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Geflüchtete Frauen und Mädchen
Coaching für bessere Bildungschancen

Geflohene oder eingewanderte junge Menschen haben oft Schwierigkeiten, sich im deutschen Bildungssystem zurechtzufinden. Besonders Mädchen und junge Frauen haben zudem Schwierigkeiten, eigene Talente und Stärken zu erkennen. Ein Mentoring-Projekt an der Universität Koblenz-Landau will das ändern.

Von Anke Petermann | 03.09.2019
Die 13-jährige Razan Tamim aus Homsk in Syrien Deutschunterricht für Flüchtlingskinder in der Fritz-Reuter-Schule in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern).
20 Mädchen und junge Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund werden in einem Mentoring-Projekt auf ihrem Bildungsweg unterstützt (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
Den Koblenzer Campus der Uni haben die 20 Frauen und Mädchen gleich in der Willkommenswoche zum Projektanfang kennengelernt, samt Führung durch die Uni-Bibliothek. Auch die Industrie- und Handelskammer steht auf dem Programm. Sie informiert darüber, welche Ausbildungsmöglichkeiten es gibt. Einen weiteren Tag lang tüfteln die Teilnehmerinnen am sogenannten "Profilbogen", der sie bis Jahresende begleiten soll: Stärken, Neigungen, Kompetenzen und Berufswünsche sollen sie dort vermerken. Es gehe darum, so Projektleiterin Ruth Sandforth damals im April:
"Die eigene Bildungsbiografie in die Hand zu nehmen."
Die Projektmitarbeiterinnen konfrontieren die Mädchen mit schwierigen Vokabeln und Fragen: Sind Sie ergebnisorientiert, unvoreingenommen? Worin äußert sich Ihr Charakter? Setarah, 16, ist vor vier Jahren mit ihren Eltern aus Afghanistan gekommen und sieht sich selbst als:
"Gesprächig." Zum kommunikativen Talent kommt bei Setarah die Liebe zu schnittigen Autos, die Realschülerin kann sich gut vorstellen, Verkäuferin in einem Autohaus zu werden. Ob das wirklich das Richtige ist, und wie sie ihr Ziel erreicht, will sie mit Unterstützung des Coaching-Projekts herausfinden.
Rebecca ist mit ihren Eltern von Rumänien zuerst nach Italien, dann nach Deutschland gezogen, der Arbeit hinterher. Schon nach den ersten Einträgen in ihrem Profilbogen fällt die 14-Jährige als Design-Talent auf. Und:
"Ich hab‘ Sachen über mich erfahren, die ich gar nicht wusste. Und zwar, dass ich extrovertiert bin."
Wo die Realschülerin hin will: "Mein Traumberuf wäre Architektin, weil ich sehr gern male und sehr gern Mathe mag. Das wäre ein Beruf, der mich richtig interessiert. Oder Polizistin, weil ich auch sehr sportlich bin, ich bin sehr engagiert, und meine Eltern haben mir das auch empfohlen."
Auf Perspektiven aufmerksam machen
Autoverkäuferin, Polizistin – viele Mädchen im Projekt fassen zunächst eher Ausbildungsberufe als akademische Laufbahnen ins Auge. Im Coaching-Projekt der Uni Koblenz-Landau geht es nicht darum, sie zum Studium zu überreden, betont Leiterin Ruth Sandforth. Aber es wird ins Kalkül gezogen:
"Dass die Herkunftsfamilien die Bildungsmöglichkeiten in Deutschland nicht überschauen können. Wie auch - wenn die Eltern nicht aus diesem Land kommen und hier nicht studiert haben oder hier zur Schule gegangen sind. Dann ist es sicherlich so, dass es auch gesellschaftliche und schulische Ressentiments gibt gegen Schülerinnen, die erst seit kurzem in Deutschland leben, noch nicht perfekt Deutsch sprechen. Aber da wir Schülerinnen ab 14 betreuen, haben wir eine große Zeitspanne, um mit Schülerinnen zu arbeiten. Und natürlich versuchen wir, jede so weit wie möglich zu bringen im Bildungssystem."
Picknick auf dem Campus im August: Setarah will schnell weit kommen. Die Idee, Autoverkäuferin zu werden, hat sie aufgegeben. Die Realschülerin ist auf die Fachoberschule für Wirtschaft gewechselt, parallel macht sie ein Jahrespraktikum in einer Unternehmensberatung.
"Es ist schwer, aber wenn man will, kann man auch." Erzählt die 16-Jährige ihrer Mentorin Mariam Sultani. Die Studentin hält permanent Kontakt und hat schon erfahren, dass Setarah ihre Pläne geändert und konkretisiert hat.
"Sie will ja später in die Wirtschaftsbranche gehen und in Remagen BWL oder Management oder etwas in die Richtung studieren."
Rebecca dagegen ist zur Halbzeit des Coaching-Projekts nicht zum Picknick gekommen. Die 14-Jährige hat sich entschieden, in einer Sommerakademie die Noten in ihren Hauptfächern aufzubessern. Das habe viel gebracht, hat sie ihrer Mentorin zurückgemeldet.
Sicher ins Bewerbungsgespräch
Bis Jahresende stehen noch einige Coaching-Einheiten an. Projektleiterin Ruth Sandforth: "Wir haben auf jeden Fall noch ein Bewerbertraining vor uns, das haben sich die älteren Teilnehmerinnen gewünscht, und ich glaube, dass das auch für die Schülerinnen gut ist, weil wir auch noch mal üben, wie man selbstbewusster auftritt, sich vorbereitet vor Gesprächssituationen."
Zum Projekt-Abschluss im Dezember ist der Wissenschaftsminister Konrad Wolf geladen. Dass Ruth Sandforth ihn, den Finanzier, nach einer Neuauflage des Projekts fragen wird, ist zur Halbzeit schon klar.