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Geflüchtete in Bayern
Viel geschafft, aber die Politik setzt weiter Hürden

Fünf Jahre nach "Wir schaffen das" hat jeder dritte Geflüchtete in Bayern einen Job. Viele Freiwillige sind nach wie vor in der Flüchtlingshilfe aktiv. Zur "bayerischen Notwehr", mit der Ex-CSU-Chef Seehofer damals drohte, kam es nicht. Trotzdem erschweren zum Teil harte Regelungen die Integration.

Von Tobias Krone | 03.09.2020
2015 vor dem Münchner Hauptbahnhof: Bürger heißen die Ankommenden mit Geschenken willkommen, auch diese zwei Mädchen.
2015 vor dem Münchner Hauptbahnhof: Bürger*innen heißen die Ankommenden mit Geschenken willkommen, auch diese zwei Mädchen. (Andreas Gebert/dpa)
Kurz nach dem Besuch bei ihm in Straubing schickt Ebrahim Almostafa eine E-Mail mit einer Bitte: In dem Radiobeitrag über ihn sollen doch bitte alle Lehrkräfte genannt werden, die ihm geholfen haben: Frau Ströher mit Deutschnachhilfe, Frau Kraft mit Schiller-Dramen, die sie ihm zu lesen gab, Herr Trum bei der Vermittlung aufs Gymnasium, Herr Karl bei der Wohnungssuche und Herr Kopp bei der Bewerbung um das Stipendium. Ihnen allen will er danken.
Ebrahim Almostafa, 21 Jahre alt, hat auf dem Anton-Bruckner-Gymnasium Straubing einen Notendurchschnitt von 1,8 hingelegt. "Gut, das Abitur habe ich jetzt schon erlangt, jedoch nicht den gewünschten Schnitt, den ich für Medizin brauche", sagt er selbstkritisch. "Man braucht natürlich 1,0."
Vor fünf Jahren noch in Syrien
Was vielleicht nicht für ein Medizinstudium ohne Wartesemester reicht, ist dennoch ein Beweis dafür, wie rasant Almostafa im deutschen Schulsystem Erfolg hatte. Vor vier Jahren paukte er noch als unbegleiteter Minderjähriger in einer Übergangsklasse der Mittelschule Deutsch – und vor fünf Jahren lebte er noch bei seinen Eltern in Syrien.
Almostafa: "2015 habe ich mich dann dazu entschieden, jetzt doch auf die Reise nach Sicherheit – also nach Europa zu gehen." Inzwischen hat er auch seine Eltern und seinen jüngeren Bruder nach Deutschland geholt. Er hat viel geschafft, weil viele ihm geholfen haben.
Im Herbst 2015 lief im niederbayerischen Städtchen Straubing, 140 Kilometer nordöstlich von München, die Hilfe an, mehrere Hundert Freiwillige hießen die Geflüchteten willkommen. Rund 150.000 Geflüchtete stellten damals in Bayern einen Asylantrag, mehrere Hundert davon wurden auf Unterkünfte in Straubing verteilt.
THW-Helfer und Bundeswehrsoldaten bauen auf einem Gelände in Feldkirchen nahe Straubing im September 2015 Zelte auf.
THW-Helfer und Bundeswehrsoldaten bauen auf einem Gelände in Feldkirchen nahe Straubing im September 2015 Zelte auf. (picture-alliance / dpa / Armin Weigel)
Helfer: 'Wir schaffen das' war eine Mainstream-Bewegung
"Damals – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – war die Bild-Zeitung führend, und hat das beworben. Und sogar so, dass die deutsche Nationalmannschaft mit dem Slogan aufgetreten ist auf den Trikots: ‚Wir schaffen das.‘", sagt Martin Schaller. Er koordiniert seit Anfang 2016 die Freiwilligen der Region. "Es war eine Mainstreambewegung, wo sich viele angeschlossen haben und auch positiv mitwirken wollten."
"Dieses ‚Wir schaffen das‘ – das hat mich total angesteckt. Ich wollte das einfach auch, dass wir das schaffen", sagt die Straubinger Journalistin Eva Bernheim. Während der damalige CSU-Chef Horst Seehofer im Herbst 2015 mit einer "bayerischen Notwehr" gegen die ankommenden Geflüchteten drohte, packten viele Freiwillige wie Bernheim mit an.
