe vermehrt Übertragungen stattfinden."

    Doch warum ausgerechnet Homosexuelle? Wahrscheinlich liegt es an ihrer Kontaktfreudigkeit, sagt Wiebke Hellenbrand. Die meisten Menschen tragen Meningokokken immer mal wieder im Nasen-Rachen-Raum. Sie bleiben gesund, können den Erreger aber über Husten und Niesen weiterverbreiten – und das geht am besten, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen.

    "Männer, die Sex mit Männern haben, die häufig zum Beispiel in Schwulenbars gehen oder auf Partys gehen, die haben einfach engeren Kontakt. Das hat man auch beobachtet bei Jugendlichen, die Fasching feiern. Oder bei Soldaten in Kasernen."

    Studien weisen darauf hin, dass homosexuelle Männer besonders häufig Meningokokken im Nasen-Rachen-Raum tragen – Jugendliche und Soldaten übrigens auch. Und je mehr die Meningokokken verbreitet werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass einige Menschen auch schwer an ihnen erkranken. Warum, ist unklar, aber Raucher sind besonders gefährdet, und Menschen, die gerade eine Virusinfektion hinter sich haben.

    "Möglicherweise können auch sexuelle Übertragungen stattfinden, aber ob das jetzt der vorrangige Übertragungsweg ist bei Männern, die Sex mit Männern haben, muss weiter untersucht werden. Der vorrangige Weg ist es wahrscheinlich nicht, weil es lässt sich einfach erklären über viele enge Kontakte."

    In den letzten Jahren gab es immer wieder Meningokokken-Ausbrüche unter Homosexuellen – zum Beispiel in Toronto, Chicago und New York. Könnte es sein, dass die Meningokokken eine neue Nische gefunden haben, dass sie eine besondere Bedrohung für schwule Männer darstellen?

    "Ich denke, das kann man nicht sagen. Weil diese Erkrankung natürlich auch andere Personen betrifft. Es kommt immer mal wieder zu kleineren Häufungen, zum Beispiel in Ferienlagern, nach Discofeiern - es gab auch schon auf Kreuzfahrtschiffen solche kleinen Häufungen. Und bei Männern die Sex mit Männern haben, ist es auch wiederholt beschrieben worden, aber nicht in einem wahnsinnig großen Ausmaß."

    Dennoch: Die Ärztin rät zur Wachsamkeit.

    "Es ist ganz wichtig, dass klar ist, dass schwule Männer eben ein erhöhtes Risiko haben können. Dass sie ein Bewusstsein für diese Krankheit haben, dass die Ärzte, die sie behandeln, auch dieses Bewusstsein haben. Es ist eben eine sehr schwere Krankheit."

    Die gute Nachricht: Es gibt eine Impfung, die zuverlässig vor Meningokokken schützt. Geimpfte Männer können den Erreger auch nicht mehr weitergeben. In Toronto, Chicago und New York habe man die Ausbrüche damit eingedämmt.

    "Es ist natürlich auch in New York eine organisatorische Leistung, da eine Impfkampagne zu führen. Sehr engagierte Ärzte sind sogar in Schwulen-Einrichtungen gegangen und haben vor Ort geimpft. Und jetzt scheint es so, dass da keine weiteren Fälle auftreten."

    Der Berliner Impfrat empfiehlt homosexuellen Berlinern ebenfalls, sich impfen zu lassen. Die Spritze wird von den Krankenkassen bezahlt, und sie wird gut angenommen. Bislang hat es in Berlin keine neuen Fälle gegeben.