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Geflüchtete am Arbeitsmarkt
Putzkraft statt Fachkraft

Mehr als eine Million Menschen sind seit 2015 zu uns gekommen - und es gibt viele Bemühungen, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der anfänglichen Euphorie über all die vermeintlichen neuen "Facharbeiter" folgte jedoch schnell Ernüchterung. Noch sind viele Hürden zu überwinden.

Von Ronald Menn, Katja Scherer und Sina Fröhndrich | 19.12.2017
    Ein Bodenreiniger und ein Putzeimer stehen am 06.11.2014 im Hauptbahnhof in Dresden (Sachsen).
    Flüchtlinge finden derzeit laut IAB vor allem in den Branchen Reinigung, Gastgewerbe, Pflege, Handel, Transport und Security einen Job (Arno Burgi / dpa-Zentralbild)
    Rund 1,3 Millionen Menschen sind seit Anfang 2015 als Asylsuchende nach Deutschland eingereist. Ein Teil dieser Menschen ist inzwischen auch im Arbeitsmarkt angekommen, sagt Herbert Brücker, Migrationsexperte beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB. Auch er kann allerdings nur schätzen, wie viele Menschen schon in Arbeit sind, weil viele Unternehmen gar nicht erheben, ob ein Mitarbeiter geflüchtet ist oder nicht:
    "Wir können erste Erfolge im Arbeitsmarkt sehen. Wir gehen davon aus, dass rund 20 Prozent der Menschen, die seit Januar 2015 zu uns gekommen sind, inzwischen beschäftigt sind. 13 Prozent davon sozialversicherungspflichtig."
    In großen Unternehmen kaum Geflüchtete
    In drei bis vier Jahren werde rund die Hälfte der Geflüchteten in Arbeit sein, so seine Prognose. Damit verlaufe die Integration insgesamt etwas besser als beispielsweise nach den Jugoslawienkriegen in den 90er-Jahren. Arbeit finden Flüchtlinge derzeit laut IAB vor allem in den Branchen Gastgewerbe, Pflege, Handel, Transport, Reinigung und Security. Engagiert seien insbesondere kleine und einige wenige mittelständische Firmen - ganz im Gegenteil zu Großunternehmen. Für die gelte,
    "dass man schwierig nur reinkommt, und das versperrt den Weg für Flüchtlinge. Deswegen sind die Zahlen in diesen großen Unternehmen bedrückend gering."
    Den vollmundigen Versprechen vieler Konzerne seien kaum Taten gefolgt, sagt Brücker.
    Lange Asylverfahren blockieren - auch psychisch
    Zudem gebe es bei der Integration in den Arbeitsmarkt Probleme, die auf Versäumnisse des Staates zurückzuführen seien:
    "Das größte Problem ist, dass die Asylverfahren anfangs sehr, sehr lange gedauert haben. Das heißt, die Menschen haben sehr, sehr lange einfach rumgehangen und das sehen wir heute in den Daten."
    Inzwischen haben sich die Asylverfahren beschleunigt. Das lange Warten aber habe viele Geflüchtete verändert, sagt Brücker:
    "Wir beobachten eine Zunahme von Depressionen. Da geht dann die Arbeitsmotivation zurück, die Lernbereitschaft sinkt. Also es hat viele sozialpsychologische Folgen."
    Aufenthaltserlaubnis oft für nur ein Jahr
    Die betroffenen Menschen bräuchten unter anderem mehr psychologische Betreuung. Dazu kommt: Noch immer gibt es aber für einen Teil der Flüchtlinge rechtliche Hürden. Das betrifft jene Menschen, die in ihrer Heimat nicht persönlich verfolgt wurden, sondern nur allgemein vor Krieg oder Folter geflohen sind. Solche Flüchtlinge bekommen eine Aufenthaltserlaubnis für nur ein Jahr, den sogenannten subsidiären Schutz - zu kurz für viele Unternehmen:
    "Jede Einstellung ist eine Investition und wenn man keine längerfristige Perspektive hat, werden Unternehmen nicht investieren."
    Problem Sprache
    Nachholbedarf gebe es auch bei den Sprachkenntnissen, sagt Brücker. Nur rund ein Drittel der Geflüchteten spreche inzwischen gut Deutsch, ein Drittel nach wie vor schlecht und ein Drittel liege irgendwo dazwischen. Der Grund: Der Staat habe mit den Integrationskursen zu spät angefangen und auch die Qualität der Kurse müsse noch besser werden:
    "Dass also Menschen mit gleichem Leistungsniveau zusammenlernen, da muss man die Kurse entsprechend differenzieren. Sinnvoll ist es auch, diese Kurse zu kombinieren mit vorbereitenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, diese Kurse berufsbegleitend anzubieten."
    Höher Qualifizierte vernachlässigt
    Eine Gruppe unter den Geflüchteten werde bisher generell vernachlässigt: die gut Gebildeten. Laut IAB haben knapp 20 Prozent der Geflüchteten in ihrer Heimat ein Studium abgeschlossen oder immerhin angefangen:
    "Gerade in dem Bereich der höher Qualifizierten tun wir viel zu wenig, weil das ein großes Potenzial ist. Wir richten quasi alle Programme auf mittlere Qualifikation aus, damit die Leute Facharbeiter werden, und das holt bestimmte Gruppen, die aber auch zahlenmäßig sehr, sehr wichtig sind, überhaupt nicht ab."
    Fördern und Fordern
    Brückers Fazit: Nachdem anfangs viel versäumt wurde, sei die Integration nun insgesamt auf einem ordentlichen Weg:
    "Ich würde sagen, das Glas ist ungefähr halb voll. Wir brauchen im Bereich der Sprache bessere Angebote; wir müssen das Bildungspotenzial besser heben. Natürlich müssen auch Flüchtlinge selber ihre Erwartungen an die Realitäten in Deutschland anpassen und gezielt ihre eigenen Strategien entwickeln."
    Fördern und Fordern - diese Binsenweisheit der Arbeitsmarktpolitik gilt auch im Umgang mit Geflüchteten.