Fünf Jahre sind seither vergangen. Susanne Fesl, ebenfalls freiwillige Integrationspatin, erinnert sich an das große Vertrauen, das ihr entgegengebracht wurde: "Ich habe ein ganz nettes Erlebnis gehabt mit einem Kurden, der drei Kinder hatte, dessen Frau aber krank war und die auf gar keinen Fall wieder schwanger werden durfte. Und er war mit mir eines Tages unterwegs und hat gemeint: Kannst du mal mit mir zum dm gehen und dann hat er mich zum Regal geführt, in dem Kondome waren. Und er wollte also von mir wissen, welche Kondome am besten sind und welche am günstigsten und welche Größe er da nehmen soll und dann… habe ich erst schmunzeln müssen, aber habe mir dann gedacht… Ich habe mich stolz gefühlt, dass er mit mir zum Kondome-Kaufen geht."
Auseinandersetzungen mit Behörden
Und doch gab und gibt es auch weniger schöne Erfahrungen. Zum Beispiel die kräftezehrenden Auseinandersetzungen mit Behörden und auch teilweise mit den betreuten Familien selbst, sagt Eva Bernheim: "Man musste dann immer wieder nachtelefonieren, immer wieder nachfragen, ob sie jetzt den ein oder anderen Brief schon bekommen haben. Und sie haben oft auch nicht verstanden, warum sie jetzt wieder 137 Euro nachzahlen müssen und warum irgendwelche Zuwendungen jetzt auf einmal nicht mehr gezahlt werden und dann ist man dann in so einer blöden Rolle – weil man ihnen dann das irgendwie erklären muss, es teilweise selber nicht versteht und dann immer so die Böse ist eigentlich, die Überbringerin der schlechten Nachricht."
Die beiden Helferinnen Eva Bernheim (links) und Susanne Fesl aus Straubing
Die beiden Helferinnen Eva Bernheim (li.) und Susanne Fesl aus Straubing (Deutschlandradio/Tobias Krone)
Irgendwann wurde es ihnen zu viel, die Probleme der Geflüchteten verfolgten sie bis in den Schlaf. Eva Bernheim und Susanne Fesl pausierten. Heute betreuen sie wieder eine Familie. Mit mehr emotionaler Distanz.
Mehr als jeder Dritte hat einen Job
Dass sich der Einsatz der vielen Freiwilligen bis heute lohnt, zeigen die Arbeitsmarktzahlen. Vor der Pandemie hatte mehr als jeder Dritte der Geflüchteten eine Arbeitsstelle. Weil viele von ihnen aber als Ungelernte Hilfsjobs angenommen haben, zum Beispiel in der Gastronomie oder im Handwerk, sind sie nun oft die ersten, die wegen Corona ihren Job verlieren, sagt Soziologe Nikolai Huke von der Universität Tübingen. Eben weil sie nicht in einem festen Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis stehen.
"Man findet schon viel diese Entscheidung, eher schnell eine besser bezahlte Beschäftigung anzunehmen, also jetzt nicht in eine Ausbildung zu gehen, wo man erstmal relativ wenig verdient. Viele Leute haben das Bedürfnis, ihre Familien in den Herkunftsländern zu unterstützen. Teilweise sind das ja auch Leute, die schon im Berufsleben standen, vorher, und für die das natürlich eine schwere Entscheidung ist zu sagen: Ich verdiene erstmal viel weniger und gehe in die Ausbildung und nehme mir nochmal die Zeit", so Huke.
Hürden durch die bayerische Politik
Dazu kämen Hürden durch die bayerische Politik und Verwaltung, die eine Integration von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft teilweise behindern, sagt Huke: Wenn etwa Behörden die Ausbildungsduldung wegen ungeklärter Identität verweigern. Oder die neu Ankommenden sofort in Ankerzentren gesteckt würden, sodass sie kaum in Kontakt mit der Bevölkerung kämen, so Huke.
Dabei helfe für ein gutes Miteinander, und gegen Alltagsrassismus und Ablehnung, eigentlich nur eines, findet Salah Bouzan: Es einfach miteinander auszuprobieren. Der 30 Jahre alte Kurde, 2015 nach Bayern gekommen, steht kurz vor seiner Gesellenprüfung zum KfZ-Mechatroniker. Bouzan: "Als ich frisch in die Werkstatt kam, habe ich gesehen, dass mich die Leute anders anschauen. Jeder, den ich gefragt habe 'Darf ich mit dir arbeiten oder darf ich was machen?', sagte, 'Ja okay' - und schickte mich woanders hin. Am Anfang war es so. Nur durch Ausprobieren hat es geklappt – und bis jetzt."