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Gefangene mit Vergangenheit

Nach "Tannöd" und "Kalteis" ist "Bunker" der erste Kriminalroman von Andrea Maria Schenkel, der nicht auf einer wahren Begebenheit beruht. Die Autorin experimentiert in diesem Buch: Die Tatebene tritt hinter dem Spiel mit den Techniken und Kniffen des Krimigenres zurück. Und dann lässt Schenkel auch noch die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen.

Von Tanya Lieske | 28.04.2009
    Am Anfang sind da nur zwei Stimmen. Eine gehört dem Täter, eine dem Opfer. Sie sprechen die gleichen Stakkato-Sätze, und es dauert eine Weile, bis man sie sicher und zuverlässig zuordnen kann.

    Dunkelheit. Ich strauchle, stürze zu Boden. Mein Gesicht schlägt auf den Betonboden, hart, kalt und klamm fühlt er sich an. Meine Handflächen brennen vom Sturz, ich versuche mich abzustützen, hebe meinen Kopf Richtung Tür. Die ist zu. Alles schwarz um mich herum, nur ein schmaler Lichtstreifen unter der Bunkertür.

    Der Bunker ist eigentlich eine alte Mühle, und hier hält ein Mann eine Frau gefangen. Schlüssel will er von ihr haben, doch bald schon geraten die Schlüssel in Vergessenheit, denn dies ist kein klassischer Krimi mit Motiv, Verbrechen und Aufklärung, es gibt auch keine ermittelnde Instanz. In diesem Krimi prallen zwei Bewusstseinsebenen auf höchst beängstigende Art und Weise aufeinander. Die Gefangene ist gefangen, weil sie gefangen ist. Der Täter hält sie gefangen, weil er sie gefangen hält. Ihre jeweiligen Monologe kreisen um sich selbst und um den anderen. Der klaustrophobische Charakter dieses Krimis hat also einen doppelten Ort, das Selbst und den Bunker.

    Seit ihrem Bestseller "Tannöd" füllt Andrea Maria Schenkel ganze Säle, wenn sie aus ihren Krimis liest Am Rande einer solchen Großveranstaltung erklärt sie, wie ihr die Inspiration zu dem Bunker kam:

    "Die Inspiration war ein ganz lustiges Ereignis, obwohl für mich eigentlich weniger lustig. Ich lebe ja in Bayern, Bayern ist katholisch und als katholisches Kind hat man Kommunion. Nach der Kommunion gibt es einen Kommunionausflug, und mein mittlerer Sohn und ich sind nach Nürnberg gefahren. Und da gibt es diesen Park der Sinne und in diesem Park der Sinne gibt es einen Bunker, und in diesem Bunker gibt es eine Wohnung für Blinde. Und man kann da reingehen und es ist absolut finster und Sehende können dort zum ersten mal erleben, wie Blinde sich in einer Wohnung zurecht finden könnten. Und ich bin da mit meinem Sohn rein gegangen, und für mich war es ein scheußliches Erlebnis, ich habe es in dem Bunker genau zwei Minuten ausgehalten. Es war absolut finster. Man verliert tatsächlich jegliche Kontrolle über rechts und links und oben und unten, es war mir wirklich unheimlich, und ich bin dann nach zwei Minuten raus, ich hab es nicht ausgehalten."

    Nach und nach kristallisieren sich aus der Finsternis die Schemen zweier Figuren. Der Mann hat die Haare geschoren, er hat beim Militär gedient, er ist ein hart gesottener Bursche. Seine Präsenz ist unheimlich. Als das Opfer sich verletzt, legt er einen Verband an und er besorgt Drogen, die den Schmerz lindern sollen. Die Frau beginnt unter den Entbehrungen der Gefangenschaft und dem Einfluss der Drogen zu halluzinieren. Immer wieder taucht ihr kleiner Bruder auf, der gestorben ist - sie selbst könnte ihn umgebracht haben und glaubt nun an einen Racheakt des vermeintlich Schuldigen.

    Der Leser selbst gerät in die Rolle des Ermittlers, doch immer dann, wenn sich die Indizien zu einem plausiblen Kriminalfall verdichten, lösen sie sich schon wieder auf.

    Andrea Maria Schenkel experimentiert in diesem Kriminalroman. Die Tatebene tritt hinter dem Spiel mit den Techniken und Kniffen des Krimigenres zurück. Als dann doch noch ein Verbrechen geschieht, kommt es eher beiläufig daher, die Frau wird zur Komplizin, und die Rollen zwischen Opfer und Täter verschwimmen:

    "Ich wollte keine Opferfigur, die durchweg positiv gewilligt gewesen wäre. Das wäre für mich zum Schreiben zu langweilig gewesen. Ich glaube nicht, dass es nur diese reinen und weißen Figuren gibt und auf der anderen Seite diese schlechten und dunklen und bösen und so war es für mich wesentlich reizvoller, der weiblichen Figur eine Wendung mitzugeben, sodass sie nicht nur positiv erscheint."

    Nach "Tannöd" und "Kalteis" ist dies der erste Kriminalroman von Andrea Maria Schenkel, der nicht auf einer wahren Begebenheit beruht. Die Autorin hat sich das Terrain der Fiktion erobert, und es scheint, als wolle sie ausprobieren, was alles geht. Sie nimmt deutliche Anleihen am absurden Drama eines Samuel Beckett, sie erzeugt Schockwellen wie ein David Lynch, sie bewirkt Suspense wie Hitchcock. Ihre Leser hat sie auch noch im Blick, vor allem die Gefahr, dass diese so viel Verwirrung am Tatort nicht mitmachen wollen. Deswegen schneidet sie nüchterne Szenen aus einem Operationssaal dazwischen, die kalte, aber doch irgendwie tröstliche Routine von Ärzten, die ein Opfer versorgen. Das Ende dieses Romans ist keineswegs gut, aber gesichert:

    Das scharfe Skalpell fährt nur leicht über die Haut, dennoch klafft sofort ein sichtbarer Spalt. An drei bis vier Stellen tritt hellrotes Blut hervor, teils in einem dünnen spritzenden Strahl. Mit Kompressen wird es schnell aufgesaugt, mit einem elektrischen Brenner die Blutungsquellen verödet. Kleine Rauchwölkchen steigen auf, Verbrennungsgeruch dringt in die Nasen der Umstehenden. Die Blutungen stehen.

    Andrea Maria Schenkel: Bunker. Roman, Nautilus Verlag. 128 Seiten Broschur, 12,90 Euro