Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Gefühle im Männerbund

Nicolas Stemann lässt die "Räuber" in Salzburg als Boygroup wie auf einer Konzertbühne auftreten. Im Mittelpunkt steht Schillers Sprache und ihr Klang. Das Ergebnis ist ein wirkungsvolles Wortkonzert - und eine ebenso ästhetisch beeindruckende wie konzeptionell hochkomplexe Inszenierung.

Von Sven Ricklefs | 16.08.2008
    Eigentlich sind das vier nette Jungs, wie sie da Platz nehmen vor der Blechwand, auf die der Titel des Abends projiziert ist: Die Räuber. Vier nette Jungs wie auf einer Konzertbühne. In ihren artigen Hosen, mit Hemd und Krawatte und den braven Wollwesten sehen sie wie eine Art höhere Söhne aus, die ein ganz klein bisschen frech sind.

    Und dann spielen sie mal eben die erste Szene von Schillers Räubern, sind mal Franz Moor, der Zweitgeborene, der Hässliche, Vernachlässigte, Zurückgesetzte, der, der die Intrigen spinnt gegen seinen Bruder Karl und der den Vater aus der Welt schaffen will. Mal sind sie dieser, mal sind sie der alte Moor, der leichtgläubig auf diese Intrigen hereinfallen wird, mal sprechen sie im Chor, mal einzeln, mal ergänzen sie sich, führen sich fort, mal werfen sie sich die Sätze zu:

    Chor: "Es ist dein Vater. Er hat dir das Leben gegeben. Du bist sein Fleisch, sein Blut, also sei er dir heilig. Wiederum eine schlaue Konsequenz. Ich möchte doch fragen: Warum hat er mich gemacht?"

    Als ein Wortkonzert wollte Regisseur Nicolas Stemann Schillers "Räuber" nach eigenen Worten inszenieren und hat tatsächlich erst einmal Schillers im Sturm nach Freiheit drängende Sprache, ihren Klang wie ihre Bedeutung in den Mittelpunkt gestellt.

    Wer hier nach festen Rollenzuweisungen sucht, sucht zumindest bei den vier netten Jungs vergebens. Die sind dann schnell auch mal Karl Moor und damit also der Erstgeborene, der Coole, Schöne, der geliebte, der andere Sohn, der in der Welt schon immer ein wenig über die Strenge schlug und auch nun wieder das Hemd offen trägt, und das Brusthaar zeigt.

    Jetzt, wenn die Intrigen des Bruders greifen, gründet er im Aufschrei nach der vermeintlich verlorenen Vaterliebe die eher gut gemeinte Räuberbande. Die soll eigentlich in Robin Hood Manier den Reichen nehmen und den Armen geben, nur dass beim gewaltsamen Kampf gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt schon immer auch ein paar Unschuldige draufgingen.

    "Fürchtet Euch nicht vor Tod und Gefahr. Denn über uns waltet ein unbeugsames Fatum. Jeden ereilet endlich sein Tag. Es sei auf dem weichen Kissen von Pflaumen oder im rauhen Gewühl des Gefechts oder auf offenem Galgen und Rad, eins davon ist unser Schicksal."

    Regisseur Nicolas Stemann schickt seine hochkarätig präsente Boygroup in ein Wechselbad zwischen den Polen Franz und Karl Moor, die sich bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Motivation im Gestus des Aufbegehrens gegen Gesellschaft, Tradition und Vaterfigur im Grunde stark ähneln und deren Gewalt gleichermaßen im Inferno enden wird.

    Und so ist Stemanns Wortkonzert eben auch ein Konzert der Stimmen einer sich der Wurzeln entledigenden jungen Generation, einer Generation auf der krampfhaften Suche nach Freiheit. Was der Regisseur dagegen setzt, sind die Ideen der Liebe und der Tradition, denen er in Amalia, der ehemaligen Geliebten des Räuberhauptmanns Karl Moor, und denen er in dem alten Moor und zwei seiner alten Bediensteten ganz bewusst Gestalt und Figur verleiht, die im Rokokokostüm wie aus einer anderen Zeit hereintapern.

    Doch sie alle werden dem brandschatzenden Mutwillen der stürmenden und drängenden netten Jungs zum Opfer fallen, egal ob sie nun Franz oder Karl heißen. Obwohl diese sich sogar mal im Rokokokostüm probieren, auch wenn darunter noch die alte Buntfaltenhose hervorragt, obwohl sie sich auch dem alten Vater zu Füßen werfen werden, um Verzeihung zu erbitten, oder ihn schließlich in den Gräbern suchen, die sich unter ihren Füßen auftun.

    Mit seiner ebenso ästhetisch beeindruckenden wie konzeptionell hochkomplexen Inszenierung von Schillers Räubern bei den Salzburger Festspielen stellt Nicolas Stemann gleich mehrere Fragen: Wohin führt die Auslöschung des Überkommenen? Wo können wir noch andocken, wenn das Alte vernichtet ist? Und: Endet das Prinzip Freiheit notwendigerweise ab einem bestimmten Punkt in Gewalt?

    Dass er diese Fragen alle in einem Stück findet, das per se immer als wild wuchernder Ausdruck des Aufbegehrens galt, macht diese Inszenierung noch einmal zu einem besonderen Ereignis.