Donnerstag, 18. April 2024

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Gegen Arbeitslosigkeit und Mafia
Der bischöfliche Reisbauer

Die Mafia lässt in Kalabrien auch schon mal katholische Priester umbringen. Das schreckt den Bischof der Diözese von Cassano allo'Ionio nicht. Francesco Savino bekämpft die Mafia mit Reis. Er ist einer der größten Unternehmer der Region, "eine Säule der Legalität im Mafialand".

Von Thomas Migge | 07.08.2018
    Ein malerisches Reisfeld im italienischen Kalabrien
    In Kalabrien gedeiht nicht nur der Reis, sondern auch die Mafia (imago / Giovannini)
    "Wir bauen hier seit Jahrhunderten Reis an. Schon im 16. Jahrhundert wussten die Menschen, dass unsere Gegend in früheren Zeiten oft vom Meer überflutet wurde. Das Resultat sind ausgesprochen salzige Böden."
    Eugenio Conforti blickt über weite Felder. Begrenzt wird diese Landschaft durch die Bergkette des Pollino. Die Felder liegen zwischen den kleinen Ortschaften Villapiana und Cassano. Das ist Kalabrien. Tiefstes Süditalien. Hier ist Conforti Verwaltungschef von "Terzeria". Ein landwirtschaftliches Unternehmen, das Reis anbaut und verarbeitet. Eugenio Conforti:
    "Unsere Vorfahren haben irgendwann herausgefunden, dass das Salz in den Böden bleibt und nicht ins Grundwasser gelangt, wenn wir hier Reis anbauen. Das heißt, nur mit Hilfe des Reisanbaus beugen wir der Versalzung unseres Trinkwassers vor. Hier lässt sich ausschließlich Reis anbauen. Ohne Reis wäre das hier Ödland."
    "Eine Gegend voller Wunden und Narben"
    Eigentümer des Reisanbau-Unternehmens und Vorgesetzter von Eugenio Conforti ist ein Geistlicher. Es ist der Bischof der Diözese von Cassano allo Ionio, zu der das Reisanbaugebiet gehört. Amtierender Bischof und also auch oberster Reisbauer der Region ist Francesco Savino. Vor drei Jahren wurde der hemdsärmelige Geistliche von Papst Franziskus zum neuen Bischof in Cassano allo Ionio ernannt. Es heißt, Franziskus wollte unbedingt jemanden wie Savino auf diesem Posten, denn die kalabresische Diözese gilt als eine der problematischsten in ganz Italien. Trotz aller Probleme - Bischof Francesco Savino mag diese Region:
    "Das hier ist eine wunderschöne Gegend. Eine Gegend, die viel mehr Aufmerksamkeit seitens jener verdient, die sich eigentlich um sie kümmern müssten. Eine Gegend voller Wunden und Narben. Die Menschen in Kalabrien müssen sich endlich darüber klar werden, dass sie einiges tun müssen, um diese Situation zu verändern."
    Der Bischof will mit gutem Beispiel vorangehen. Nicht nur mit verschiedenen Initiativen, die den Einfluss der organisierten Kriminalität, die in Kalabrien 'Ndrangheta heißt, zurückdrängen sollen, sondern auch eben im Reisanbau. Jeder Bischof, der die Diözese Cassano allo Ionio übernimmt, erbt rund 1000 Hektar Land. 1935 hatte eine kalabresische Familie der Diözese das Land geschenkt. Jahrzehntelang überließen die Bischöfe die landwirtschaftliche Nutzung dieser Schenkung lokalen Bauern. Einer der Vorgänger Savinos übernahm Anfang der 2000er-Jahre direkt die Leitung der Reisfelder. Er gründete das landwirtschaftliche Unternehmen "Terzeria". So wurde der Bischof der Diözese Cassano allo Ionio der wichtigste landwirtschaftliche Akteur und Arbeitgeber der gesamten Gegend - eine in Italien einmalige Konstellation.
    Der aktuelle Amtsinhaber der Diözese beschäftigt mehrere hundert Angestellte, die auf etwa 700 Hektar Land zirka 800 Tonnen Reis pro Jahr produzieren. Der wird vor allem nach Norditalien exportiert. Das bischöfliche Reisanbau-Unternehmen ist der einzige italienische Produzent von Carnaroli-Reis, das ist ein Mittelkorn-Reis, der besonders für die Zubereitung cremiger Risotti geeignet ist.
    "Wir brauchen eine kulturelle Revolution"
    Bischof Francesco Savino sieht sein Reisanbauunternehmen als, Zitat, "Säule unternehmerischer Legalität mitten im Mafialand". Denn die Bosse der 'Ndrangheta in der Diözese Cassino allo Ionio schrecken vor nichts zurück: auch nicht vor der Ermordung mafiakritischer Geistlicher. Vor vier Jahren etwa ließen die Bosse den Priester Lazzaro Longobardi mit einer Eisenstange erschlagen. Trotz der Brutalität in seinem Bistum - Bischof Savino sieht auch die Stärken der Menschen dort:
    "Sie sind voller Energie. Das lässt sich auch positiv nutzen. Ich will und muss die Realität hier positiv sehen. Leider ist es aber so, dass, um ein afrikanisches Sprichwort zu zitieren, ein umfallender Baum mehr Lärm erzeugt als ein wachsender Wald. Was wir hier brauchen, angesichts der Kriminalität und der Wunden, die sie erzeugt, ist eine kulturelle Revolution."
    Eine kulturelle Revolution, die der Bischof auf verschiedenen Ebenen zu realisieren versucht. Bei Predigten, bei Ansprachen, bei Besuchen in den 22 Gemeinden seiner Diözese kommt er immer direkt auf die Probleme zu sprechen, die sich aus der Mafia-Präsenz ergeben. Er kritisiert auch die Abwesenheit des Staates, die es den Bossen und ihren Clans leicht macht, das Territorium in ihrem Sinn zu kontrollieren.
    Kein Schutzgeld für die Bosse
    Der Bischof ist als Unternehmer auch ein Beispiel für alle anderen Unternehmer der Region. Als ihm nahegelegt wurde, für sein Reisanbau-Unternehmen "Terzeria" einen "Pizzo", das traditionelle Schutzgeld, an örtliche Mafia-Bosse zu zahlen, soll er, so ein Mitarbeiter, den Mittelsmann der Bosse mit deftigen Schimpfworten davongejagt haben. Die Folge sind ständige Morddrohungen - doch die lassen ihn kalt, sagt Bischof Francesco Savino:
    "Wir durchleben gerade einen historischen Moment hier bei uns: Entweder wir verändern und reformieren die politische und soziale Situation hier, oder aber es siegt die reine Geschäftemacherei."
    Die Geschäftemacherei der Mafiabosse. Sie spricht der Bischof nie direkt mit ihrem Namen an. Doch er bekämpft sie: direkt und indirekt. Auch mit seinem landwirtschaftlichen Reisanbau-Unternehmen "Terzeria", das er jedes Jahr untersuchen lässt - und zwar von Mitarbeitern der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission in Rom auf mögliche mafiöse Infiltrationen hin. Um zu verhindern, wie er sagt, dass sich seine Gegner von der Mafia im bischöflichen Unternehmen festsetzen wie Maden im Speck. Der Bischof, der auch Reisbauer ist, geht lieber auf Nummer Sicher.