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Gegen das Minarettverbot

Die Volksabstimmung über das Minarett-Verbot hat weite Wellen geschlagen. Nur in der Gemeinde Realp in der Westschweiz verfolgt man die Debatte mit einer gewissen Gelassenheit schauen. Denn dort, im überwiegend katholischen Teil des Kantons Uri, hat ohnedies die Mehrheit gegen das Minarett-Verbot gestimmt. Und wie so oft, sind die aus Realp damit aus der Reihe getanzt.

Von Pascal Lechler | 14.12.2009
    In Realp hat es über Nacht frisch geschneit. Rund 150 Menschen leben hier auf 1500 Meter am Fuß des Furkapasses. Eine Kirche, drei Restaurants und ein Hotel. Der kleine Laden hat dicht gemacht. Viel gibt es nicht in Realp. Die Passstraße ist jetzt im Winter zu und auch die Straße Richtung dem nächst größeren Ort, Andermatt, ist nun, wie so oft im Winter, nachts wegen Lawinengefahr geschlossen.

    Politisch gesehen ist Realp aber alles andere als abgeschnitten oder hinterwäldlerisch. Genaugenommen ist das kleine Dorf ein politischer Sonderfall im konservativen Alpenraum. Im gesamten Kanton Uri waren die Realper die einzigen, die mehrheitlich gegen das Verbot von Minaretten stimmten. Der ortsansässigen Anwalt Georg Simmen hatte mit diesem Ergebnis gerechnet.

    "Also mich hätte es gewundert, wenn es anders herum gekommen wäre, wenn wir jetzt eben auch die Minarettinitiative angenommen hätten, wäre ich sicher enttäuscht gewesen. Es war ja auch knapp. 40 zu 36. Man sieht schon, dass dieses Thema nicht nur die Schweiz spaltet, sondern auch Realp spaltet, dass auch nicht alle Leute gleicher Meinung sind. Aber ich hab's eigentlich erhofft und auch erwartet, dass wir so stimmen werden."

    Und zwar so wie die großen Städte in der Schweiz und nicht wie ein kleines Dorf. Wäre es nach den Realpern gegangen, dann wäre die Schweiz wohl heute schon längst in der EU. 1992 stimmten die Bürger des höchstgelegenen Dorfes im Kanton Uri - anders als die meisten anderen Schweizer - für einen Beitritt zum EWR - dem europäischen Wirtschaftsraum. Kein Ausreißer: denn immer wenn die konservative Innerschweiz Neuerungen ablehnt, tanzt Realp aus der Reihe.

    Die Realper sagten ja zum Mutterschaftsurlaub und zur Fristenlösung. Und wenn alle im Alpenraum immer so aufgeschlossen gestimmt hätten wie die Realper, dann hätten die Schweizerinnen auch nicht erst 1971 das Wahlrecht erhalten, erzählt Gemeindeschreiber Karl Cathry:

    "In der Gemeinde selbst ist natürlich das Frauenstimmrecht hier schon ein altes Thema gewesen. Wir brauchten die Frauen auch, um in der Politik mitzuarbeiten... ."

    Vor der Minarettabstimmungen habe man im mehrheitlich katholischen Realp viel über Religionsfreiheit gesprochen:

    "Die Religionsfreiheit, wenn man sie hat, dann muss man sie auch ausüben, oder? Und wir sind nach wie vor überzeugt, dass diese Minarettinitiative eigentlich anderes angesprochen hat, als die Minarette, aber diese Probleme kann man mit einem solchen Verbot nicht lösen."

    Viele Journalisten sogar aus dem Ausland haben in den letzten Tagen bei Karl Cathry angerufen. Sie wollten natürlich wissen, warum die Realper stets so weltoffen wählen und das obwohl sie doch gerade im Winter manchmal komplett von der Außenwelt abgeschnitten sind. Erst Ende der 40er-Jahre bekam Realp eine ganzjährige Bahnverbindung:

    "In der vorderen Zeit war die Gemeinde eigentlich immer auf sich selber angewiesen, die Leute waren mehr oder weniger abgeschnitten von den anderen beiden Dörfern im Tal, und das hat vermutlich auch schon dazu geführt, dass man sehr selbstständig sein musste, in Realp, und dass das sich natürlich auch ins Denken umgeschlagen hat, das kann man mindestens annehmen."

    Vielleicht waren es die Kapuziner Mönche, die sich schon früh in Realp ansiedelten, die die Brise Weltoffenheit ins Dorf brachten. Goethe wurde 1779 auf seiner Schweizreise von den Mönchen herzlich aufgenommen.

    Heute würde Goethe auf seiner Durchreise wohl bei Lucia Schmid im Bahnhofsbuffet ein warmes Essen bekommen. Die Wirtin hat so ihre eigene Theorie, was Realps Aufgeschlossenheit angeht.

    "Also ich denke wir sind auch spezielle Menschen hier in Realp, und wir sind immer anders... . Ich denke, das bringt auch der Tourismus mit sich, wir sind weltoffen hier, wir haben ja auch viele Leute hier, Deutsche, Italiener, alles ! Bei uns gibt es alles ! Ich glaube, wir sind immer auf dem richtigen Weg."